Frau Seiz-Meile, Herr Meile, es gibt Neuigkeiten bei Ihrer Galerie Urs Meile, welche sind das?
Karin Seiz-Meile: Wir geben die Schlüssel für unsere Galerie in Luzern ab. 1992 eröffnet, geht nun ein Kapitel zu Ende. Luzern ist unsere Heimat, aber Luzern ist eine Musikstadt mit weltberühmtem Konzertsaal und weniger Fokus auf zeitgenössischer Kunst. Für die Zukunft haben wir uns so aufgestellt: René Meile führt die Galerie in Peking und repräsentiert uns in Asien. Urs ist als Gründer immer noch involviert, aber nicht mehr stark im Tagesgeschäft. Und ich führe die Galerien im Westen.
Sie haben bereits 2023 in der Rämistraße in Zürich eine Galerie eröffnet und nun Räume in der Ankerstraße bezogen.
KSM: Genau, das Gebäude ist 1956 von Otto Claus, dem bekannten Schweizer Architekten gebaut worden. Ein Betonbau, ursprünglich ein Showroom für Renaults, später eine Werkstatt für Roller. Es hat eine tolle große Fensterfont, die man öffnen kann. Gemeinsam mit unseren Architekten Holzer Kobler Architekturen Zürich/Berlin haben wir ein Raumkonzept mit beweglichen Wänden entwickelt, so können wir den Ausstellungsraum je nach Bedürfnis anpassen. Es gibt ganz viel frische, neue Energie. Es gibt viele Ideen und es ist wirklich ein Aufbruch für uns.
In was für einem Teil Zürichs liegt die Galerie?
KSM: In Wiedikon. Das Quartier hat sich sehr entwickelt in den letzten Jahren, verschiedene Galerien sind hergezogen. Karma International, Blue Velvet, Flatmarkus und Jevouspropose zum Beispiel. Es ist ein kreatives Quartier mit Künstlerateliers, Architekturbüros, angesagten Restaurants und Bars.
Bleibt die Rämistraße auch?
KSM: Ja.
Gibt es inhaltliche Unterschiede zwischen den Räumen?
KSM: Zum Zurich Art Weekend zeigen wir Rosalind Nashashibi an der Rämistraße und in der Ankerstraße eine Gruppenausstellung. Rosalind ist Malerin und Filmemacherin, wir werden einen ihrer Filme in der Ankerstraße zeigen. Und es ist die Idee, dass wir immer mal wieder so Verbindungen herstellen.
Was macht die Künstler und Künstlerinnen aus, die Sie in Ihrer Galerie zeigen?
KSM: Wenn jemand von uns spannende Arbeiten sieht, tauschen wir uns dazu aus. Es kann auch sein, dass Künstler oder Sammler uns Inputs bringen oder eine Abschlussausstellung von einer Kunsthochschule oder eine Museumsausstellung uns neue Impulse gibt. Die Vorschläge werden dann diskutiert. Wenn ich es ganz runterbrechen würde, sind es Künstler oder Künstlerinnen, bei deren Arbeiten wir das Gefühl haben: Da ist etwas, was wir so noch nicht gesehen haben oder was uns sogar auf gewisse Weise irritiert.
Seit Mitte der 90er-Jahre beschäftigt sich die Galerie auch speziell mit chinesischer Kunst.
KSM: Urs war und ist dort viel unterwegs. In den 90er-Jahren gab es keine Galerien, keine Kunsthallen, keine Museen für zeitgenössische Kunst. Er hat viele Studios und Akademien besucht, zusammen mit Uli Sigg, der ja inzwischen die wichtigste und größte Sammlung für zeitgenössische Kunst aus China aufgebaut hat. 2000 haben wir dann ein Büro in Peking und 2005 eine Galerie eröffnet, die ein sehr wichtiger Standort für uns ist.
Hat sich die Wahrnehmung der asiatischen Kunst seit dem Beginn Ihres Geschäfts stark verändert?
Urs Meile: Wenn wir von China sprechen, dann geht es oft um den Wahnsinnsspeed, mit dem sich das Land entwickelt und aufholt. Und logischerweise reflektiert sich das auch in der zeitgenössischen Kunst. Am Anfang haben wir vielleicht drei Prozent von unserem Umsatz in China gemacht. Die Kunst ist noch auf sehr große Ablehnung gestoßen und es war eine wirkliche Herausforderung, uns zu etablieren. Bis Anfang der 80er-Jahre gab es keine zeitgenössische Kunst in China. Es gab keine Sammler, es gab keine Infrastruktur.
