Netflix-Serie "King of Stonks"

"Das ist eine große Liebeserklärung an die Kunst"

Falsche Firmen, falsche Gewinne, aber hohe Aktienkurse: Der Düsseldorfer Regisseur Jan Bonny hat gerade mit der Kölner Bildundtonfabrik eine Netflix-Satire vorgelegt, die sich grob am größten deutschen Finanzbetrug der Geschichte abarbeitet: den Wirecard-Fall. "King of Stonks" ist nicht nur eine dramatisch-komische Betrachtung von Money-Makern auf dem Weg nach oben, die den Aktienkurs auf ihrem schmierigen Grinsen wieder runterrauschen, sondern auch eine feine Betrachtung des Kunstmarkts. Und dabei eine klug kuratierte Schau deutscher Gegenwartskunst

Herr Bonny, welche Kunst hängen Finanzmarkt-Betrüger eigentlich an ihre hohen Wände?

Bilder, die ordentlich scheppern. Hauptsache, es wird mal was wert sein. Das ist ja so lustig an der ganzen Flachware, dass die vielleicht mal richtig teuer wird.

Sie haben Ania Kolyszko – vorher Museum Ludwig – für die Serie als Kuratorin engagiert. Ist das nicht etwas übertrieben?

Ich habe schon länger echte Kunst in meinem Filmen, wobei der Begriff "echt" natürlich Quatsch ist. Aber schon bei "Über Barbarossaplatz" wollte ich reale Arbeiten, denn so nachgemalte Sachen aus dem Fundus finde ich komisch. Das ist, als wenn die Fenster nur aufgemalt wären. Bilder verweisen ja auf etwas, sind Öffnungen in andere Räume. Damals hat mein Freund Alex Wissel, der bei Rosemarie Trockel studierte, mit dem Kölner Galeristen Alexander Warhus zusammen die Bilder ausgewählt. Ania kenne und schätze ich auch schon länger und sie hatte grade eine eigene Filmproduktion gegründet mit dem super Namen ATM. Das passt natürlich perfekt in unserer Referenzgewitter.

Auch in den Kieler Tatort haben Sie Kunst geschmuggelt. Ist das nicht Perlen vor die Säue?

Wir wollten gucken, was passiert, es löst ja Reibung aus. Dahinter steckt weniger didaktischer Ehrgeiz als hintergründiger Witz. Der Kommissar hat einen Rucksack des Tatverdächtigen gefunden und darin war Videokunst von Henning Fehr und Philipp Rühr. Der hat sich das dann angeguckt, völlig unkommentiert. Das sind gute Risse in der Oberfläche einer Genre-Erzählung.

Es ist also Ihre eigene Freude, die die Kunst begründet?

Es ist immer gut, darüber nachzudenken, ob man über die Arbeit von jemand anderen an die eigenen Erzählungen rankommt. Referenzen verknüpfen die eigene Arbeit mit Gegenwart und Vergangenheit. Beim Tatort war das eher ein Streich. Bei "King of Stonks", wo der Kunstmarkt eine Parallelerzählung ist, bekommt es eine andere Funktion. Kunst dient als Spiegelebene zum Finanzmarkt. Sie macht einen anderen Ausschnitt der Absurdität sichtbar. 

Zum Beispiel mit dieser Kunstsendung, die immer wieder auftaucht.

Genau, in "Der richtige Riecher" geht es eigentlich nur darum, dass man mit Kunst Kohle machen kann. Die Arbeiten, die darin vorgestellt werden, sind übrigens auch real. Der Strohhalm von Lukas Müller oder, na klar, drunter geht's nicht: ein Triptychon von Magdalena Kita.

Ein Kunstwerk sei nur den Preis wert, den jemand bereit sei, dafür zu zahlen, heißt es in der Sendung.

Phillip Kässbohrer, neben Matthias Murmann Produzent und Hauptautor, hat diesen schönen Satz geprägt. Wenn man versucht, ihn zu Ende zu denken, löst sich alles in Aberwitz auf, das muss man aushalten. Eine weitere Verkörperung des Marktes ist Uschi Glas, die eine Sammlerin spielt, und die diese merkwürdige Arbeit in ihren Räumen hat: Ein Gorilla, der auf Aktien wettet. Das auch noch erfolgreich. Und die Sammlerin ist es, die dann ihr Geld der Shortsellerin zur Verfügung stellt, um gegen Cablecash zu wetten. Das sind alles tolle Kaskadeneffekte zwischen Finanz- und Kunstmarkt.

Ist Uschi Glas' Rolle eine Anspielung auf Julia Stoschek? Schließlich ist ihre Sammlung in Düsseldorf.

Nein, nicht direkt eine Anspielung. Aber die Figur von Uschi Glas ist natürlich eine, die viele Personen und Beobachtungen in sich vereinigt, auch die Doppelrolle von Kunst als Objekt mit Anlagewert und gesellschaftlicher Anerkennung. Wir haben uns Stoscheks Sammlung als Drehort natürlich angeguckt, aber haben dann in der Sammlung Philara von Gil Bronner gedreht, eine andere große Privatsammlung in Düsseldorf. Für unsere Erzählung waren das die besseren Räume. Aber das Leben befördert dann immer noch tolle andere Dopplungseffekte. Der sehr schöne und Düsseldorf-mässige Club "the Paradise Now", in dem Cablecash den bevorstehenden Börsengang feiert, ist genau der Laden, in dem Stoschek kürzlich das Jubiläum ihrer Sammlung feierte.

Und wusste sie das? 

Ach, bestimmt nicht. Sie hat auf ihrem Instagram-Account wahrscheinlich ungefähr die gleichen Bilder von der Party, wie wir in unserer Serie, möglicherweise auch mit Überschneidungen im Publikum.

