Lisa Herfeldt und Kristin Loschert in Berlin

Zwischen den Stühlen, zwischen den Bildern

Zwei Künstlerinnen, zwei verschiedene Medien: Lisa Herfeldt und Kristin Loschert zeigen in der Berliner Galerie Soy Capitán Objekte, die von einer praktischen Funktion befreit zu Bildern werden und Fotografien, die durch Gegensätzlichkeit harmonieren

Meereswellen und Hände, die nach Schachfiguren greifen. Fotos von jungen Männern. Aus Rattan geflochtene Objekte, auf denen man weder sitzen noch liegen, die man nur anschauen kann. Die fotografischen Arbeiten von Kristin Loschert und die Wandobjekte von Lisa Herfeldt sind einfach, klar definiert und zugleich höchst rätselhaft. Man versucht, ihnen auf die Spur zu kommen, etwa wie ein Schachspieler dem neuen Zug des Gegners nachgrübelt. Was hat der Kontrahent vor? Wo will er hin?

Als Titel ihrer gemeinsamen Ausstellung in der Berliner Galerie Soy Capitán wählten Herfeldt und Loschert den Begriff "Rochade". Er benennt einen defensiven Zug beim Schach, bei dem Turm und König ausgetauscht werden – um letzteren in Sicherheit zu bringen. Mit "Rochade" ist ein Moment benannt, in dem Furcht und Hoffnung sich die Waage halten, ein instabiles, leicht getrübtes Glücksgefühl, das man in den Werken wiederfindet.

Kristin Loscherts 2019 entstandene Fotosequenz aus 18 an die Galeriewand gepinnten Barytprints verbindet Natur – das Wellenschlagen – mit menschlichen Bewegungen und logischen Prozessen: Eine Hand bewegt sich über einem Schachbrett, auf dem Figuren in unterschiedlichen Konstellationen stehen. Der Titel wirkt bruchstückhaft wie die Reihe selbst: "Die Wahrheit der Schlafenden, die Wahrheit der Wachenden. Nicht es selbst." Eine nachvollziehbare Schachpartie ist in der Bildfolge nicht zu sehen. Dazu werden die Schachbilder von den Wellenbildern unterbrochen – Kontinuität und Diskontinuität greifen seltsam ineinander. Vielleicht wie im wirklichen Leben, das zu wirr für großes Kino ist, und andererseits zu kausallogisch, um die spröde Freiheit einer Collage zu erlangen.

"A letter" ist ein Projekt, das Loschert 2013 begonnen hat und weiterführt. Die Fotografin lichtet junge Männer ab, die sie nicht kennt, die sie einfach auf der Straße angesprochen hat. Statt ein "gültiges" Porträt zu rahmen und auszustellen, legt die Künstlerin die Bilderserien stapelweise übereinander. Köpfe, Arme, Beine der Fotografierten ragen aus den locker gefügten Packen heraus. Aus den – vielleicht kann man sie so nennen –  Collagen spricht Fremdheit und Nähe zugleich. Jeweils vier solcher Porträt-Stapel präsentiert Loschert in glastischartigen, eigens konstruierten Vitrinen.

Von Funktion befreit werden Objekte zu Bildern

Auch bei Lisa Herfeldt wird man an Mobiliar erinnert, schließlich sind ihre fünf 2014 entstandenen Wandobjekte aus Rattan gefertigt, einem Material, das man vor allem von Sitzmöbeln kennt. Eine Funktionalität der Objekte ist indes nicht zu erkennen. "Figur 12" ist ein schmaler, 135 Zentimeter langer, aus Rattan geflochtener Stab. "Figur 13", zu klein für einen Hula-Hoop-Reifen, könnte ein Rahmen sein – für einen abhandengekommenen Spiegel. Frei von Funktion werden die Objekte mitunter zu Bildern, speziell "Figur 5", bei der man als Betrachter nicht umhinkann, ein Rechteck-Paar zu sehen, obwohl die rechte von zwei Formen aus Holzrahmen und Rohrgeflecht schräg angeschnitten und aus dem Lot gedreht ist. Im Kopf ergänzt man das Element zu einem Rechteck oder gar einem Quader, dessen Unterteil unter einer imaginären Wasseroberfläche liegt – wie eine im Wasser versinkende Kiste. Die Imagination öffnet das Objekt als Bild.

Schlägt man Lisa Herfeldts Buch "To grace of the plinth" (2014, Edition von 100) auf, ahnt man, woher das Material ihrer Wandobjekte stammt: Das Künstlerbuch feiert den Peacock Chair und zeigt Berühmtheiten und Modelle, die in diesem berühmten Stuhl mit der pfauenhaft ausladenden Lehne sitzen. Die oben erwähnten "Figuren" sind nicht etwa aus der Rückenlehne gefertigt, ihr Material stammt vielmehr aus dem Fuß, der sozusagen den Sockel des Sessels bildet. Die "Bilder" bringen ihren eigenen Rahmen mit – ein Rahmen, der viel mehr einschließt, als man zunächst zu erkennen meint.