Neue Aktion der "Frankfurter Hauptschule"

Vielleicht nur ein selbstgerechter Gag

Hat das Kunstkollektiv "Frankfurter Hauptschule" eine "Capri Batterie" von Joseph Beuys gestohlen und nach Tansania gebracht? Und taugt diese Aktion als ein Beitrag zur Raubkunst-Debatte? Ein Kommentar

Das Museum LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) in Münster hat eine "Capri Batterie" von Joseph Beuys an das Theater Oberhausen für eine kürzlich eröffnete Schlingensief-Ausstellung ausgeliehen, jetzt musste das Museum sie als gestohlen melden. Die mutmaßlichen Diebe selbst hatten die Tat bekannt gegeben: das Künstlerkollektiv "Frankfurter Hauptschule". 

Der Oberhausener Christoph Schlingensief, der sich immer wieder auf Beuys bezogen hatte, wird in den nächsten Tagen mit dem Festival "Schlingensief 2020" geehrt, dazu zählt auch eine Ausstellung, die seit dem 10. Oktober im Kunstraum "Supermarkt der Ideen" gezeigt wird. "Verschmutzung. Körperzustände. Faschismus. Christoph Schlingensief und die Kunst" heißt die Gruppenschau, in der unter anderem auch Werke von Jonathan Meese, Valie Export oder Alexander Kluge zu sehen sind.

Per E-mail bekannte sich das Kollektiv "Frankfurter Hauptschule", selbst Teilnehmer der Ausstellung, zu dem Diebstahl. Angeblich habe man schon am 18. Oktober das Beuys-Multiple entwendet, um es nach Tansania in ein Museum zu bringen. 

"Die dortige Dauerausstellung, die in einem ehemaligen Militärkrankenhaus der deutschen Kolonialherren untergebracht ist, zeigt die 'Capri-Batterie' nun zwischen traditionellen Objekten der Handwerkskunst der Hehe", schreiben die Mitglieder der "Frankfurter Hauptschule".

Kein Klischee ausgelassen

In einem Video wird der nächtliche Einbruch in die eigene Ausstellung dokumentiert, drei gut gelaunte Mitglieder treten im Tropen-Outfit die Flugreise mit der Capri-Batterie an (man trinkt dazu im Flugzeug Capri-Sonne), kultiviert seinen Touristenstatus mit Fußpflege und Drinks am Pool, bis die Übergabe des Kunstwerks an einen Repräsentanten des Hehe-Stammes im Museum in Iringa stattfindet. Dort ist das angebliche Beuys-Multiple nun neben einem altertümlichen Bügeleisen und einem Bündel Tabak in einer Glasvitrine ausgestellt. Der Film lässt kein Klischee des Afrika-Tourismus aus (Basar-Einkäufe, Jeepfahren), und ist mit dem Song "Africa" von Toto unterlegt.

Wem das eine ironische Brechung zu viel ist, der ist schon mitten im Lehrerzimmer der "Frankfurter Hauptschule" gelandet. "To Christoph Schlingensief who did not always do everything right" hat das Kollektiv dem Film etwas besserwisserisch vorangestellt.


Die "Frankfurter Hauptschule" hatte selbst Schlingensief zitiert, als es sich in Wiesbaden an dessen große Wiener Container-Aktion "Ausländer raus!" anlehnte, dann behauptet, die Identitäre Bewegung sei dagegen vorgegangen, was sich allerdings auch wieder nur als PR-Stunt der Gruppe herausstellte.  

An der großen Abschaffung alter Gewissheiten beteiligt sich die "Frankfurter Hauptschule" hauptsächlich mit Verwirrungstiften und dem Werfen von Nebelkerzen. Dabei zielen sie punktgenau auf bestimmte Reflexpunkte in einem komplizierten Geflecht: “Nächstes Jahr wird Beuys hundert Jahre alt. Doch was hat uns der alte Nazi-Schamane heute noch zu sagen?“, heißt es im Bekenner-Schreiben. "Wir haben Beuys unbürokratisch nach Afrika überführt – als soziale Plastik, die den Namen verdient."

Beuys’ poetische Zitronenskulptur in Geiselhaft für die Kolonialverbrechen zu nehmen und ihn nebenbei Nazi zu nennen, ist schon ziemlich bescheuert. Denn was sagt man zum Beispiel zum Repräsentanten der Hehe, der das Werk entgegen genommen haben soll? "Hier ein Werk eines bedeutenden deutschen Künstlers, den wir für einen Nazi-Opa halten?"

Totale Unleserlichkeit der Zeichen

Die Raubkunst-Umkehr, als Wiedergutmachung für die Taten des Kolonialregimes, das Kunst und Kulturobjekte in großer Zahl geraubt und nach Deutschland gebracht hatte, ist dann vielleicht doch nur ein selbstgerechter, wenn auch lustig inszenierter und aufwendig dokumentierter Gag.

Als in Paris die Aktivisten um Mwazulu Diyabanza kürzlich aus dem Pariser Musée du quai Branly einen Begräbnispfahl aus Süd-Sudan heraustrugen, könnte man meinen, es handele sich um eine ähnlich motivierte Tat. Des Diebstahls angeklagt, sagten die Aktivisten, der Diebstahl sei ja wohl von Frankreich verübt worden. Aber es ist etwas anderes, wenn die Aktion im Namen eines anderen, etwa der Volksgruppe der Hehe, verübt wird. 

Bei den Aktionen der "Frankfurter Hauptschule" bleibt am Ende jedenfalls immer nur der Absender in Erinnerung, nie diejenigen, für die man sich vorgeblich in die Bresche geworfen hat. Die Gruppe mit wechselnden Mitgliedern warf schon Toilettenpapier ans Weimarer Haus Goethes, um gegen dessen Frauenbild zu protestieren, inszenierte einen Schuss Heroin vor dem Frankfurter Rathaus, um auf die Gentrifizierung der Stadt aufmerksam zu machen, und prangerte unter Vermischung aller Vorzeichen zwischen Schlingensief und Identitärer Bewegung die Flüchtlingspolitik an. Die Methode ist immer, mit scheinbar plakativen Aktionen eine totale Unleserlichkeit der Zeichen herbeizuführen, bis überhaupt keine Information mehr Gültigkeit hat.

Das Theater Oberhausen als Ausrichter der Ausstellung meldete allerdings jetzt: "Das Objekt 'Capri-Batterie' von Joseph Beuys in der Ausstellung 'Verschmutzung. Körperzustände. Faschismus. Christoph Schlingensief und die Kunst' ist nicht mehr an seinem Platz.“ Der Sachverhalt werde geprüft, die Ausstellung bleibe zunächst geschlossen. Als sicher kann aber auch gelten: Die Risikobereitschaft der "Frankfurter Hauptschule" erwies sich bisher jedes Mal im Nachhinein als juristisch halb so heikel wie sie aussieht.