Galerienrundgang Berlin

Enge, Unmittelbarkeit, Verausgabung

Alle reden von Judy Lybke. Warum darf der Galerist von Neo Rauch nicht an der kommenden Art Basel teilnehmen? Finde ich gut, weil …, finde ich schlecht, weil …, so gehen die Gespräche an diesem Kunstwochenende, mit dem Berlin in das neue Jahr startet. Ein anderer Name, der häufig fällt: Bernard de Montferrand. Der französische Botschafter wird die deutsche Hauptstadt demnächst verlassen, und Galeristen, Künstler und Kuratoren vermissen den kunstsinnigen Diplomaten jetzt schon. De Montferrand hat vor drei Jahren das Austauschprojekt „Berlin-Paris“ ins Leben gerufen: Deutsche Galerien zeigen ihr Programm bei Pariser Kollegen und umgekehrt. Jetzt geht das Projekt in die dritte Runde. Galerie Wentrup hat etwa den französischen Galeristen Frank Elbaz zu Gast, der in den Kreuzberger Räumen eine stimmige Gruppenausstellung kuratiert hat, die sich um den legendären Pop-Art-Pionier Wallace Berman dreht.

Die Blockbuster-Veranstaltung des Abends (und von „Berlin-Paris“) ist aber natürlich Juergen Teller, den Johann Koenig, äh, König sich aus Paris einlud. Die Fotografien aus dem nächtlichen Louvre, in dem seine nackten Modelle Raquel Zimmermann und Charlotte Rampling teilweise etwas ratlos angeblitzt herumstehen, kennt man aus Printmedien. Groß aufgezogen und gerahmt werden sie noch mal zu etwas anderem, wenn auch nicht ganz klar ist, zu was eigentlich. Die Mischung aus Fashion, Presse und Kunst war sehr schön an den engagiert diskutierenden Vernissagegästen abzulesen, die am Ende durch charmante Licht-aus-Einlagen vom Galeristen langsam hinauskomplimentiert wurden.

Javier Peres von Peres Projects in Berlin Mitte ist zwar nicht Teilnehmer beim Galerienaustausch, dafür präsentiert er eine gute, kleine italienisch-amerikanische Zwei-Personen-Schau: „Those Ghosts“ zeigt Tintenzeichnungen von John Kleckner (Jahrgang 1978), der in Berlin aktiv schon an der Galerie im Regierungsviertel mitgearbeitet hatte: Es sind engel- und chimärenhafte Wesen, mit feinster Pointierung gezeichnet, eingebettet in blau-weiße Traumschlieren. Ein bisschen esoterisch vielleicht, aber das hebt der 1974 geborene Patrick Tuttofuoco mit seinen Skulpturen locker wieder auf: coole Ensembles aus Pressspan, Neonsprayfarbe und gewölbten Textilien, irgendwo zwischen Pac-Man-Gespenst und Burka-Geister, die man jederzeit gerne ins Haus lässt.

Eberhard Havekost steht bei seiner Galerie Gebrüder Lehmann in der Lindenstraße vor einem seiner wenigen wirklich gegenständlichen Gemälde: Eine grüne Schultafel in der Bildmitte, eingebaut in schicke Holzpaneelen. Es fällt so ganz aus dem sonst unscharf-verwischten, nur andeutungsweise Motive erkennen lassenden Rest, ist das ein altes Bild? „So neu, dass es noch nicht trocken ist“, lacht der Künstler, der gerade drei große Ausstellungen laufen hat. Da wird klar, dass es sich um eine exakte Referenz zur Architektur des Galerieneingangs handelt, jene repräsentativen Maßnahmen zur Wertsteigerung, die der sehr reflektierte und präzise Dresdner stets mitdenkt.

Die unweit gelegene Galerie September, ebenfalls ohne Paris-Anbindung, zeigt mit Nikolaus Untermöhlen einen jung verstorbenen Konzeptualisten, dessen Arbeiten auf nur an den Rändern belichtetem Fotopapier das abstrakte Werk von Wolfgang Tillmans vorwegzunehmen scheint. Untermöhlen, ein Vorwende-Westberliner und Mitglied der „Tödlichen Doris“, ist eine Entdeckung.

Im vergangenen Jahr hat der Amerikaner Aaron Curry einige Monate in Deutschland als Fellow der American Academy zugebracht. Unter anderem hat er hier eine Firma aufgetan, die ihm unglaublich poppig glänzende Metallarbeiten ausführen kann. (Gleichzeitig hat er sich einen äußerst überraschenden Rauschebart wachsen lassen, aber das nur nebenbei.) Im Schinkel Pavillon präsentiert er am Freitag Abend das Ergebnis: eine geschwungene Konstruktion aus lilafarbenen und grünglänzenden Metallstäben, in denen elegant zwischen zwei und drei Dimensionen surfende Pappskulpturen hängen. Und es zeigt sich: Currys gleichzeitig trashige und fein ausbalancierte Retro-Science-Fiction-Ästhetik passt wunderbar zu dem bizarren DDR-Futurismus des Schinkel Pavillons.

