Temporäre Kunsthalle Berlin

Finale furioso!

Wenn die Zeit der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz diesen Sommer zuende geht, dann lassen sich rückblickend anhand ihrer die großen Jahre der Gegenwartskunst in Berlin ablesen: Als zu Weihnachten 2005 Coco Kühn und Constanze Kleiner im Palast der Republik eine Gruppenausstellung organisierten, die von Thomas Scheibitz zusammenstellt wurde, da wurde erstmals offensichtlich, wie viele gute, erfolgreiche junge Künstler in Berlin leben. Und wie wenig man von ihnen mangels Engagement der Institutionen in Berlin selbst zu sehen bekam.

Es entstand die Idee für eine Kunsthalle: ein nichtkommerzieller Ausstellungsraum mit wenig Verwaltungsballast und Nähe zur Szene, die inzwischen große internationale Beachtung gefunden hatte – außer eben in Berlin selbst.

Bis Monopol durch eine kulturpolitische Kampagne den Senat aufmerksam machte auf den internationalen Publikumsmagneten Gegenwartskunst: Wir publizierten architektonische Vorschläge für eine temporäre Ausstellungshalle auf dem Schlossplatz, freundlicherweise beigesteuert von namhaften Büros wie Sauerbruch+Hutton. Und Oberbürgermeister Klaus Wowereit und sein Kultursenator André Schmitz waren plötzlich interessiert – zumal  sie ausnahmsweise nicht um Geld gebeten wurden.

John Bock toppt alles
Privat finanziert, realisierte ein Team um den Österreicher Adolf Krischanitz gemeinsam mit den beiden Ideengeberinnen Kühn und Kleiner 2008 die Kunsthalle auf dem Schlossplatz. Doch während das Programm – mehr oder weniger beliebige Einzelausstellungen – anfangs arg schwächelt, wird die Kunststadt Berlin immer mehr gestärkt: Durch neue Museumsleute, zugezogene etablierte Galerien, Neueröffnungen. Und immer wieder durch zahllose Off-Veranstaltungen der stetig wachsenden Gemeinde der Gegenwartskünstler und ihrer Freunde.

Erst als das unbewegliche Kuratorium auseinanderfällt, besann sich die Kunsthalle wieder auf alte Stärken und überließ Künstlern das Ausstellungsmachen: Karin Sander, Kirstine Roepstorff, Thilo Schulz verwirklichten herausragende Gruppenschauen. Doch das Finale von John Bock überbietet mit der von ihm kuratierten Ausstellung "FischGrätenMelkStand" alles, und auch noch vieles, was in den etablierten Häusern zu sehen ist.

Ein viergeschossiges Stahlgerüst, ausgebaut mit einer unübersehbaren Menge von lustigen, krautigen, stillen, wirren, zarten oder auf Krawall gebürsteten Mikro-Ausstellungen, lässt den kantigen Kubus fast vergessen. Stattdessen muss man im ersten Stockwerk durch einen Wohnwagen krabbeln, über mindestens sieben schwankende Bauarbeiterbrücken gehen, sieht ganz oben eine auf den Kopf gedrehte Gartenhütte oder steht andächtig auf einer ordentlich schiefen Ebene zwischen einem Sergej-Jensen-Gemälde und einer Skulptur von Heimo Zobernig.

Die Kunsthalle macht die Kunsthalle überflüssig
John Bock macht nicht nur gute Installationen für seine Performances und Filme, er ist auch ein wirklich talentierter Ausstellungsmacher. Statt die Werke von mehr als sechzig Künstlern einer ausformulierten kuratorischen These unterzuordnen, hat Bock nichts weiter als seine chaotische, ziemlich körperlicher Art der Inszenierung zur Hand, die allerdings bisweilen kongenial mit den Werken seiner Kollegen korrespondiert. Großartig zum Beispiel ist der Kippenberger-Raum, ausstaffiert mit sorgsam aneinander gesetzten verkokelten Pizzen als Raumtrenner. Und die mit einer Wandmalerei von Franz Ackermann ausgestaltete letzte Nische im obersten Stockwerk bildet für eine Videoarbeit von Rirkrit Tiravanija einen anachrchisch-sakralen Rahmen. Auch wenn Bock selbst auf der Künstlerliste nicht auftaucht, macht die Ausstellung deutlich, mit welcher Akribie er eigentlich arbeitet - trotz aller scheinbaren Entgrenztheit seiner eigenen Zahnpasta-Orgien.

Wenn nach diesem Sommer die Kunsthalle abgebaut wird, dann wird sich in den fünf Jahren seit den Anfängen unglaublich viel ereignet haben. Unter anderem schließt dann auch Olafur Eliassons erfolgreiche große Einzelausstellung im Gropiusbau. 2005 kannten seine Nachbarn im Gegenwartsmuseum Hamburger Bahnhof ihn nur vom Hörensagen. Dass Berlin jetzt keine Kunsthalle mehr braucht, ist unter anderem der Kunsthalle zu verdanken.


Bis 31. August 2010