Fazit Venedig-Biennale

Es wuchs, flatterte und züngelte

Simone Leighs Skulptur "Brick House" in der Hauptausstellung der Venedig-Biennale 
Foto: Felix Hörhager/dpa

Simone Leighs Skulptur "Brick House" in der Hauptausstellung der Venedig-Biennale 

Am Wochenende geht die 59. Kunstbiennale in Venedig zu Ende. Die Hauptausstellung gab überzeugende Antworten auf drängende Fragen. Nur sich selbst reflektierte sie zu wenig

Zum Finale der 59. Biennale regnete es wie aus Eimern. Fünf Tage bevor die Ausstellung endgültig schließt – Sonntag der 27. November ist der letzte Tag -, wurde Venedig von der dritthöchsten Flut ihrer Geschichte heimgesucht. Der Pegel stand 173 Zentimeter über normal, die Wellen außerhalb der Lagune waren drei Meter hoch. Nur das Flutschutzsystem Mose rettete die Stadt. Ohne seine Schleusenklappen, die bei Hochwasser ausgefahren werden können, hätte man auf dem Markusplatz hüfthoch im Wasser gestanden.

Es hätte dieses monströse Naturphänomen nicht gebraucht, um noch einmal zu unterstreichen, wie drängend die Themen sind, die sich auch auf der Biennale in vielen Arbeiten wiederfanden. Das Bewusstsein von Klimawandel und ökologischer Katastrophe zog sich durch die von Cecilia Alemani kuratierte Hauptausstellung "The Milk of Dreams" wie der kleine Bach durch die Installation von Precious Okoyomon. Der grüne Garten mit den schweren Erdskulpturen, der ins Arsenale gebaut war und dort wucherte, wird als Sinnbild für die Suche nach einem neuen Verhältnis von Mensch, Tier und Pflanze im Gedächtnis bleiben.

Es wuchs, flatterte und züngelte überall auf dieser Ausstellung, doch Endzeitstimmung fand sich selten – was daran lag, dass  Alemanis überbordende Schau ihre Basis im Surrealismus fand statt im Bildreservoir der Apokalypse oder anklagender dokumentarischer Zettelwirtschaft. Mit dem Fokus auf das Surreale traf sie nicht nur zielsicher einen der wichtigsten Stränge in der unübersichtlichen Gegenwartskunst, sondern gab auch dem Kanon noch einen überzeugenden Twist, indem sie in ihrer Rekapitulation der Kunstgeschichte vor allem die weibliche Seite dieser Bewegung betonte.

Ein neues, technologieaffines, feministisches Hippietum

Die historischen Inseln mit vergessenen italienischen Futuristinnen oder historischen Mensch-Maschine-Fantasien, die sie in die Ausstellung einbaute, hätten auch einer großen Museumsausstellung gut zu Gesicht gestanden. Der zeitgenössische Teil machte sich auf die Suche nach Spiritualität, Heilung, dem Anderen der Moderne. Es ist ein neues, technologieaffines, feministisches Hippietum, das die Besucher dieser Ausstellung umfing, viele begeisterte und vielleicht auch ein bisschen benebelte.

Wie viel Publikum diese erste postpandemische Venedig-Biennale angezogen hat, werden wir erst wissen, wenn der Vorhang endgültig gefallen ist – die Biennale 2019 hatte knapp 600.000 Besucherinnen und Besucher, gut möglich, dass die Zahl übertroffen wird. Immerhin war es die längste Biennale, die es je gab: Wegen der Osterfeiertage rückte die Eröffnung noch weiter vor als sonst, so dass sich am Ende nicht weniger als 218 Öffnungstage ergaben – mehr als doppelt so viel wie beispielsweise die Documenta, die sich auch von den Verlockungen der Ticketeinnahmen nicht vom Prinzip des Museums der 100 Tage abbringen lässt.

Während also andere Ausstellungen eröffneten und wieder schlossen, Debatte und Streit aufflammten und wieder erlahmten, lief diese Venedig Biennale weiter und weiter, einigermaßen reibungslos. Thematisch war sie zwar progressiv, strukturell gab sie sich aber, anders als die Documenta, gut kompatibel mit dem Kunstmarkt. Mit ihrer knappen finanziellen Ausstattung ist die Venedig-Biennale immer auf die Unterstützung von Galerien und Mäzenen angewiesen, sonst könnte sie gar nicht realisiert werden.

Wandel im Personal, nicht in den Strukturen

Nur mit einer potenten Galerie wie Pace im Rücken konnte beispielsweise Simone Leigh ihren Auftritt finanzieren, die mit ihren monumentalen Bronzeskulpturen auf der Hauptausstellung einen Goldenen Löwen gewann und dazu noch den US-amerikanischen Pavillon mit viel Bast in eine traditionelle Hütte verwandelte.

Der Wandel zeigt sich also weniger in den Strukturen als im Personal: Viele Künstlerinnen dieser sehr weiblichen Biennale werden wir auch in den nächsten Jahren wiedertreffen, wie die Roma-Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas, die mit ihren epischen Stickerei-Tableaus den polnischen Pavillon bespielte. Ob eine immer weiter wuchernde Großausstellung in einer untergehenden Stadt aber überhaupt noch zeitgemäß ist und wie das alles mit ökologischer Nachhaltigkeit kompatibel sein könnte, diese Frage ist offen geblieben. Vielleicht ist das ja ein Thema für die nächste Ausgabe der traditionsreichsten Biennale der Welt.