Künstlerin Emmélie Lempert

Wenn Textilien träumen

Aus Textilien kreiert die Rheinländerin Emmélie Lempert poetische Bildobjekte, die den weiblichen Körper als Schnittstelle von Kontrolle und Widerstand inszenieren. Jetzt ist sie für den Young Generation Art Award nominiert

Auf dem Tisch unter der hohen, stuckverzierten Atelierdecke liegt ein schmales, zartrosa Oberteil mit voluminösen Ärmeln – irgendwo zwischen Zweidimensionalität und 3D. Die Arbeit mit Textilien ist ein schmetterlingshafter Prozess: Aus einem flachen Stoff entsteht etwas Körperliches.

Emmélie Lemperts Textilobjekte erinnern auf den ersten Blick an Fragmente historischer Wäsche, aus einer Zeit, in der noch Korsette und Korsagen getragen wurden. Doch der 1998 in Bonn geborenen Künstlerin geht es um die Gegenwart mindestens ebenso sehr wie um die Vergangenheit.

Mit ihren selbst entworfenen und geschneiderten Objekten zeigt die Absolventin der Kunstakademie Düsseldorf, dass Körper zu allen Zeiten in bestimmte Formen eingepasst wurden – und dass es immer schon Vorstellungen davon gab, wie ein idealer Körper auszusehen hat. Mal sollten Silhouetten durch geschnürte Taillen und mit Polstern verstärkte Hüften betont kurvig wirken. Mal waren Rundungen unerwünscht und wurden kaschiert. Jedes Ideal ist dabei nie nur ein Modephänomen, sondern sagt immer auch etwas über die Gesellschaft aus.

Kostümieren als Kunstform

Emmélie Lempert präsentiert ihre Textilobjekte zwischen zwei gerahmten Glasscheiben im Raum oder an der Wand – zwischen Objekt und Tafelbild. Manche der in Wäsche- und Hautfarben gehaltenen Kunstwerke wären gar nicht tragbar: eine Strumpfhose mit vier Beinen, ein Handschuh mit viel zu zahlreichen zu schmalen Fingern. Diese fremd-vertrauten Dinge haben ein feines poetisches Potenzial, denn sie erzählen die Geschichte der erträumten, erwünschten, herbeigesehnten Körper als Utopie weiter.

Zu jeder Zeit, sagt die Künstlerin, werden Manipulationen an Körpern vorgenommen. "Es gibt ja keine finale Antwort, es sind ja immer irgendwelche Wellen und Phasen", so Lempert. "Gerade in Zeiten wie jetzt, wo rechtsextreme Gesinnung wieder stärker wird, ist es wichtig, dass diese Themen präsent bleiben. Die Körper von weiblich gelesenen Personen – und die Kontrolle darüber – spielen eine große Rolle im System." In Gesprächen mit Menschen, die queerfeministische Ansätze ablehnen oder bedrohlich finden, habe sie schon gute Erfahrungen gemacht, erzählt Lempert. Die Zugänglichkeit, aber auch die Sensibilität ihrer Werke machten es Skeptikern leichter, ein wenig Zartheit und Offenheit auch bei sich zuzulassen und die eigene Perspektive zu erweitern.

Emmélie Lempert, die gerade vom Rheinland nach Berlin umgezogen ist, hat bei Peter Piller studiert, damals die einzige freie Kunstklasse an der Akademie Düsseldorf. In ihre Arbeit sind aber auch viele Gespräche mit Dominique Gonzalez-Foerster eingeflossen, die das Kostümieren als Kunstform begreift. Lemperts Objekte schaffen Möglichkeitsräume für andere Welten. Sie sind nicht einfach Kleider, sondern textile Erweiterungen des Selbst voller erzählerischer Kraft. Sie treiben die Imagination voran ins Fantastische – in einen Bereich jenseits der Normen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Monopol 11/2025