Film über den Fotografen Ernest Cole

Ein Verlorener mit scharfem Blick

In seinem Filmporträt "Lost and Found" erinnert Regisseur Raoul Peck an die Odyssee des südafrikanischen Fotografen Ernest Cole - und taucht tief in dessen fotografisches wie politisches Vermächtnis ein

"I am homesick and I cannot return". Ich habe Heimweh, kann aber nicht zurück. Diesen Satz hört man immer wieder aus dem Off in dieser tragischen Geschichte eines qualvollen Exils, die aus der Perspektive des vertriebenen Künstlers erzählt wird. Der Schauspieler Lakeith Stanfield spricht die Worte des aus Südafrika geflohenen Ernest Cole mit einer melancholisch matten Stimme, langsam und nachdenklich. 

Der 1940 in Pretoria geborene Fotograf wuchs in der Apartheid auf, dokumentierte die Auswüchse des rassistischen Systems und verließ sein Land mit vielen Negativen 1966 Richtung USA. Den "Horror of Apartheid", wie er in einem frühen Interview sagte, hielt er mit versteckter Kamera in Schwarz-Weiß-Bildern fest. Die Szenen enthüllten katastrophale Arbeitsbedingungen schwarzer Minenarbeiter, grundlose Polizeikontrollen und Verhaftungen oder die harten Lebensverhältnisse von Oppositionellen in Internierungslagern. Veröffentlicht werden konnten sie erst 1967 in dem heute legendären Fotoband "House of Bondage" in den USA. 

Nun hat der Regisseur Raoul Peck Cole einen Film gewidmet. Ähnlich fokussiert auf die Sicht des Porträtierten verfuhr Peck bereits in seinem Dokumentarprojekt "I Am Not Your Negro", mit dem er sich dem US-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin näherte. Nur, dass diesmal noch die unfassbar lebensnahen Fotografien von Ernest Cole dazukommen, durch die dieser die Welt beobachtete, wie er selbst sagte. Denn als Chronist des Elends wollte er nicht eingeordnet werden. Das gilt für das Frühwerk aus Südafrika, das von Segregation und Drangsalierung handelt, aber auch die wenigen Momente des flüchtigen Glücks nicht ausspart. Und es gilt für die späteren Streifzüge durch das New York der frühen 1970er, geprägt vom politischen Aktivismus und blühender Straßenmode.

Ein erschütterndes Zeitbild

Zu dem hypnotischen Fluss aus unzähligen Aufnahmen gesellen sich auch bewegte Bilder als historische Dokumente, die sich zu einem erschütternden Zeitbild summieren. Denn in den USA, wo Cole glaubte, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, "eine Welt ohne Vorurteile, ohne die wahnsinnige Angst, ohne die endlose Verfolgung und Annullierung jeder Identität" zu finden, erlebte er trotz Ruhm schnell Ablehnung und Schubladendenken. 

Chefredakteure ließen den Exilanten, der ihrer Meinung nach in der Ferne seine Schärfe verloren hätte, schnell fallen. Sie ignorierten sein Interesse für das Leben weißer New Yorker und schickten ihn lieber auf eine lebensgefährliche Mission in den Süden der USA: in der Erwartung eines vergleichenden Blicks auf die dort weiterhin herrschende Rassentrennung. 

Der Kampf der Bürgerrechtsbewegung, den Cole festhielt, wurde nie wirklich seiner. Wie viele seiner südafrikanischen Freunde in den USA ertrug er das Exil nicht. In Schweden, Großbritannien und Dänemark erging es ihm nicht besser, zumal er auch hier rassistische Übergriffe erlebte. Zurück in New York wurde er zeitweise obdachlos und hörte in den 1980ern auf zu fotografieren. Acht Jahre lang fasste er die Kamera nicht an, verlor Finanzierungen und den Glauben an sich selbst. Gespiegelt wird dieser "Abstieg in die Hölle" in den Aufständen in Südafrika und der halbherzigen Unterstützung durch die UN-Vollversammlung, flankiert von Aussagen von Regierenden wie Thatcher, Chirac oder Reagan, die es strikt ablehnten, das Regime zu sanktionieren.

60.000 Negative im Schließfach

New York sei eine seelenlose Stadt, meint Cole gegen Ende. Die Menschen schauten nie zum Himmel. 1990 erkrankt er verbittert und desillusioniert mit 49 Jahren an Krebs und stirbt, ohne das Ende der Apartheid zu erleben. Sein Neffe steuert zuvor noch einen pikanten weiteren Erzählstrang bei. 2017 werden ihm aus einem schwedischen Banksafe drei Kisten mit etwa 60.000 sorgfältig sortierten Fotos und Negativen des Onkels aus der US-amerikanischen Zeit übergeben. Trotz Nachfrage erfährt er nicht, wie sie dorthin gelangten und wer über die Jahre die Depotkosten zahlte. 

Es ist ein Schatz, dem sich nicht zuletzt die Faszination des grandiosen Filmmaterials verdankt. Und wohl auch ein riesiger Gewinn für die Ausstellungen des Werks, so zuletzt 2023 in der Deutsche Börse Photography Foundation in Eschborn und im Museum of Modern Art in New York.