Welche Funktion können Referenzen noch erfüllen?

Viele deutsche Filme der letzten 20, 30 Jahren fangen irgendwie immer wieder von vorne an, es gibt da eine komische Geschichtsvergessenheit. Als ob es keine Filme vorher gegeben hätte, auf die man sich beziehen kann, keine Traditionen. Von denen man Figuren oder Themen entleiht, die man weiter denkt. Sie spielen in merkwürdigen ortlosen Welten. Das ist alles Mist. Identitätsloser Kram. Einfach nur Produkte. Es gibt im Übrigen diese schöne Geschichte von Polanski, oder von Dreyer? Der darauf bestanden hat, dass man in allen Räumen, die eingerichtet wurden, auch die Schränke befüllen musste. Wenn also die Schauspieler Schubladen aufreißen, müssen da auch Unterhosen drin sein. Und zwar die richtigen, die passen. Das ist richtig - und dann muss auch die Kunst an der Wand echt sein, so einfach ist das.

Was war der Auftrag an Kuratorin Ania Kolyszko? 

Vor allem sollte Ania den Figuren Arbeiten geben, die ihnen als Figuren gerecht werden und sie auch erzählerisch erweitern. 

Felix, der junge österreichische COO, der an der Person Jan Marsalek angelegt ist, hat in seiner Wohnung moderne Malerei.

Und er hat in seiner kaum eingerichteten Wohnung noch nicht-ausgepackte Bilder stehen. Die hat er mal irgendwo gekauft, weil man halt Kunst kauft, aber so richtig weiß er noch nichts damit anzufangen. Drei Bilder von Kenneth Bergfeld hat er allerdings schon sichtbar positioniert, eigentümliche Porträts. In denen er sich vielleicht wiedererkennt. Sein Chef Magnus hat eine Affenskulptur von Jörg Immendorff. Der große Affe mit dem kleinen Affen.

Die Szene mit dem Immendorff-Affen wurde in einer Düsseldorfer Villa gedreht. Können Sie sagen, wem die gehört?

Sehr netten Motivgebern. Die einzige spürbare Irritation bei ihnen gab es, als unserer Ausstattung und Ania, deren Kunst abgehängt haben. 

Weil sie ihre eigene Auswahl kritisiert sahen? 

Ja, ich glaube, das war eine befremdliche Infragestellung. Sie haben ihre Bilder, glaub ich, doch als ihren eigenen Ausdruck empfunden. Aber Ania war das sehr wichtig für die Serie. Denn ich glaube die Art, wie wir mit der Kunst umgehen, entspricht auch der Art, wie wir mit den Figuren umgehen. 

Inwiefern?

Wir amüsieren uns natürlich auf eine Art und Weise über die Ernsthaftigkeit, mit der man mit Kunst umgeht, die Bedeutung, die ihr zugeschrieben wird und auch über den obszönen finanziellen Aspekt. Aber gleichzeitig nehmen wir das alles ernst. Genauso gehen wir mit den Figuren um. Wir amüsieren uns, aber auf Augenhöhe. Und wir amüsieren uns vor allem über uns selbst. Denn wir sind ja leider nur selten weniger große Pfeifen als unsere Figuren. Die Art von Zärtlichkeit muss es haben.

Es ist auch ein zärtlicher Prozess zu überlegen, was die Figuren sich so reinhängen. Würden Sie sagen, Felix will spekulieren mit seiner Kunst und Magnus will sich präsentieren? 

Also ich glaube, wenn die "Dinger" mal mehr wert sind, findet Magnus das auch super. Felix kommt aus einer anderen Ecke, dem ist das eigentlich gar nicht so wahnsinnig wichtig mit der Kunst. Das ist ja alles auch eine unheimlich mühsame bürgerliche Geheimwissenschaft voller Codes und Inner-Circle-Fun, da braucht man eine Menge Tagesfreizeit, um dem nachzukommen. Das ist Felix alles ein bisschen zu viel. Magnus hingegen muss sich gegen seinen Schwiegervater behaupten. Er schenkt dem ja auch eine Flasche Wein aus der untergegangenen Titanic und verteilt ihn an die Gäste: "Schlückchen Titanic-Wein?" Magnus muss gegen das alte Geld anstinken, die ganze Nazi-Kohle der Familie seiner Frau und den anderen Pfeffersäcken. Und dazu gehört, wie wir wissen, der souveräne eklektische, souverän nachlässige Umgang mit Kunst. 

Er stellt sich also die alten großen Namen hin. 

Kunst an der Wand erfüllt für Magnus noch die klassische Funktion: Man holt sich ein Bild für 40.000 Euro und hat deswegen mal wieder einen Grund, seine Freunde zum Dinner einzuladen.

Versichert man diese Kunst am Set eigentlich? 

Klar. Wir hatten bei einem anderen Projekt schon mal den Fall, dass eine eher unauffällige Arbeit hinterher von Mitarbeitern überstrichen worden ist. Hat dann auch zurecht zu langen Gesichtern geführt.

Das ist die Rache der Ausstattung, die sauer ist, dass da jetzt echte Künstler hängen und sie nicht mehr die echten Künstler sein können. 

Wobei jedes Gewerk bei meinen Filmen ein eigener künstlerischer Beruf ist, Ausstattung, Kostüm, Kamera, die Drehbücher sowieso, alles Künstler nach eigenem Recht.

Also hängt die Kunst da nicht der Kunst willen, sondern vor allem, um die Borniertheit der Kunstszene darzustellen?

(lacht) Nein! Das ist eine große Liebeserklärung an die Kunst. Wir versuchen die Kunst mit dem Leben zu verschränken. Denn wo fällt denn sonst so ein schöner Satz wie: "Schau mal, die Immendorff-Affen, die sind wie wir."