Videokunst bei Fluentum

Auf der Suche nach der eingefangenen Zeit

In der Berliner Videokunstsammlung Fluentum will die Ausstellung "Time Without End" dem Faktor Zeit auf die Spur kommen. Die gezeigten Werke erzählen von deutscher Nachkriegsgeschichte, aber immer auch von der Gegenwart

Eine Armbanduhr wird zerlegt und wieder zusammengesetzt. Ist das nicht ein bisschen billig: ein Zeitmesser in einer Gruppenschau über die Zeit? Nein, denn Valerie Snobecks Videoarbeit "Go Soft", auf eine der großen Ausstellungswände der Fluentum-Collection projiziert, zeigt ja auch die winzigen Werkzeuge und die Hände des Uhrmachers, rückt den Arbeitsvorgang der Reparatur in den Fokus. Während die Uhrzeiger stillstehen, werden geübte Handgriffe ausgeführt. Der Film dauert genau 60 Minuten, etwa nach der Hälfte taucht auf einem Zahnrad das eingravierte Logo des Ölkonzerns Shell auf. "Go Soft" handelt von einer Arbeitsstunde, zugleich aber auch von "Zeit" im historischen Sinn: In den 1940ern vertrieb die Firma die Uhr als Werbegeschenk, geölt mit einem Shell-Produkt – und daher besonders langlebig, hieß es.

Überhaupt wird in der Ausstellung "Time Without End" vielfach auf das Jahrzehnt zurückgeblickt, in dem ein Weltkrieg wütete und die Welt neu aufgeteilt wurde. Fluentum ist ja selbst Echoraum dieser Epoche, denn das Gebäude war Teil einer von den Nazis geplanten Luftwaffenzentrale. 1945 zog die US-Armee ein. Das Haupthaus des in Berlin-Dahlem liegenden Komplexes (heute teils Konsular-Abteilung der Vereinigten Staaten, teils Eigentumsanlage) wurde 2016 vom Unternehmer und Videokunstsammler Markus Hannebauer erworben und zum Kunsthaus umgebaut.

Ausgehend von der Architektur und ihren Bedeutungsschichten wurde die Programmreihe "In Medias Res: Media, (Still) Moving" entwickelt, die mit der aktuellen, von Dennis Brzek und Junia Thiede kuratierten Ausstellung um die "Texturen von Zeit, Geschichte und Narration" startet. Der Begriff "zeitbasierte Kunst" wird hier durchaus weit gefasst. Die Künstlerinnen Anja Kirschner und Loretta Fahrenholz, die ab April beziehungsweise September 2022 ihre Soloausstellungen "In Medias Res" präsentieren werden, sind aber primär durch ihre filmischen Arbeiten bekannt.

Ein Spiegel der Geschichte

Fahrenholz mischt sich schon jetzt mit einer Dia-Installation ein: Für "Story in Reverse" hat die Künstlerin freischaffende Illustratorinnen und Illustratoren damit beauftragt, Ilse Aichingers 1949 verfasste "Spiegelgeschichte" zu bebildern. Indem Fahrenholz die Beiträge mithilfe der Online-Dienstleistungsplattform Fiverr zusammenstellte, weist sie auf die prekären Arbeitsverhältnisse innerhalb des sogenannten Plattformkapitalismus hin. Die parallel aus verschiedenen Diaprojektoren gezeigten bildnerischen Interpretationen ergeben das Porträt einer heutigen sozialen Klasse, während Aichingers Vorlage im Zeitraffer vom Leben einer einzigen Frau erzählt, das die Schriftstellerin rückwärts ablaufen lässt.

Man kann in der "Spiegelgeschichte" eine Vorform des Loops erkennen, einer inzwischen klassischen Form in der Videokunst. 1969 hat der Medienkünstler Klaus vom Bruch einen kurzen Filmclip aus dem Hollywood-Melodram "Leave Her To Heaven" (1945!) zum Loop umgestaltet. Da sitzt die schöne Gene Tierney mit Buch in einem Zugabteil. Sie schläft beim Lesen ein, lässt den Roman sinken, der Band fällt zu Boden. Bei vom Bruch kommen die Filmbilder nur im Schluckauf-Modus voran und ruckeln schließlich zum Ausgangspunkt zurück: zur Lesenden mit dem aufgeschlagenen Einband "Time Without End". Der Titel wurde dann für die Videoarbeit übernommen – und jetzt auch für die Fluentum-Schau.

Florian Wüst versammelt Dokumente über "Politische und kulturelle Verhältnisse in West-Berlin", die vor allem die deutsch-amerikanischen Beziehungen bis 1990 beleuchten. In zwei Raumnischen präsentiert Wüst – Filmkurator unter anderem für die Transmediale – auf Monitoren Filmmaterial zur nie so ganz ungetrübten transatlantischen Freundschaft. Nur ein Beispiel: Bing Crosby singt "White Christmas" – und Harun Farocki setzt in seinem gleichnamigen Agitpropfilm von 1968 grausame Vietnamkriegs-Bilder dagegen.

Die "Inglorious Basterds" im Foyer

Popkultur und Nachkriegsgeschichte treffen in einer Filmcollage der kalifornischen Künstlerin D’Ette Nogle hart aufeinander. Das Video "materialoutpost" wurde eigens für die Schau produziert, sein Titel erinnert an das US-Truppenkino Outpost, heute Teil des Alliierten-Museums unweit vom Ausstellungsort. Beide Orte sind beliebt als Filmlocations. Zehn Jahre, bevor das Fluentum eröffnete, drehte Quentin Tarantino im Marmor-Foyer Szenen für "Inglorious Basterds".

Die "Bauteile" der Traumfabrikation – ob es nun Architekturen oder Objekte sind – sind mehrfach Gegenstand der Ausstellung. So zeigt der Film "Corpse Cleaner" des Kollektivs 13BC eine Kamerafahrt durch ein Lager in Los Angeles, in dem Staffagearchitekturen, Kulissenteile und props für Filme aufbewahrt werden. Auf der Tonspur wird unter anderem der jüdisch-deutsche Philosoph Günther Anders zitiert, der vor den Nazis in die USA floh und sich dort als Reinigungskraft für Filmrequisiten verdingte. "Wir fliehen vor den Originalen", schrieb Anders in einem Brief, später habe er dann "die Duplikate" abgestaubt.

13 Wochen Lichtspiel

Statt in die Asservatenkammer der Filmindustrie zu schauen, hat Keren Cytter gleich einen kürzeren Spielfilm produziert. "Fashions" (2019) erzählt von drei Frauen in einem Haushalt: einer unglücklich verliebten jungen Frau, ihrer Mutter – einer passionierten Kantinenköchin – und der Großmutter, die meistens still auf dem Sofa sitzt. Die Konstellation erinnert ein wenig an Edvard Munchs Bildmotiv der "Drei Lebensalter der Frau". Verkompliziert wird Cytters halbstündiger Film durch (real existierende) Horrorbilder und Bild-im-Bild-Sequenzen. Letztere schaffen den Eindruck einer engen Verbindung des fiktiven Raums mit der Realität des Film- und Ausstellungspublikums.

Margaret Honda recycelt in ihrer Installation "Film (Fluentum)" insgesamt 36 Scheinwerfer-Farbfilter, die sonst in der Filmproduktion eingesetzt werden. So lange die Ausstellung läuft, wird das Kirchenfenster-artige Farbmuster in einem Fenster im Obergeschoss nach einem festgelegten Szenario schrittweise verändert. Ein 13-Wochen-Lichtspiel, ein Farbfilm, in dem auch die Betrachterinnen mitspielen. Hier und jetzt und morgen.