Till Brönner als Künstler

"Für mich ist Fotografie ein Roadmovie"

Können Bilder swingen? Jazz-Musiker Till Brönner tauscht die Trompete gegen die Kamera und zeigt seine erste Ausstellung mit Ruhrpott-Bildern in Duisburg 

Till Brönner, Sie haben einmal gesagt, Ihre Trompete sei "das geduldigste und gleichzeitig unerbittlichste Geschöpf", das Ihnen begegnet sei. Ihnen ist ja noch ein Instrument in die Finger gekommen: Was für ein Geschöpf ist die Fotokamera für Sie?

Ein ebenso unerbittliches und geduldiges. Aber es gibt Unterschiede. Bei der Trompete sind menschliche Fähigkeiten systemimmanent. Ist der Spieler gerade in weniger guter Form, hört man das sofort. Die Kamera macht auch automatisch ein Bild. Was ich beim Fotografieren als großen Luxus empfinde: Ich kann im Nachhinein entscheiden, ob ich ein Bild zeigen will. Mit der Trompete gehe ich auf die Bühne, spiele, und wenn es vorbei ist, ist es vorbei.

Kommen sich Kamera und Trompete in die Quere? Wie viel Multitasking ist da möglich?

In beiden Welten gleichzeitig zu sein, ist tatsächlich schwierig. Als ich jetzt ein Jahr lang als Fotograf im Ruhrgebiet unterwegs war, hat die Kamera wirklich die erste Geige gespielt. Das war für mich ein Novum. Aber es war auch logisch, weil ich seit zehn Jahren ernsthaft fotografiere.

Daran soll William Claxton, der große amerikanische Jazz-Fotograf, nicht ganz unschuldig gewesen sein.

Absolut. Ich hatte 2001 die Gelegenheit, Musik für den Film "Jazz Seen" des Filmemachers Julian Benedikt zu schreiben. Ein Dokudrama über William Claxton, der meine Musik hörte und so ansprechend fand, dass er mich treffen wollte. Sein Leben und seine Arbeit haben mir die Fotografie näher gebracht, auf jeden Fall. Claxton war mitverantwortlich dafür, dass die Karrieren von Chet Baker, Charlie Parker und anderen Jazzkünstlern  durch die Decke gingen. Er hat dafür gesorgt, dass die Leute Schwarz-Weiß-Fotografie und Jazz in einem Atemzug nannten.

2014 haben Sie ihren Porträtband "Faces of Talent" herausgebracht. Jetzt haben Sie mit dem Ruhrgebiet eine ganze Region porträtiert. "Melting Pott" ist Ihre erste Museumsausstellung im MKM Duisburg betitelt.

Das geht über das Sammeln von Gesichtern schon sehr hinaus. Das eine Motiv, das stellvertretend für eine 18-Millionen-Region stehen könnte, kann es nicht geben. Das musste mir aber erstmal klar werden. Zunächst war ich sehr auf kalifornisches Licht und die dortigen Motive eingeschossen. Ich war zuvor lange in Los Angeles gewesen. Als ich den Auftrag für das Ruhrgebiet hatte und mich dort auf die Suche machte und nicht fündig wurde, dachte ich: Mein Gott, worauf hast du dich eingelassen? Der Witz ist, dass man zu suchen aufhört, dass man einfach das fotografiert, was einem begegnet. Als ich das begriffen hatte, konnte ich lockerlassen. Ab dieser Zeit bin ich Land und Leuten doch sehr nahe gekommen.

Was macht das Ruhrgebiet denn aus?

Da herrscht eine ungeheure Vielfalt, landschaftlich, wirtschaftlich, kulturell. Am augenfälligsten ist, dass man dort das Thema Integration schon vor vielen Jahrzehnten gemeistert hat, wenn auch sicher nicht abgeschlossen. Aber der Vorsprung der Region in diesem Bereich ist schon riesig – was ja mit dem Bergbau zusammenhängt und den Polen, den Italienern, den Türken, die das Land quasi zweimal aufgebaut haben. Das eine ist die sehr organische Assimilierung, die in der Mentalität der Region verankert ist. Das andere ist die gesunde kritische Haltung gegenüber denen, die von Außen kommen. Da wird gecheckt, ob du echt bist und Gutes im Schilde führst. Dieser Bullshit-Filter hat seinen Ursprung wahrscheinlich "unter Tage". Im Stollen kann ein Arschloch hundert Leute ins Verderben reißen. Ich will nicht sagen, dass es im Ruhrgebiet keine gibt – aber es lohnt sich nicht, dort ein Arsch zu sein!

Viersen, wo Sie 1971 geboren sind, gehört zwar zu NRW, aber nicht zum Ruhrgebiet. Außerdem haben Sie einen Teil Ihrer Kindheit in Rom verbracht und dann in Bonn-Bad Godesberg Abitur gemacht. Sie stammen also nicht aus dem Ruhrpott. Ist diese Distanz von Vorteil, wenn man fotografiert?

Ja, beim Dokumentieren ist es immer gut, jemanden von Außen zu holen. Ich selber habe zum Beispiel in L.A. erst so richtig gemerkt, dass ich Deutscher bin, weil mich Amerikaner auf mein Deutschsein angesprochen haben. Man kennt das auch von der Literatur oder der Comedy: Gerade die, die von Außerhalb kommen, können den Menschen am besten den Spiegel vorhalten.

Gehen Sie eigentlich synästhetisch an die Fotografie heran? Swingt ein Bild, wenn es gut ist?

Dass Bilder wie Musik sind, wäre zu simpel gesprochen. Was die Welten verbindet: Musikstücke oder Fotos brauchen keine Erklärung – wenn sie stark sind. Lange Texte in Ausstellungen sind überhaupt nicht mein Ding. Ich zeige 185 Fotos, die hoffentlich verdeutlichen, was mich unterwegs bewegt hat. Für mich ist es ein Roadmovie. Was wären Roadmovies ohne Soundtrack? Und schon sind wir wieder bei der Musik.

Haben Sie Lampenfieber vor der Eröffnung?

Ein bisschen Nervosität und Vorfreude gehört dazu. Man weiß ja auch nicht, wie die Bilder rüberkommen. Ich spüre schon eine große Verantwortung. In ein Museum in Duisburg, im Zentrum des Ruhrgebiets, zu gehen und dort im Umfeld großer zeitgenössischer Künstler das Ruhrgebiet zu präsentieren, dafür braucht es ein wenig Mut. Auch muss man sich darauf gefasst machen, dass man am Ende nicht nur Lob erntet. Mein Wunsch ist, dass die Leute aus der Ausstellung herauskommen und diskutieren. Was fehlt vielleicht? Ich gebe ja nur meine persönliche Sicht wieder. Ich bin doch nicht der objektive Chronist dieser Region. Nein, es ist so: Brönner hat den Auftrag gekriegt. Brönner hat fotografiert. Brönner hat fertig.