Ellsworth Kelly in München und in der "Welt"

Fragmente des Wirklichen

Schwarz-Weiß-Fernseher sind längst verschrottet, Farbe ist das universelle Verkaufsargument. Auch in der Kunst. Bei seiner letzten Ellsworth-Kelly-Retrospektive, 1997 aus dem New Yorker Guggenheim Museum übernommen, brillierte das Münchner Haus der Kunst mit vielen bunten Großformaten. Aber die Kelly-Schau im Herbst 2011 konzentriert sich nun auf dessen Gemälde in Schwarz und Weiß – ausdrücklich erwünscht vom 88-jährigen Maler.

Ulrich Wilmes, seit 2008 Hauptkurator, will mit der 60 Schaffensjahre umspannenden Präsentation das konzeptuelle Rückgrat dieses Werks gleichsam auf dem Röntgenschirm betrachten. Seit den frühen 90ern treibt ihn Ellsworth Kellys Schwarz-Weiß-Idee um. Doch darf man bei diesem Œuvre, dessen Schöpfer so angetan von Claude Monets Seerosenbildern war, wirklich die Farbe unterschlagen? „Wir blicken sicher nur auf eine Facette des Werks“, sagt Wilmes, „aber dennoch auf das Kontinuität stiftende Element.“

Kelly denkt von den reduzierten Formen her, stets scharf umrissen, mal organischen, mal geometrischen Zuschnitts. Die Farbe bildet die sekundäre Komponente, „mit ihr tritt das Emotionale, das Psychische hinzu“, sagt Wilmes. Von praktisch jeder formalen Lösung existiert neben der farbigen auch eine schwarz-weiße Version, im Gesamtwerk machen solche Gemälde und Reliefs – gezeigt werden etwa 50 davon – ein Fünftel aus.

Weit größer wird der Anteil, wenn man andere Medien dazuzählt. Kellys „Plant Drawings“, die seine jahrzehntelange zeichnerische Beschäftigung mit Pflanzen demonstrieren, sind parallel in der Pinakothek der Moderne zu sehen. Auch im Haus der Kunst werden Zeichnungen vorgestellt, daneben Collagen und Fotografien. Anhand der stark stilisierten Schwarz-Weiß-Fotos wird besonders augenfällig, warum Ellsworth Kelly sich nicht in der Tradition des amerikanischen Minimalismus sieht: Seine Formen entstammen der sichtbaren Welt. Sie sind Fragmente des Wirklichen, Schatten der Dinge. In der mutig zurückhaltenden Schau im Haus der Kunst kann dieser Wesenszug besonders deutlich werden. 

Als "Schatten der Dinge", der Ereignisse des Tages, könnte man wohl auch den Werkzyklus nennen, der sich durch die komplette Donnerstagsausgabe der Tageszeitung "Die Welt" zieht. Statt Fotografie sind in der Zeitung Kelly-Arbeiten abgedruckt. Und hier ist sie wieder, die Farbe.


Pinakothek der Moderne, München, 7. Oktober bis 8. Januar 2012. Haus der Kunst, München, 7. Oktober bis 22. Januar 2012