Fotos vom "Kommando Korn"

Jugend auf dem Land

Eine Jugend in der Provinz ist langweilig? Von wegen! Die Fotografin Anna Tiessen begleitete angehende Bauern und Schrauber in ihrer schleswig-holsteinischen Heimat

"Gute aussichten – junge deutsche Fotografie" ist ein Wettbewerb zur Nachwuchsförderung junger Fotografinnen und Fotografen, 2018/2019 zum Thema "der wendende Punkt". Unter den neun Preisträgern ist Anna Tiessen, die ihre Abschlussarbeit "Kommando Korn" eingereicht hat. Für die Serie kehrte sie in die Gegend zurück, in der sie aufgewachsen ist, nach Dithmarschen, ein Landkreis in Schleswig-Holstein, und begleitete eine Clique Jugendlicher, die aus angehenden Bauern und Schraubern besteht. Wir haben der Preisträgerin einige Fragen zu der Reihe gestellt.

Anna Tiessen, kannten Sie die Menschen auf den Fotos noch von früher? 

Einige der Protagonisten kannte ich noch von früher. Da ich mit vielen von ihnen Dorf an Dorf aufgewachsen bin und sie die Freunde meines kleinen Bruders waren, der auch eine Rolle in der Geschichte spielt, ist man sich zwangsläufig immer mal wieder über den Weg gelaufen. Die meisten Begegnungen mit den Jugendlichen aber haben sich erst im Laufe des Projektes ergeben.  

Auf den Bildern sieht man nur Jungs und Männer. Wo sind die Frauen?

Das ist richtig. Ich habe mich für meine Arbeit "Kommando Korn" mit einer Jungengruppe beschäftigt, die sich selbst als "Werkstatt-Team Jützbüttel" bezeichnet und sich aus Schraubern und Jungbauern zusammensetzt. Gemeinsam bauen sie alte Melkstände zu Aufenthaltsräumen um, schrauben an Maschinen oder veranstalten ihre eigenen Partys in Garagen und Werkstätten. Die meisten dieser Jungs haben Freundinnen, die waren schon auch dabei, nur für mich immer irgendwo am Rande dieser Gruppe. Sie waren eben mehr Statistinnen als Hauptdarstellerinnen. Ich habe mich auch immer mehr für die Dynamik dieser Jungengruppe als für die der Mädchen interessiert.

Wie haben die Jungen Sie wahrgenommen? Waren Sie für das Projekt eher Teil der Gruppe oder Beobachterin?

Ich glaube, beides zu Teilen. Für das Jahr, in dem ich so viel Zeit in meiner Heimat und mit den Jugendlichen verbracht habe, war ich definitiv ein Teil der Gruppe, ein Teil der Dithmarscher Landjugend. Ich war bei jeder Fête und jedem wichtigen landwirtschaftlichen Ereignis dabei und habe mitgeholfen, mitgetrunken und mitgeschnackt. Dennoch bin ich immer wieder einen Schritt zurückgetreten und habe mir das Treiben von Außen angeschaut, es visuell eingefangen.

Blicken Sie auch von außen, als selbsternannter "Stadtmensch", auf die Bilder, oder identifizieren Sie sich mit dem, was Sie darauf zeigen? Sollen die Fotos abbilden, was ist, oder dienen sie mehr einer persönlichen Auseinandersetzung mit Ihrer Herkunft und den Stereotypen, die mit der "Provinz" verbunden sind? 

Die Faszination an der Jungengruppe als fotografisches Thema war für mich so groß, weil ich als "selbsternannter Stadtmensch" auf sie geschaut habe. Dem Dorfleben habe ich mich schon in der Jugendzeit entzogen. Dennoch und vor allem mit einigen Jahren Abstand verspürte ich eine große Vertrautheit zu dem Leben auf dem Land. Im Laufe der Arbeit "Kommando Korn" habe ich mich mehr und mehr mit meiner Heimat identifizieren können, bin mir meiner ländlichen und landwirtschaftlichen Herkunft sehr bewusst geworden. Im Grunde genommen habe ich meine damals verpasste Jugend, die ich in der für mich so viel spannenderen Stadt verbrachte, auf dem Land noch einmal nachgeholt. Und so blicke ich auch auf die Bilder. Alles Abgebildete ist mir vertraut und fern zugleich, da es ganz und gar nicht meinem Lebensentwurf entspricht, ich mich aber dennoch für eine Weile immer wieder erstaunlich gerne darauf einlasse.

Der Fotopreis "gute aussichten" wurde dieses Jahr unter dem Thema "der wendende Punkt" vergeben: Es ist die Sprache vom Abschluss des Anfangs und Beginn des Endes. Zeigen deine Bilder das, was zu Ende geht, oder das, was beginnt?

Ich denke, dass die Jugend als solche ein einziger "wendender Punkt" ist. Jedes Ereignis leitet zum nächsten, man probiert und testet sich aus. Jedes Ende leitet zum neuen Anfang und alles ist die ganze Zeit im Fluss.