Ausstellung in Paris

Frida Kahlos Reliquienschrank

Im Pariser Modemuseum erlebt man Frida Kahlo als gequälte, stets kameraliebende Selbstdarstellerin. Hätte man diese Perspektive bei einem männlichen Maler auch gewagt?

So kennt man sie und so begegnet man ihr gleich am Eingang in einem Farbfilmschnipsel: tiefschwarzes Haar, umrankt von buntem Kopfschmuck, Augenbrauen vereint wie die Flügel eines Vogels, roter Mund, der von einem leichten Flaum unterstrichen wird und ein das Gegenüber herausfordernder Blick. Ein längst zur Marke geronnenes Erscheinungsbild, das Frida Kahlo gemeinsam mit berühmten Fotografinnen und Fotografen wie Gisèle Freund, Lola Álvarez Bravo, Dora Maar oder Nickolas Muray, die die Künstlerin wiederholt ablichteten, gleichwertig zu ihrer Malerei in die Welt gesetzt hat. Im Pariser Modemuseum geht es nur am Rande um Kahlos Kunst, im Fokus steht die Selbstikonisierung der Figur. Aber darf man deshalb ihr Werk beiseiteschieben und genussvoll durchs Schlüsselloch ihres dramenreichen Lebens schauen? Ist dieses etwa das eigentliche Kunstwerk? Und wäre es heute analog wirklich vorstellbar, eine Ausstellung den hippen Outfits und der selbstmörderischen Drogensucht eines Jean-Michel Basquiat zu widmen und deshalb seine Gemälde im Depot zu lassen?

Man begegnet unzähligen der fotografischen und auch einigen der selten gezeigten filmischen Selbstinszenierungen in "Frida Kahlo: au-delà des apparences" ("Frida Kahlo: Jenseits des Scheins") im Musée Palais Galliera, einer die Person ins Zentrum stellenden Ausstellung, die dennoch Seltenheitswert hat, auch trotz der raren Selbstporträts auf Leinwand, die man an einer Hand abzählen kann. Und das nicht nur, weil die über 200 Objekte aus der Casa Azul in Coyoacán, dem Haus, in dem Kahlo geboren, aufgewachsen und gestorben ist, nach den USA und London zum ersten Mal in Frankreich gezeigt werden. Die traditionellen Tehuana-Kleider, präkolumbianische Halsketten, Haarnadeln oder Lippenstifte stammen aus einem nach Kahlos Tod versiegelten Raum des Blauen Hauses, der 2004 geöffnet wurde. Dass der stark abgedunkelte Parcours mit Kahlos Reisen in die USA und nach Paris beginnt, ihrer Korrespondenz mit Künstlern, Sammlern, Schauspielerinnen und Politikern, erweist sich als perfekter Einstieg, denn alles, was danach an unermüdlicher Fassadenpflege folgt, ist der Grund dafür, warum sich radikal gesinnte Männer wie Duchamp, Breton und Trotzki oder kühle Diven wie Maria Félix oder Dolores del Rio um die Künstlerin scharten, zu der man nach Mexiko pilgerte, um sich etwas von ihrer Überlebensstärke abzuschauen.

Lebenslustige Amazone

"Ich wusste, dass meine Augen ein Schlachtfeld des Leidens waren", sagte Kahlo einmal über sich selbst. "Seither sah ich direkt in die Linse, kein Flattern, kein Lächeln, ich war entschlossen zu zeigen, dass ich den Kampf bis zum Ende durchstehen würde." Vielleicht flößte das Amazonenhafte dieser lebenslustigen Agenda manch einem auch zu viel Respekt ein. Von Breton etwa, der Kahlo 1939 eingeladen hatte, ihre Arbeiten in Paris auszustellen, zeigte sie sich in einem Brief enttäuscht, denn die erwartete Einzelausstellung entpuppte sich als Gruppenausstellung mit Kandinsky und Picasso, die sich gönnerhaft über ihre Kunst äußerten, dann aber doch lieber mit ihrem Mann Diego Rivera ihre Theorien diskutierten. Nach dieser Episode verlor Kahlo das Interesse an den Surrealisten, die sie als "einen Haufen verrückter Hurensöhne" bezeichnete, und rächte sich noch in Paris, indem sie eine Affäre mit Bretons Frau Jacqueline Lamda begann.
 

