Kunstmesse Art Brussels

Es grünt so grün

Die Art Brussels lässt sich nach zwei Jahren Pandemie-Pause weder von dem Berliner Gallery Weekend noch von der Atomkrieg-Angst lähmen. Viel lieber flüchtet man sich in die Natur und die Trost spendende Kraft harmloser Töpferware

Über dem Esstisch hängt eine bedrohliche Feuerwolke. Papierschnitzel schweben durch das Wohnzimmer. Irgendetwas muss gerade explodiert sein. Wirft man einen genaueren Blick auf das fotografische Großformat von Aurélie Pétrel am Stand der Galerie Galerie Ceysson & Bénétière aus Paris, liest man in der aufgeschlagenen Zeitung die Überschrift "La menace russe" (Die russische Bedrohung). Ein Kommentar zum Ukraine-Krieg? Könnte man meinen, wäre "Partitions" nicht bereits 2013 entstanden, womit die 1980 geborene Künstlerin ein Gespür für die schleichende Grenzenaustestung von Putins imperialer Expansionspolitik beweist.

Mit ihrer Position ist sie allerdings nicht nur im Segment der 33 "SOLO"-Schauen ziemlich allein. Immerhin, eine Button-Aktion des Künstlers Dan Perjovschi und eine Galerien-Initiative der Sektion "INVITED" wenden den Blick nicht ab. Und auch, dass Barthélémy Toguos großflächige Aquarelle "Das letzte Gericht" von 2012, ein Danse macabre floral verbundener Totenköpfe am Stand der Galerie Lelong & Co., zu den ersten verkauften Werken der Preview gehörte, zeigt, dass die latente Gefahr einer Kriegsausdehnung manch einen Sammler in Kauflaune zu versetzen weiß. Ganz zu schweigen von der Aufmerksamkeit, die Frederik Heymans NFT-Video "Lament" von 2022 bei der Antwerpener PLUS-ONE Gallery erregt. Es punktet mit Androiden-Köpfen, die in der Schwebe hängende Grabsteine besingen.

Umso erstaunlicher, dass die Mehrheit der 157 teilnehmenden Galerien das Risiko eines kontroversen Auftritts lieber nicht auf sich nimmt. Selten war bei der Art Brussels, die zum letzten Mal auf dem Areal Tour & Taxis stattfindet, bevor es wieder wie in früheren Zeiten stadtauswärts auf das Messegelände der Brussels Expo geht, so viel belanglose Flachware vertreten. Selbst die Großformate des gerade verstorbenen Hermann Nitsch bei der Pariser Galerie RX kennen nur fröhliche Regenbogenfarben. Und eine Galerie wie die Brüsseler Sorry We're Closed, die früher ein Garant für einen anarchisch dekonstruierten Stand war, begnügt sich diesmal mit knallbunter Keramik von Natsuko Uchino und Künstlerschmuck. Pablo Picassos 35 000 Euro teure "Poissons" oder Max Ernsts 50 000 Euro schwere "Grand Masque" verkauften sich blitzschnell an freudig quietschende Sammlerinnen.

Auch am Stand von Alex Reding aus Luxemburg, der gerade eine Dependance in Brüssel aufgemacht hat und im Juni auch an der Kunstmesse Brafa teilnimmt, herrschte gut gelauntes Treiben. Warum es ihn in die EU-Stadt zog? "Die von dem Brexit profitierenden Pariser haben zwar ein sehr gutes Klima geschaffen. Aber damit sind auch die Mieten angezogen. Eine vergleichbare Immobilie wie meine kostet in Paris das Sechsfache. Als Galerie, die mit jüngeren Positionen und mid career artists im Preissegment bis 30.000 Euro arbeitet, ist das keine Option."

Auf die Brüsseler Sammlerschaft vertraut auch die Mailänder Osart Gallery. Sie zeigt das überaus feinsinnige Werk des italienischen Konzeptkunst-Übervaters Vincenzo Agnetti, eine selten intellektuelle Position inmitten all der Stände, die der 38. Ausgabe der Messe beinahe den Anschein einer Bundesgartenschau verpassen.

Ganz vorne dabei im Wettbewerb um den blühendsten Stand die Nino Mier Gallery, die den Zugang zum "SOLO"-Auftritt von Marin Majic mit wuchernden Blumentöpfen verstellt hat. Im Innern laden surreal anmutende Gemälde in einen Menschen verschlingenden Dschungel ein. Auch die Galerie Zink Waldkirchen hat die Trends erkannt und verbindet an einem grün tapezierten Stand Töpferware mit Blumenzeichnungen. Während man bei Jahn und Jahn einen installativ etwas verwüsteten Wald von Navid Nuur durchschreitet, grüßen bei Xavier Hufkens in den Lockdowns sorgfältig kategorisierte Blumenzeichnungen von Danh Vo. Die Antwerpener Annie Gentils Gallery, die Mailänder M77 Gallery, der Südkoreaner Jason Haam, die New Yorker Sapar Contemporary und die Pariser Galerien Frédéric Moisan und Les filles du calvaire – nur um einige zu nennen – schließen sich dem grünen Eskapismus an. Je mehr der Klimakollaps naht und ein Atomkrieg den Planeten zu zerstören droht, desto ansteckender die Natursehnsucht? Ein unerfreuliches Aufwachen aus der Blase droht der Messe selbst nicht. Die Verkäufe liefen rund, ob nun der Weltuntergang kommt oder nicht.