Präsentation in Karlsruhe

Flüchtlingsdrama als Spiel

Karlsruhe (dpa) - Der dunkelhäutige Mann steht verloren in einem Containerhafen und schaut sich suchend um. In einem dieser Blechkisten ruht seine Hoffnung auf die ersehnte Reise nach Europa. Doch die Schritte der Grenzpolizisten kommen näher. Eine Szene aus dem Computerspiel «Frontiers», das die österreichische Künstlergruppe Gold Extra am Mittwoch im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe vorgestellt hat.

   Die Spieler können sich entscheiden, ob sie als Flüchtling den gefährlichen Weg über die Grenze nehmen, oder ob sie als Grenzsoldat die afrikanischen Flüchtlinge festnehmen. Dabei können sie auch auf die Fliehenden schießen, allerdings gibt es dafür Abzüge. «Wer zu viel ballert, bekommt Minuspunkte. Zudem müssen die Polizisten dann zu einer Fortbildung über Menschenrechte», erläutert Karl Zechenter von Gold Extra das Konzept.

   Die Künstler haben für das Spiel intensiv recherchiert und Grenzstationen in Marokko besucht. Die Spielorte entsprechen in vielen Details der Realität. Zudem haben die Spielentwickler Flüchtlinge, Hilfsorganisationen und auch Sprecher der Grenzsoldaten interviewt. «Die Flüchtlinge wollen, dass wir ihre Geschichte erzählen. Sie haben auch ausdrücklich ihr Einverständnis gegeben, dass wir ihre Physiognomie für die Computerfiguren verwenden dürfen», erklärt Tobias Hammerle von Gold Extra.

   Sein Kollege Jens Stober, der Medienkunst in Karlsruhe studiert, hatte vor rund eineinhalb Jahren mit einem Ableger von «Frontier» heftige Debatten hervorgerufen. Zum Jahrestag des Mauerfalls erarbeitet er das Spiel «1378 (km)», in Anlehnung an die Länge der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Die Spieler konnten in die Rolle eines unbewaffneten Republikflüchtlings schlüpfen oder in die eines DDR-Grenzsoldaten, der auf die Flüchtlinge schießt.

   Dagegen war unter anderem die Stiftung Berliner Mauer Sturm gelaufen. Sie hatte dem Entwickler Menschenverachtung und Gewaltverherrlichung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, fand jedoch keine Anhaltspunkte für die Vorwürfe. Zudem äußerten sich einige Opfer des DDR-Regimes auch positiv über die ungewöhnliche Vermittlung von Geschichte.

   «Die Debatte bei "Frontiers" ist bislang ganz anders gelaufen», sagt Zechenter, der seit etwa vier Jahren an dem Spiel bastelt. Für den letzten Schliff sorgten in den vergangenen Monaten rund 40 000 Nutzer, deren Anregungen in die Endversion eingearbeitet wurden. «Bei uns melden sich zum Beispiel Konfliktforschungsinstitute, um das Spiel zu nutzen. Und auch die Hilfsorganisationen stärken uns den Rücken.» Die Entwicklung des Spiels sei außerdem überwiegend mit Zuschüssen aus europäischen Kunstfördertöpfen finanziert worden.

   Und was sagen die Spieler? «Viele sind anfangs irritiert, dass zum Teil andere Regeln gelten», erzählt Sonja Prlic. «Es gibt dann immer wieder Debatten, warum man nicht einfach rumballern kann oder was das Geballere überhaupt soll.» Auch die letzte Station des Spiels, ein Traum-Raum, ist ungewöhnlich. Dort können unter anderem die Interviews mit den Flüchtlingen abgerufen werden. Jeder Spieler muss dort mindestens fünf Minuten verweilen, bevor er wieder mit der Flucht beginnen kann. Insgesamt hat das kostenlose Spiel fünf Levels.

   Für den Karlsruher Kunsthistoriker Bernhard Serexhe vom ZKM hat die Künstlergruppe ein neues Kapitel der sogenannten serious games (ernsthafte Spiele) aufgeschlagen. «Dem Spiel gelingt es, ohne moralischen Zeigefinger das Problem an Europas Grenzen aufzuzeigen.» (Ingo Senft-Werner, dpa)

"Frontiers" kann unter www.frontiers-game.com kostenlos heruntergeladen werden