Ihre legendäre Garderobe setzt die Schau, ja, es geht vor allem um Mode, in Bezug zu der mexikanischen Folklore, zeigt Filme aus den 1940er und 1950er Jahren, in denen Frauen des Stamms der Tehuana in genau der gleichen Aufmachung auf der Straße zu sehen sind. Dass Kahlo diese langen, die Beine unsichtbar machenden Röcke präferierte, lag nicht zuletzt an den Folgen einer Polio-Erkrankung in der Kindheit. Kaum ein anderes Kleidungsstück hätte das kürzere rechte Bein so gut verbergen können, auch wenn man Fotos von ihr in Männeranzügen kennt, Geschlechterspiele, die sie meistens im Sitzen absolvierte. Zur Schmerzensfrau verdammte sie bekanntlich ein Straßenbahnunfall im Alter von 18 Jahren, bei dem ihr Körper von einer Eisenschiene durchbohrt wurde. Während sie sich von dem fatalen Crash erholte, begann sie zu malen. Ob ihr Leben ohne diese Zumutung anders verlaufen wäre? Sie wollte eigentlich Medizin studieren.

Das Unperfekte, Deformierte, Kranke

Die Ausstellung wäre sicherlich eine andere geworden, denn die Folgen des Martyriums, das mit der Amputation des zurückgebildeten Beins den Höhepunkt erreichte, spart sie keineswegs aus, von den Krankenakten über Fehlgeburten bis zu an Folter grenzenden Therapien. Darin folgt sie Kahlos Drang zur Enttabuisierung, die diese in ihren Gemälden und Fotografien direkt nach einer Operation kultivierte. Das Unperfekte, Deformierte, Kranke, also das Gegenteil der in der Modewelt verehrten Harmonie, sind geradezu ihre Würze, wenn man an medizinischen, mit kommunistischen Symbolen handverzierten Korsetts vorbeischlendert, vor der surreal anmutenden Beinprothese mit einem luxuriös bestickten Schuh aus rotem Leder den Atem anhält und das Arsenal an Schmerzmittelflaschen studiert, eingebaut in eine zum Selbstporträt mutierte Glaswand, in die sich das hochbourgeoise Parfum "Chanel N°5" eingeschlichen hat (Chanel sponsert die Ausstellung).

Aber wäre Kahlo damit einverstanden, dass man ihre Körperpflege in effektvoll ausgeleuchteten Vitrinen begutachtet? Den Personenkult, den man mit ihr treibt und damit für ein hoffnungslos ausgebuchtes Haus sorgt? In der ihre Tablettendöschen genauso wichtig sind wie die religiösen Madonnen-Vorlagen, die sie zu einigen Selbstporträts inspirierten? Hat sie sich diese Unsterblichkeit gewünscht und deshalb all die privaten Dinge aufgehoben? Wer Künstler und ihre Reliquien nicht anbeten, sondern in Beziehung zu ihrer Kunst treten möchte, kommt aus dieser kultischen Inszenierung mit einem flauen Gefühl im Magen heraus.

Einen Stock höher erweisen als Sahnehäubchen Modemacher wie Karl Lagerfeld, Riccardo Tisci, Jean Paul Gaultier oder Yohji Yamamoto ihre Reverenz. Alexander McQueen, der sich wohl am nachhaltigsten von Kahlo inspirieren ließ, hatte 45 Jahre nach ihr die zweifach amputierte Paralympics-Sportlerin Aimee Mullins in einem Paar geschnitzter Beinprothesen aus Holz auftreten lassen, die er in seiner Frühjahr-Sommer-Kollektion 1999 für sie angefertigt hatte. In der Kahlo-Schau ist er mit blutroten Gipskorsetts vertreten, die den Formen weiblicher Torsos nacheifern, ein nicht zu übersehenes, exzentrisch direktes Accessoire, ganz nach Frida Kahlos Geschmack.