Thomas Ruff in Düsseldorf

Jedes Bild hinterfragen

Der Fotokünstler Thomas Ruff vor Beginn seiner Pressekonferenz in der Kunstsammlung NRW, im Hintergrund ein bearbeitetes Foto aus der Serie "jpeg" von 2004
Foto: dpa

Der Fotokünstler Thomas Ruff vor Beginn seiner Pressekonferenz in der Kunstsammlung NRW, im Hintergrund ein bearbeitetes Foto aus der Serie "jpeg" von 2004

Fotokunst, ohne selber auf den Auslöser zu drücken, das ist das Markenzeichen von Thomas Ruff. Das eigenhändige Fotografieren hat der berühmte Künstler aus der Becher-Schule aber nicht verlernt. Er überrascht mit einem Bekenntnis zur Handy-Fotografie

Einen Fotoapparat nimmt Thomas Ruff nur noch selten zur Hand. Trotzdem gehört er zu den bedeutendsten Fotokünstlern der Gegenwart. Ein Widerspruch? Nein. Ruff schöpft aus Archiven und Techniken quer durch die Geschichte der Fotografie.

Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf widmet Ruff, der neben Andreas Gursky und Thomas Struth zur Speerspitze der berühmten Düsseldorfer Fotoschule gehört, ab Samstag eine umfangreiche Werkschau. Das Besondere: Nur ganz wenige der rund 150 Werke von oft faszinierend malerischer Qualität hat der 62-jährige Ruff selber fotografiert. Ihm geht es vielmehr um das Bearbeiten bereits vorhandener Bilder. Seine Fotoquellen sind Archive, seine Dunkelkammer sind leistungsstarke Computer.

Und doch hat Ruff das Fotografieren nicht verlernt. Das betont er am Donnerstag vor Journalisten in Düsseldorf. "Alle meine Kameras habe ich immer noch in meinem Atelier." Wenn er wolle, dann könne er zur Platten- oder zur Kleinbildkamera greifen. Zugleich verrät Ruff: "Mit dem Handy fotografiere ich auch gern."

Klaviatur der digitalen Möglichkeiten

Die Klaviatur der digitalen Möglichkeiten beherrsche Ruff wie kaum ein anderer Fotokünstler, sagt Kunstsammlungs-Direktorin Susanne Gaensheimer. "All das, was Thomas Ruff verwendet, bearbeitet er digital, und zwar in einer ungeheuren Virtuosität."

Im Zentrum der Ausstellung steht Ruffs jüngste Serie: chinesische kommunistische Propagandabilder vom "Großen Vorsitzenden" Mao über glückliche Soldaten und Soldatinnen bis zu Aufmärschen mit rotem Fahnenmeer oder virtuosen Tänzerinnen. Pixelstrukturen lassen die Motive auf den großformatigen und farbenfrohen Bildern verwischt und unscharf aussehen. Einer gewissen Respektlosigkeit entbehrt das nicht. "Die Originale sind so lächerlich, dass ich nur noch einen kleinen Touch draufgeben musste, um sie endgültig lächerlich zu machen", sagt Ruff.

An die Authentizität der Bilder hat Ruff nur in seinen ganz frühen Anfangsjahren geglaubt. Heute hinterfrage er "jedes Bild bis auf die Wurzel seiner Entstehung", sagt Gaensheimer. Zugleich lote Ruff die Grenzen zwischen dem dokumentarischen und dem ästhetischen Bild aus.

Ruffs Serie "flower.s" etwa bezieht sich auf die Solarisation, einer analogen Dunkelkammertechnik, die schon Man Ray in den späten 1920er-Jahren anwendete. Bei dieser Blumenserie griff Ruff übrigens erstmals seit Jahren wieder selbst zur Digitalkamera und fotografierte blühende Kirschzweige, Rosen oder Kastanienblätter. In der digitalen Dunkelkammer entstanden filigrane, wie Zeichnungen anmutende Pflanzenbilder, die an Enzyklopädien des 19. Jahrhunderts erinnern.

"Ich war ein braver Student"

Bis weit zurück in die Fotogeschichte reichen Ruffs Quellen. So nahm er sich auch Papiernegative vor, die Captain Linnaeus Tripe (1822-1902) für die britische East India Company in Burma und Madras erstellte und die heute in London lagern. Auch aus dem Internet bedient Ruff sich ausgiebig - etwa für seine Verfremdungen von Porno- und Katastrophenbildern. In der Serie "Nudes" überarbeitete Ruff daumennagelgroße Porno-Fotos aus dem Internet.

Selbst Produktfotografien einer Maschinenfabrik aus den 1930er-Jahren waren vor Ruffs Bearbeitungen nicht sicher. Bedrohlich wie eine Armee aus mit Maschinengewehren bewaffneten Soldaten stehen Eisenblöcke in einer Werkhalle. Das erinnert an die ironisch-menschelnden Bilder des "Maschinenmalers" Konrad Klapheck.

Die Grenzen zur Malerei erreicht Ruff mit den "Fotogrammen", die sich auf eine auch von Man Ray in den 1920er-Jahren verwendete Technik beziehen. Ruff aber simuliert die Technik nur. Er ließ die abstrakten farbigen Kompositionen im Stile Kandinskys oder Picassos von einem Superrechner im Forschungszentrum Jülich entwickeln.

Dass Ruff sich weiter als andere Schüler von seinen Lehrern Bernd und Hilla Becher entfernen würde, war in seiner Studienzeit in den 1970er Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie nicht abzusehen. "Ich war ein braver Student", sagt er. Immer habe er das Becher-Dogma, dokumentarisch und schwarz-weiß zu fotografieren, beherzigt. Bis er dann anfing, die Skulpturen seiner Künstlerfreunde großformatig und in Farbe abzulichten. In dem Moment kam Farbe in Ruffs Werk, und Größe. Ein schlechtes Gewissen habe er gehabt. Aber Bernd Becher sei gar nicht sauer gewesen: "Thomas, sieht super aus", habe sein Lehrer gesagt.