Film über PJ Harvey

Harte Schnitte zwischen Elend und Geplänkel

Der Film "A Dog Called Money" zeigt die Entstehung eines Albums der britischen Musikerin PJ Harvey. Um Inspiration zu finden, reist sie in Krisengebiete und Flüchtlingslager - und wandelt dabei auf schmalem Grat zwischen Anteilnahme und Elendsvoyeurismus

“Bitte nicht die Scheiben anfassen", unterweist noch ein Techniker das Publikum, das zu der Live-Performance ins Somerset House in London geströmt ist. Die Sorge ist unberechtigt. Kaum fängt PJ Harvey mit der Aufnahme-Session ihres Albums "The Hope Six Demolition Project" von 2016 an, wird es auf der anderen Seite des schallisolierten "Aquariums" still. Niemand bewegt sich. Oder wagt eine Geste der Begeisterung.

Vielleicht liegt das daran, dass die Musiker, obwohl zu Schauobjekten degradiert, es mühelos schaffen, die Anwesenheit der Zuschauer auszublenden. Sie albern herum, probieren fremdartige Instrumente aus und halten ein Schwätzchen. Die gute Laune ist beinahe ansteckend, wären da nicht die anderen Bilder. Vom Krieg, Verwüstung, Flucht und Armut.

Plötzlich steckt man mit der britischen Indierock-Sängerin in Kabul fest und der Kontrast könnte nicht größer sein. Hier die Ann Demeulemeester tragende Dichterin und Komponistin von Film-Soundtracks, glamourös und hoch professionell, dort das nackte Elend und eine latent aggressive Stimmung, die jeden Moment eskalieren kann.

Alltag im Kabuler Chaos

Darf die das, fragt man sich sogleich. Der irische Kameramann und Regisseur Seamus Murphy, der schon vor Jahrzehnten das Land als Fotojournalist bereist hat, folgt Harvey auf Schritt und Tritt. Sie mischt sich unter afghanische Musiker, spielt mit Kindern, schaut in eine Mädchenschule hinein und beobachtet einen ausschließlich von Männern besuchten Ringkampf. Das alltägliche Leben geht im Chaos scheinbar ungerührt weiter.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Anteilnahme und Elendsvoyeurismus, den Harvey unter der Regie von Murphy hier riskiert. Und es dauert auch eine Weile, bis man sich nicht mehr wundert, dass sie ausgerechnet in einem Minenmuseum auf einem verstimmten Flügel eine Privat-Session zum Besten gibt. Auf der Audio-Ebene sind ihre Recherchen mit Informationen aus Zeitungsartikeln unterlegt, die sie aufgeschnappt hat. Hier gibt sie sich reflektiert und scheut keine noch so bestürzende Einordnung des Gesehenen.

Die assoziativ springenden Momentaufnahmen fügen sich zu einem eigenwilligen Kaleidoskop von Eindrücken. Sie werden die melancholisch-wütende Atmosphäre des späteren Albums bestimmen. Weitere Inspirationen findet das Team im Kosovo und den sozialen Brennpunkten von Washington, wo afroamerikanische Jugendliche im Schatten des Capitol Hill mit der Brutalität der Straße aufwachsen.

Eine Magie, bei der die Empathie auf der Strecke bleibt

Harvey mischt sich unter sie, hört sich ihre Geschichten an und besucht vom Gospel getragene Gottesdienste der Baptisten-Gemeinde, die bereitwillig die Songs der Fremden in ihre eigene Musiksprache transformiert. Unzählige Gesichter, auch die von hochgerüsteten Soldaten und Flüchtlingen an der griechischen Grenze, gleiten an der Kamera vorbei. Nicht jeder Schnitt ist wohl gesetzt, wenn auf Gewalt kommentarlos das kollegiale Scherzen der Band folgt.

Eigentlich erstaunlich, denn Harvey fordert den Zufall nicht gerade heraus. Spätestens im Studio ordnet sie das Durcheinander in ihrem Kopf auf einer Schautafel, spontan passiert hier nichts. Der Suchprozess, den der Dokumentarfilm mit Sinn für die Perspektive und den Überlebenswillen der Porträtierten feiert, ist Arbeit im besten Sinne. Mitunter bleibt die Empathie zwar etwas auf der Strecke. Aber das Ergebnis, ein bis ins letzte Glied durchdachtes und durchlebtes, beinahe altmodisches Konzept-Album, verströmt pure Magie.