"Sehnsucht Berlin"

Erstaunlich, diese Leute hier

„Be Berlin“, so lautet der Slogan, mit dem das hauptstädtische Stadtmarketing seit einiger Zeit zu punkten versucht. „Sei Berlin!“ – denkt man als Berliner ein wenig zu lange über diese Aufforderung nach, könnte man nervös werden: Was genau ist denn der Charakter dieser Stadt? Und wie verhält man sich berlinmäßig?

Aufschluss darüber, wie die ehemalige Frontstadt zumindest von Fremden gesehen wird, gibt nun ein Dokumentarfilm, der kürzlich auf DVD erschienen ist: „Sehnsucht Berlin“ von Peter Zach lässt ehemalige Stipendiaten des Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) zu Wort kommen. Schriftsteller, Komponisten und bildende Künstler wie Damián Ortega oder Stephen Wilks: Der Zuschauer sitzt mit im Taxi, eröffnet mit ihnen Ausstellungen und begleitet sie beim Umzug, zum Imbiss um die Ecke oder an andere Orte, die ihnen etwas bedeuten.

Dass das DAAD-Programm verdienstvoll ist, daran kann auch nach Sichtung dieses Films kein Zweifel bestehen: Noch unbekannte Künstler wie Damien Hirst oder Christopher Wool haben dank der Einrichtung in der Stadt arbeiten und ausstellen können – und das war für die Künstler genauso ertragreich wie für die Stadt.

Was allerdings bei „Sehnsucht Berlin“ erschreckt, ist die Dichte an Klischeesätze, mit denen die Stipendiaten diesen Ort belegen. Beinah in jeder ihrer Antworten überstrahlt die Überwältigung durch die Geschichte jede Gegenwartsanalyse. Es sind nicht die Clubs, nicht die aktuelle Kunstproduktion, nicht aufregende städtebauliche Fragen, denen hier nachgegangen wird. Es ist zumeist einzig die faszinierende, erdrückende Geschichte, über die gestaunt wird, die die Stipendiaten flaneurhaft abschreiten.

Die Künstlerin Anne-Mie von Kerckhoven etwa sitzt am Potsdamer Platz, im Sony-Center. Allein über dieses Gebäude ließe sich viel sagen. Doch die Belgierin redet darüber, wie erstaunlich es doch sei, dass „diese Leute hier“ alles wieder aufgebaut haben. Sicher, das zeichnet Berlin wie nichts anders aus: dass sich hier Spuren der großen politischen Experimente des 20. Jahrhunderts kreuzen. Doch in der stammelnden Stadtsoziologie der Künstler nutzt sich die Verwunderung ab. Es hilft nicht, wenn der Regisseur mit stillen, atmosphärischen Bildern die Ruinenromantik aufgreift, indem er permanent verwitterte, zerschossene Mauern abfilmt. Dabei hätte es ein schöner Film werden können, hätte man sich auf weniger Stipendiaten konzentriert und an den Ausgewählten verfolgt, wie sich die Stadt auf ihre Arbeit niederschlägt. Färbt Berlin ab? Kann man Berlin werden? Die Frage steht weiter aus.
 


 
„Sehnsucht Berlin“ ist im Verlag Absolut Medien erschienen und ist zu einem Preis von 19,90 Euro erhältlich