Etel Adnan in München

Innere Landschaften

Die Künstlerin Etel Adnan war nicht nur Malerin, sie war auch Denkerin und Schrifstellerin. In einer umfassenden Retrospektive zeigt das Lenbachhaus München jetzt ihr vielfältiges Werk

Immer wieder deuten sich in Etel Adnans abstrakten Gemälden zwei Landschaften an: erstens das Gebirge, das Adnan  von ihrem Fenster in Kalifornien aus sehen konnte und das sie an ihr Geburtsland Libanon erinnerte. Zweitens der Blick aufs Meer, der für sie ebenso eine vermittelnde Rolle zwischen den Kulturen spielte. Am schönsten und reduziertesten hat Adnan das Meer erst 2020, ein Jahr vor ihrem Tod, noch mal in Pastellrosa gemalt. Dieses Meer dient jetzt als Plakat für ihre erste deutsche Einzelausstellung im Lenbachhaus, die an ihren internationalen Durchbruch auf der Documenta 13 anknüpft.

Sogar in der Form von Adnans meterlangen Leporellos, die sich in Vitrinen entfalten dürfen, finden Gebirge und Wellen wieder eine Entsprechung. Aber ganz so leicht ist die Bildsprache von Etel Adnan nicht zu entschlüsseln. Niemand weiß mit Sicherheit, was dieses rote Quadrat ist, das auf etlichen ihrer Bilder wie ein Fluchtpunkt oder eine Leerstelle auftaucht. Trotzdem kann man mit Blick auf ihr Lebenswerk fast von einem Zeichensystem sprechen: Ihre knalligen Farben mochte Adnan so gerne, dass sie sie am liebsten unvermischt, direkt aus der Tube, auf die Leinwand spachtelte. Das macht ihre typischen Farben so wiedererkennbar.

Ernsthaft und lebensfroh

Zuallererst war Adnan Schriftstellerin. Sie schrieb auf Französisch oder Englisch, das Arabische ­beherrschte sie nicht gut genug, um darin zu dichten. Stattdessen verwendete  sie die arabischen Schrift­zeichen als Bildmotive, fast wie Ornamente. So kam  sie zu dem Schluss, die Abstraktion verhalte sich zur Malerei so ähnlich wie  die Poesie sich zum Schreiben – zumal in einer unbeschreiblichen Welt, die zerrüttet wurde von Kriegen und "arabischen Apokalypsen" (ein eigener Leporello erzählt von diesen Konflikten).

Der Mittelweg, den Etel Adnan in vielen Fragen wählte, hat das Zeug dazu, alle Besucher der Ausstellung mit der Welt zu versöhnen. Ernsthaft und lebensfroh wirken Adnans eher kleinformatige Gemälde im länglichen Kunstbau des Lenbachhauses, der ihre Schaffensphasen wie ein langer Leporello entfaltet.