Bei Sprüth Magers bezwingt Andreas Schulze, Professor aus Düsseldorf, die große Halle mühelos mit seinen teils sehr großformatigen Gemälden, von denen man nie weiß, wie sehr sie gerade Widerstand leisten oder sich schon der Pop Art hingeben. Ein Gemälde mit bunten, organisch geformten Streifen vor einer Art Landschaft nennt er mit unschlagbarer Ironie „Morris Nolde Rügen“. Am seltsamsten: ein Bild unten in der Ecke, das schlicht „Dreckecke“ heißt und aussieht, als habe er eine Art Abflussrohr in den Raum hineingemalt. Im Obergeschoss hat Alexandre Singh ein intelligentes Netz von schwarz-weißen Fotografien ausgelegt.

Bei dem Abendessen in Clärchens Ballhaus, den die Galerie Sprüth Magers später für ihre beiden Künstler ausrichtet, wird Andreas Schulze viel Zeit im Raucherraum verbringen, gern auch mal allein. Unten nimmt die Party um Mitternacht überraschend Fahrt auf, als plötzlich die glänzend gelaunten Reste der anderen Dinner des Abends den Raum entern, gefolgt von einer Torte mit brennenden Wunderkerzen: Man feiert Andreas Gurskys Geburtstag.

Bei Isabella Bortolozzi ist das Licht im Hochpaterre noch an, die holzvertäfelte Galerie mit dem extrem zeitgenössischen, konzeptuellen Programm hat beim Städtetausch zwei außergewöhnliche Austauschpartner erwischt: Jean Arp und Kurt Schwitters, ausgeliehen bei Natali Seroussi. Die Arp-Gipsskulpturen sind auf einem mit schwarzem Mollton abgehängten Podest präsentiert, eine Schwitters-Collage hängt irgendwie randständig neben dem Fenster, im hinteren Raum krächzt ein Tondokument von Schwitters, doch all das macht Spaß, gerade weil es so unorthodox daherkommt und deshalb auch unorthodox betrachtet werden kann.

Am Samstag präsentiert Capitain Petzel die erste Berliner Einzelausstellung des New Yorker Künstlers Wade Guyton. Der Amerikaner, der im Sommer das Museum Ludwig in Köln mit gigantischen monochromen Kopierbildern bespielte, breitete sich diesmal in Vitrinen aus: Auf blauen Fliesen präsentierte er eine extrem heterogene Sammlung von bedruckten Seiten, die er zusätzlich durch einen Tintenstrahldrucker gezogen hatte; iPad-Anzeigen, Kunstkataloge aus den 80ern und verblichene Bauhaus-Abbildungen aus den 30er-Jahren, mit schwarzen Streifen versehen, bildeten ein schön melancholisches Ensemble.

Am Samstagabend beendete die Galerie Kamm ihre Gruppenausstellung „Out of Joint“ mit einer Performance von Thomas Kratz. Seine seltsam betörenden Gemälde – pastellfarben durchscheinend, zwischen Figuration und Abstraktion, mit höchst eigenwilligen Titeln – sind ein starker Bestandteil der Schau, ein weiteres Highlight ist die Neuseeländerin Francis Upritchard mit ihren depressiven Knetfiguren. Kratz, mit Fechtermaske und Geweih aus Ästen, lackierte sich unter anderem die Fingernägel mit roséfarbenem Chanel-Lack, auch eine Art Malerei.

Bei gewöhnlichen Galerien würde man sagen, die Ausstellungseröffnung sei „gut besucht“, doch beim weitläufigen Grundriss von Veneklasen/Werner lässt sich das gar nicht so einfach feststellen. Es war jedenfalls ein wichtiger Stopover für alle, die am Samstag wieder unterwegs waren: Enrico David, 1966 in Italien geboren und Absolvent des Central St. Martins College in London, hat spätestens seit seiner Basler Schau „How Do You Love Dzzzt by Mammy?“ alle Freunde von clever-absurdem Grusel durch Niedlichkeit auf seiner Seite: Seine konturlosen Figuren sind verlegen, ausgeliefert, peinlich berührt, gepeinigt - sympathische Karikaturen in großformatigen Ölgemälden. Als Zeichnung hätten sie auch funktioniert, aber nicht in diesen geradezu einschüchternden Räumen.

Enge, Unmittelbarkeit, Verausgabung dagegen im White Trash Fast Food, wo die Künstlerband B-Men auftrat: Hardcore mit funkenschlagenden Surfgitarren (Marcus Sendlinger), ganzkörpertätowiertem Gesang  (Manfred Peckl), stoisch-explosivem Bass (Marc Bijl) und einem fulminanten Rampensau-Schlagzeug (Andreas Schlaegel). Im Publikum fußwippend gesichtet wurden Tue Greenfort und Henrik Hakansson. Sammler, Künstler und enthusiastische Zufallsgäste hüpften einträchtig vor der Bühne herum, das Kunstjahr ist eröffnet.