Und wie ist es jetzt?
UM: In den Anfängen hat man immer von zeitgenössisch-chinesischer Kunst gesprochen. Diesen Ausdruck gebrauchen wir nicht mehr. Es ist zeitgenössische Kunst aus China. Kunst, die mit einem anderen kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund entsteht. Und in den 30 Jahren, die wir jetzt dort tätig sind, gab es bestimmt vier Sammlergenerationen. Das klingt jetzt etwas wahnsinnig, aber es ist tatsächlich so, Sie haben dort alle acht bis zehn Jahre einen Wechsel. Nach der Pandemie zum Beispiel sind viele Käufer nicht zurückgekommen, haben den Anschluss verloren. Und die neueste Generation ist zwischen 25 und 37 Jahre alt. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es annähernd so viele junge Sammler und Käufer. Das Potenzial ist enorm. Es ist ein unglaublich quirliger Markt.
Wofür interessieren die sich?
UM: Erstmal, so wie überall anders auch, interessieren die sich für ihr Umfeld. Und das ist ein Umfeld mit 1,4 Milliarden Menschen. Ein Großteil dieser jungen Generation sucht, wie im Westen übrigens auch, nach dekorativen Werken. Wenn wir es mit den 90er-Jahren vergleichen, wo Kunst in der Gesellschaft etwas verändern wollte, ist das heute bei der großen Masse der jungen Käufer und Käuferinnen nicht mehr das zentrale Thema.
Kann man sagen, welche westlichen Künstlerinnen und Künstler auf dem chinesischen Markt gut angekommen?
UM: In erster Linie ist das Malerei. Fotografie und Videokunst haben es schwer in China. Die ältere Generation an Sammlern interessiert sich für die westlichen Blue-Chip-Künstler und Künstlerinnen, Namen, die man kennt. Harte Abstraktion ist erst im Kommen, und wir stellen fest, dass es nach wie vor in China, mehr als im Westen, immer noch opinion leader gibt. Sammler, die vorweg gehen, die in den sozialen Medien präsent sind. Und das kann dazu führen, dass innerhalb von kürzester Zeit ein Künstler oder eine Künstlerin plötzlich in aller Munde ist.
Gibt es Kunst, die man in Peking nicht zeigen kann?
UM: Die gibt es. In China ist es oft schwierig abzuschätzen, wo genau die Zensur eingreift und wo es Spielraum gibt. Oft gibt es auch die Möglichkeit, vom öffentlichen in den halb-öffentlichen Raum auszuweichen. Das heißt, ein großer Teil der Auseinandersetzung findet im Verborgenen beziehungsweise in geschützten Räumen statt. Als Besucher ist es dementsprechend wichtig, möglichst viel Insiderwissen aus der Szene zu haben, um zu verstehen, wo gerade was passiert.
Apropos aufreibend: Der Kunstmarkt mit all den Handelskriegen, wie aufreibend ist der denn derzeit?
UM: Wir können es noch nicht beantwortet. Die Art Basel Hong Kong war hervorragend, eine sehr erfolgreiche Messe, auch marktmäßig. Jetzt müssen wir die Art Basel in Basel abwarten. Wir wissen einfach noch nicht, wie es weitergeht. Bis dato hat sich zolltechnisch nichts verändert. Auch wenn Arbeiten nach Amerika transportiert oder verkauft werden, ist es immer noch dasselbe wie zuvor.
KSM: Ich glaube, die Marktstimmung in Europa ist nicht schlecht. Klar gibt es Verunsicherung, aber es gibt auch Interesse. In meinen 20 Galeriejahren habe ich einige Krisen miterlebt, von der Finanzkrisen bis zu Covid. Wenn die Marktstimmung weniger schnell und hektisch ist, haben die Sammlerinnen und Sammler die Möglichkeit sich vertieft mit Inhalten auseinanderzusetzen.
Die neuen Räume werden zum Zurich Art Weekend eröffnet, wie würden Sie die Bedeutung der Veranstaltung einschätzen?
KSM: Das ist jetzt unsere dritte Teilnahme, und das Art Weekend hat sich zu einer wichtigen Plattform etabliert. Es bringt wirklich gute Sammler nach Zürich, auch international. Die Stimmung ist super, die Besucher sind relaxed. Wir haben sehr gute, neue internationale und nationale Kontakte geknüpft in den letzten Jahren.