Das Design-Duo Formafantasma besteht aus Simone Farresin und Andrea Trimarchi, die ihr Studio 2009 gegründet haben und seitdem für viele große Firmen wie Rubelli, Flos, Tacchini oder Artek gestalten. Mittlerweile gehören die beiden zu den wichtigsten Designern Italiens. Was auch daran liegt, dass ihre Projekte multidisziplinär, theoretisch und politisch sind. Mit Prada Frames kuratierten sie bereits mehrmals ein Symposium und Gesprächsformat, das sich mit den Schnittstellen zwischen Design und Ökologie beschäftigt. Und auf der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile entwarfen und programmierten sie Orte für Vorträge und Diskussionen. Wir haben anlässlich ihrer Schau im Stedelijk Museum in Amsterdam mit Simone Farresin gesprochen.
Simone Farresin, "Oltre" Terra heißt Ihre aktuelle Ausstellung, worauf verweist der Titel?
Simone Farresin: "Oltre Terra" ist eine Ausstellung, die für das norwegische Nationalmuseum in Oslo in Auftrag gegeben wurde und jetzt in erweiterter Form im Stedelijk in Amsterdam zu sehen ist. Es war ein Auftrag, sich mit Wolle zu befassen. Genauer: Sich mit der Beziehung zwischen Menschen und Schafen und mit der Komplexität der Extraktion und Produktion von Dingen aus lebenden Wesen zu befassen. Der Begriff bezieht sich auf die Praxis der Transhumanz, einer Wanderweidewirtschaft, wie sie in vielen Ländern der Welt praktiziert wird. Schafe werden von den Hirten aus dem Flachland auf höher gelegene Weiden in den Bergen getrieben und dann wieder zurück, je nach Wetterlage und den Bedürfnissen der Schafe. Die italienischen Worte oltre und terra sind abgeleitet von den Begriffen trans und humus.
Ein großer Teil Ihrer Arbeit basiert auf Forschung. Diese Ausstellung untersucht die Geschichte, Ökologie und die globale Dynamik der Wollgewinnung und -produktion. Was interessierte Sie an der Wolle?
Es gibt in den Niederlanden und anderen Teilen der Welt viele Designer, die sich mit Wolle beschäftigen. Für uns war es besonders interessant, dass die Arbeit an der Ausstellung uns erlaubte, die ethischen Implikationen der Arbeit mit Lebewesen zu betrachten. Für uns ist es also nicht wirklich eine Ausstellung über Wolle an sich und ihren Nutzen im Design, sondern eher darüber, wie sich bestimmte Entscheidungsprozesse in der Industrie verändern. Für uns ist es viel wichtiger, die Politik zu betrachten oder eine neue Realität zu gestalten, als eine materialbasierte Ausstellung zu machen. Natürlich gibt es da neue Techniken und die Möglichkeit, neue Materialien zu verwenden, aber in dieser Ausstellung geht es nicht wirklich darum. Wir sind zum Beispiel daran interessiert, zu verstehen, warum, wenn wir als Bürger, als Designer, als Käufer in ein Geschäft gehen, die Wolle, die wir vorfinden, meistens Merino ist. Oder warum die Industrie dachte, dass es eine gute Idee sei, bestimmte Schafe ausschließlich für die Milchproduktion zu halten und ihre Wolle zu verbrennen oder wegzuwerfen.
Sie zeigen zum Beispiel einen Teppich von CC-Tapis, gefertigt aus vier verschiedenen Wollfasern, die von zwölf "rustikalen" italienischen Schafrassen stammen, oder ein Video, das Sie mit der Künstlerin Joanna Piotrowska erarbeitet haben.
In Oslo hatten wir auch verschiedene Leihgaben aus verschiedenen norwegischen Museen. Und nun haben wir die Ausstellung mit Exponaten aus den Niederlanden angepasst. Zum Beispiel eine eiserne Schafsglocke mit Lederhalsband oder eine traditionelle Schere für die Schur. Wir haben auch eine lokale Schafrasse aus Drenthe in die aufgenommen. Denn dieses Heideschaf ist ein gutes Beispiel für die unterschiedlichen Bedeutungen, die Schafe haben. Es wird nicht für die Fleisch- oder Milchproduktion gehalten, sondern ist für die Erhaltung der Heidelandschaft im Nordosten des Landes wichtig. Seine Aufgabe ist es also, ökologische Dienstleistungen zu erbringen. Ein Interview mit dem Schäfer einer Herde im Dwingeldervelder Nationalpark ist Teil unserer Arbeit.
Was haben Sie noch herausgefunden?
In der Ausstellung geht es um die Beziehung zwischen Mensch und Tier, die biologische Entwicklung des Tieres, aber auch darum, wie der Kolonialismus die Industrie geprägt hat. Wie wurde die Produktion von Merinoschafen in Australien fast vollständig zentralisiert? Warum führte dies zu einer völligen Veränderung der Wollproduktion in anderen Teilen der Welt? In Europa zum Beispiel führte dies zur Verschwendung lokaler Wolle, weil sie als weniger begehrt gilt. Die Zentralisierung der Wollproduktion in Australien wirkt sich auch auf die Verarbeitung, etwa das Reinigen und Waschen aus.
Ist dieser transdisziplinäre Ansatz etwas, das Sie auch in Ihrer Arbeit als Designstudio betonen? Oder gibt es für Sie keine Trennung zwischen künstlerischer und kommerzieller Arbeit?
Ich würde das eher als selbst initiierte Arbeit bezeichnen. Wir sind keine Künstler. Wir sind nicht daran interessiert, Design als Kunst zu betrachten. Wir denken nicht, dass es bei unserem Design um Selbstdarstellung geht. Natürlich ist das eine Komponente, die unweigerlich dazugehört. Aber wir sind mehr an einem interdisziplinären Ansatz interessiert, der auch Teil unserer eher kommerziellen Projekte ist. Wenn wir mit einem Unternehmen, wie zum Beispiel einer Polsterei, zusammenarbeiten, ist es fast so, als würden wir das, was wir im Museum gemacht haben, auf die Zusammenarbeit mit unserem Kunden anwenden. Soweit das gewünscht ist.
Haben Sie Beispiele?
Wir haben früher viel Forschungsarbeit zur Holzindustrie gemacht. Und so konnten wir zum Beispiel mit Artek, dem finnischen Unternehmen, das von Alvar Aalto gegründet wurde, die Art und Weise, wie sie an die Produktion herangehen, neu konzipieren. Heute verarbeitet Artek Bäume aus lokalen Wäldern in Finnland. Und sie haben die Auswahlkriterien des Holzes geändert, um auch die Eigenschaften in der Maserung, die gemeinhin als unerwünscht galt, zu verarbeiten. Dadurch benötigt das Unternehmen jetzt weniger Bäume für den Bau der Möbel. Dieser Wandel wäre nicht möglich gewesen, wenn wir nicht Zeit damit verbracht hätten, uns anzuschauen, wie die Forstwirtschaft aufgebaut ist und mehr darüber zu erfahren, wie das Holz aus dem Wald gewonnen wird und was bei diesem Prozess falsch läuft. Im Moment arbeiten wir mit einem amerikanischen Unternehmen zusammen, das Polstermöbel herstellt, und unterstützen es dabei, lokale Produktionsprozesse zu entwickeln.
Klingt nach einer Erweiterung des Designbegriffs.
Wenn wir uns Prozessen bewusst werden und erkennen, wie Objekte auch durch wirtschaftliche Interessen und historische Entscheidungen geformt wurden, können wir vielleicht andere Wege der Verarbeitung und der Materialauswahl anbieten.