Messe „Paris Photo“

Fotofieber, das aus der Kälte kam

Galerieassistentinnen im Kapuzenlook. Besucher, die ihre Handschuhe gar nicht erst auszogen. Die Vernissage der weltweit wichtigsten Fotomesse Paris Photo am gestrigen Mittwoch war zwischenzeitlich von einem Totalausfall der Gebläseheizung überlagert. Wo sonst ein andauerndes Wummern auf die im Hochbetrieb laufenden Warmlufterzeuger hindeutete, herrschte urplötzlich Stille. Bei sieben Grad Außentemperatur ließ die Abkühlung dann auch nicht lange auf sich warten. Doch der guten Stimmung unter der imposanten Glaskuppel des 240 Meter langen Grand Palais tat der plötzliche Kälteeinbruch offenbar keinen Abbruch.

Fotografieenthusiasten aus der ganzen Welt reisen seit 1996 Jahr für Jahr im November an die Seine, um sich auf der Paris Photo einen Überblick über das alle Epochen der Fotografiegeschichte umfassende Angebot der internationalen Top-Fotogaleristen zu verschaffen. Dazu gehört es, Legenden wie William Klein, Elliott Erwitt oder Hilla Becher live zu erleben und das ein oder andere Stück, sei es, einen wandfüllenden Gursky bei Gagosian oder ein signiertes Buch bei Aperture, mit nach Hause zu nehmen. Auf dieser Messe ist für jeden Geldbeutel etwas dabei. 128 Galerien, davon 37 Neueinsteiger, ergänzt um 23 Präsentationen von Verlagen und Fotobuchantiquariaten, bilden das diesjährige Teilnehmerfeld der Messe, die 2011, im ersten Jahr des Umzugs vom eng und stickig gewordenen Carrousel du Louvre ins geräumige Grand Palais, bereits mehr als 50.000 Besucher anlockte.

Auch in diesem Jahr erfüllten sich schnell die Erwartungen. Der Hamburger Fotospezialist Robert Morat, der unter anderem Jessica Backhaus und Hans-Christian Schink am Stand präsentiert, freut sich: „Entgegen meiner Erwartung ging es gleich los mit Verkäufen.“ Gleichzeitig begrüßt Morat die Expansion der Paris Photo nach Los Angeles im kommenden Frühjahr (25.-28. April 2013). „Ich bin der größte Fan dieser Messe. Und es ist großartig, dass es jetzt die Paris Photo Los Angeles gibt. Ich habe lange nach einer vergleichbaren Veranstaltung in den USA gesucht.“ Auch andere Händler konzentrieren ihre Messeteilnahmen strategisch auf wenige teure Top-Messen. Andreas Wiesner von Feldbuschwiesner aus Berlin: „Dies ist die Art Basel für Fotografie.“ Feldbuschwiesner zeigt unter anderem den mit Fotografie arbeitenden Bildhauer Thorsten Brinkmann (Arbeiten zwischen 3.800 und 15.000 Euro). „Ich hoffe, die Fotofreaks und jungen Sammler öffnen sich auch für Contemporary Art“, so Wiesner.

Und das ist auch der Knackpunkt. Während die Paris Photo ihr Profil im Bereich Vintage-Fotografie, Modefotografie und Fotoklassikern wie Richard Avedon, Steven Shore, William Eggleston oder Martin Parr exzellent ausgebaut hat, ist das Angebot an Arbeiten von zeitgenössischen Künstlern, die Fotografie als Medium einsetzen, noch recht dünn. Einen Wolfgang Tillmans etwa entdeckt man nur bei den Editeuren. Immerhin nehmen in diesem Jahr auch New Yorker Platzhirsche wie Larry Gagosian und David Zwirner teil - im Gepäck fotografische Arbeiten von Gordon Matta-Clark, Ed Ruscha oder Cindy Sherman.

Dennoch: Die Fotobegeisterung an der Seine sucht ihresgleichen. Ob fiebriges Blättern in den vielen Fotobuchraritäten oder genaues Studieren leicht schlüpfriger Aktaufnahmen aus der Anfangszeit des Mediums: Der typische Paris Photo-Besucher schaut genau hin und kommt gerne auch ein zweites oder drittes Mal. Für Orientierung sorgt diesmal ein Kultregisseur: David Lynch hat aus den Abertausenden Fotografien eine Ausstellung mit 100 Fotos kuratiert. Der Clou: Die von ihm ausgewählten Fotografien werden nicht etwa in einer Sonderzone gezeigt, sondern verbleiben in den Kojen der jeweiligen Galerien. Schwarze „Paris Photo vu par David Lynch“-Aufkleber heben einzelne Bilder aus der Masse des Angebots hervor, eine App weist den Weg. Seiner Vorliebe für surreale Momente, deformierte Körper und andere narrativ aufgeladene Motive mit einem Touch Film noir bleibt der US-Regisseur natürlich treu.

In der Vergangenheit widmete die Paris Photo einzelnen Regionen wie Afrika, der arabischen Welt oder Osteuropa einen speziellen Fokus. Messedirektor Julien Frydman, zuvor Direktor der Fotoagentur Magnum und jetzt im zweiten Jahr für die Paris Photo verantwortlich, verzichtet nun erstmals auf diese Spotlights und lässt den Vorlieben der Aussteller freien Lauf. Im fotobegeisterten Paris geht diese Strategie auf. Die Qualität ist hoch, die Verkäufe gehen gut, die Stimmung ist nahezu euphorisch. Eines seiner langfristigen Ziele, so Julien Frydman kürzlich gegenüber der LA Times, sei es jedoch, aus dem „Ghetto der Fotografie“ herauszukommen und die ganze Bandbreite des Bildermachens und Bildermanipulierens im Feld der zeitgenössischen Kunst zu präsentieren. Bis dahin bleibt einiges zu tun.

Paris Photo, Grand Palais Paris, bis - 18. November