Unfallbilder als Kunst

Fotograf Arnold Odermatt stirbt mit 96 Jahren

Arnold Odermatt
Foto: © Alexandra Schild/CH , 2001

Arnold Odermatt in Venedig

Die Geschichte des Arnold Odermatt ist eine der ungewöhnlichsten der Kunstwelt. Mit seinen Unfallbildern schaffte es der Schweizer Polizist und Fotograf bis auf die Venedig-Biennale. Nun ist er gestorben

Arnold Odermatt trat 1948 seinen Dienst bei der Schweizer Polizei an. Fünf Jahrzehnte später stellte er auf der Kunstbiennale in Venedig aus. Nun ist der wohl bekannteste Polizeifotograf der Kunstwelt mit 96 Jahren gestorben.

Eigentlich hatte er als junger Polizist nur darum gebeten, Unfallprotokollen auch eine Fotografie beifügen zu dürfen – die üblichen Zeichnungen erschienen ihm umständlich. Da sein Vorgesetzter skeptisch reagierte, entwickelte Odermatt seine Aufnahmen heimlich in der Küche und legte sie in die Akten. Das Gericht äußerte sich lobend, und so wurde in der Besenkammer des Polizeireviers eine Dunkelkammer eingerichtet.

Als der Beamte Anfang der 90er-Jahre pensioniert wurde, entdeckte sein Sohn, der Filmemacher Urs Odermatt, bei den Recherchen zu seinem Film "Wachtmeister Zumbühl" (1994) 40 Jahre archivierter Verkehrsunfälle im Kanton Nidwalden: handwerklich perfekte Schwarz-Weiß-Aufnahmen verkeilter Traktor- und Borgward-Karosserien, von Schulbussen, Motorrädern, Porsche aus der Stadt mit auf der Motorhaube festgeschnallten Skiern. Es sind akkurate Kompositionen aus Blech, Chrom, Bremsspuren, Gebirgsketten und Wolken.

Gegen die Ungeheuerlichkeit

Dieses Werk eines unbestechlichen Ordnungsmenschen, der maximale Objektivität suchte, tauchte Anfang der 90er erstmals in Fotokreisen auf. 1998 sah Harald Szeemann die Bilder, ausgestellt im Frankfurter Polizeipräsidium, und lud den peniblen Pensionär 2001 auf seine Biennale ein. Auch die Fotobücher Odermatts sind bis heute begehrt: Der umfassende Bildband "Karambolage" war eine Weile vergriffen, 2013 wurde er überarbeitet wiederaufgelegt, genau wie die Bände "In zivil", mit minutiös festgehaltenen Familienszenen der Odermatts, und "Im Dienst", eine fotografische Imagekampagne für den Beruf des Kantonspolizisten.

In seinem Film über den Vater deutet Urs Odermatt neben dessen obsessiver Pflichttreue einen weiteren Aspekt der Beamtenpersönlichkeit an. "Wie soll ich es sagen?" fragt der Wachtmeister, er meint die unvermeidlichen Hausbesuche bei Angehörigen der Verkehrsopfer. Hinter jedem Autowrack steckt ein Schicksal. Der Polizist Arnold Odermatt setzte seine fotografische Unerbittlichkeit nicht nur für Recht und Ordnung ein, sondern auch gegen die Ungeheuerlichkeit der sinnlosen Tode.