Ausstellung zum Anschlag von Hanau

"Es ist an der Zivilgesellschaft, die offenen Fragen aufzugreifen"

Der Frankfurter Kunstverein widmet sich mit dem Kunstkollektiv Forensic Architecture und der Initiative 19. Februar Hanau dem rechtsextremen Terrorakt, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet wurden. Ein Gespräch mit Direktorin Franziska Nori

Mit dem NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel hat das britische Recherche-Kollektiv Forensic Architecture schon einmal ein rechtsterroristisches Verbrechen analysiert und mit ihrem Video den hessischen Verfassungsschutz schwer belastet. Nun haben sich die Künstlerinnen und Architekten mit ihrer deutschen Schwesteragentur Forensis und der Initiative 19. Februar den rassistischen Anschlag von Hanau vorgenommen und machen auch dort den Behörden Vorwürfe. Die Ausstellung "Three Doors" ist ab Freitag, 3. Juni, im Frankfurter Kunstverein zu sehen. 

In ihrer Arbeit setzen sich Forensic Architecture diesmal mit verschiedenen Türen auseinander. So legen ihre Recherchen nahe, dass der Notausgang des zweiten Tatorts, der Hanauer Arena Bar, wahrscheinlich verschlossen und daher auch ein möglicher Fluchtweg für die Opfer versperrt war. Dies hatten bereits Überlebende des Anschlags zu Protokoll gegeben, die Hanauer Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen jedoch ein. 

Außerdem untersuchten die Kollektive den Polizeieinsatz vor dem Haus des Täters, der dort seine Mutter und dann sich selbst erschoss. Sie legen Anhand von Bildern des Polizeihelikopters dar, dass das Gebäude lange nicht hinreichend bewacht gewesen war und der Täter theoretisch hätte fliehen können. Außerdem halten Sie nach Schallanalysen die Aussage des Vaters des Rechtsterroristen für unwahrscheinlich, er habe sich zwar im Haus befunden, aber keine Schüsse gehört. Im Hessischen Landtag hat Mitte 2021 ein Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau seine Arbeit aufgenommen. 

Außerdem geht es in der Ausstellung auch um den Fall von Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte. Nach mehreren Verfahren wurden die Ermittlungen eingestellt, obwohl Gutachten es für ausgeschlossen halten, dass sich Jalloh in fixiertem Zustand selbst in Brand gesteckt haben konnte. Mehrere Initiativen kämpfen für Aufklärung und neue Ermittlungen. Auch Forensic Architecture kommen in ihrem Video zu dem Schluss, dass der Asylbewerber aus Sierra Leone wohl getötet wurde. 

Was diese Erkenntnisse in einem Kunstkontext ausrichten können und wie die Kooperation mit dem Frankfurter Kunstverein zustande kam, haben wir Direktorin Franziska Nori gefragt.


Franziska Nori, wie kam es dazu, dass der Frankfurter Kunstverein eine Ausstellung mit Forensic Architecture zu dem rassistischen Attentat von Hanau macht? 

Hanau war ein Wendepunkt für viele Menschen, die sich als Teil unserer Gesellschaft gefühlt haben und dann doch, aufgrund ihres Aussehens vielleicht, oder aufgrund anderer Vorurteile, erleben mussten, dass sie nicht dazugehören. Das macht viel kaputt, es verunmöglicht ein Zusammenleben im gegenseitigen Respekt und im Bewusstsein, in einem geltenden Staatssystem zu seinem Recht und zu Gerechtigkeit zu kommen. Was am 19. Februar 2020 geschah, ist eines der schlimmsten rassistisch motivierten Terrorattentate, das in unserm Land passiert ist. Aber Hanau war kein Einzelfall. 2005 kam in Dessau Oury Jalloh im Polizeigewahrsam zu Tode. Seitdem, seit 17 Jahren, kämpfen seine Angehörige und die von Freunden gegründete Initiative für Aufklärung.

Und wie kam es zur Kooperation mit Forensic Architecture?

Eyal Weizman, der Gründer von Forensic Architecture und ich waren uns schnell einig, dass der Frankfurter Kunstverein, nur 20 Minuten von Hanau entfernt, der richtige Ort ist, um die neuen Untersuchungen zu Hanau der Öffentlichkeit zu präsentieren. Unser Haus liegt im Zentrum Frankfurts. Symbolisch wie real in der Mitte der Gesellschaft.

Forensic Architecture und die deutsche Schwesteragentur Forensis führen Recherchen im Auftrag der Initiativen aus. Es sind mehrere Akteure, wo stehen Sie mit dem Kunstverein in dieser Kooperation?

Gemeinsam mit der Initiative 19. Februar Hanau und der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hat Forensic Architecture/Forensis neue Untersuchungen erstellt, deren Ergebnisse in der Ausstellung zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Der Frankfurter Kunstverein hat diese mitproduziert. "Three Doors", drei Türen – die Tür der Polizeizelle in Dessau, die Notausgangstür in der Arena-Bar in Hanau und die Eingangstür zum Haus des Attentäters von Hanau stehen für drei neue Untersuchungen. Jede Tür öffnet eine neue Perspektive auf strukturellen Rassismus in deutschen Behörden, einschließlich fehlender Konsequenzen.

Das rassistische Attentat gilt juristisch als ausermittelt. Was gibt es noch herauszufinden?

Die juristischen Wege sind scheinbar zu Ende beschritten. Und so ist es an der Zivilgesellschaft, die offenen Fragen aufzugreifen, die von den staatlichen Institutionen und Behörden nicht beantwortet sind und öffentlich hörbar zu stellen. "Coalition building", die Bildung von Koalitionen, ist ein neuer Weg, auf dem die Zivilgesellschaft selbstbestimmt Aufklärungsarbeit leistet. In der Aneignung fachlicher Kompetenzen, in der Beauftragung unabhängiger Expertisen, in der Zusammenarbeit mit Anwält:innen und  Aktivist:innen, um die immer noch unvollständige Aufklärung durch Institutionen voranzutreiben.

Welche Rolle spielen die Kunst und die kulturellen Foren heute in der Gesellschaft?

Die Arbeit von Forensic Architecture/Forensis ist charakterisiert durch eine wissenschaftliche Vorgehensweise. Diese Arbeit wird international in Ausstellunghäusern präsentiert, entsteht aber oft, um bei Gerichtsverhandlungen und in juristischen Klagen als Beweismittel eingesetzt zu werden. Diese erweiterte Rolle der Kunst spielt im Frankfurter Kunstverein immer wieder eine zentrale Rolle. Über die bildwissenschaftlichen Untersuchungen und Methoden werden Tatsachen in eine neue Sichtbarkeit gebracht.

Welche?

Speziell in der Ausstellung "Three Doors" geht es um Recht und Gerechtigkeit für Menschen, die Opfer rassistischer Gewalt geworden sind. In einer Gesellschaft wie der unseren sollte man voraussetzen, dass es eine Gleichbehandlung von Menschen gibt, egal welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Wer gehört dazu, und wer nicht? Wer entscheidet, und mit welchem kulturellen Blick werden Entscheidungen getroffen? Das muss in einem permanenten Abgleich mit der Realität der Gesellschaft stattfinden. Deswegen ist dieser Sichtbarmachung ein wichtiger Schritt.