Rundgang durch die polnische Hauptstadt

"Warschau hat dieses gewisse Etwas"

Polen ist im politischen und kulturellen Umbruch. Junge Galerien wollen ein internationales Publikum nach Warschau holen und den lokalen Markt bedienen. Wie kann das gelingen?

An einem sonnigen Palmsonntag sitzt der Galerist Piotr Drewko in einem Café nahe dem Warschauer Stadtzentrum und trinkt Cola, während draußen Familien mit Palmstöcken zur Messe gehen. Der Bau mit seiner großzügigen Glasfront und dem Interieur, das noch aus der Zeit vor der Dritten Polnischen Republik zu stammen scheint, war einst Treffpunkt für Henryk Stażewski und Edward Krasiński.

Die beiden Künstler wohnten in einem Wohnblock um die Ecke und teilten sich ein Atelier – so schreibt mir der Galerist in einer WhatsApp-Nachricht vor unserem Treffen. Die Wohnung haben die beiden, aber vor allem Krasiński, der Stażewski überlebte, in eine begehbare Installation verwandelt, mit zahlreichen Objekten und Ästen, die aus dem Parkett zu wachsen scheinen. Der französische Künstler Daniel Buren hat seine berühmten Streifen auf die Fenster der Hochhauswohnung aufgetragen.

"Warschau", sagt Drewko, "ist ein besonderer Ort mit einer schwierigen Geschichte. Die Kunst war hier immer sehr progressiv, seit den 50ern." Drewko ist Mitorganisator von Constellations, einer Initiative, bei der internationale Galerien in der polnischen Hauptstadt gastieren. In Warschau gibt es um die fünfzig Galerien. Elf davon sind Teil des Galerienprojekts, darunter die Foksal Gallery Foundation, die sich um die Nachlässe von Stażewski und Krasiński kümmert. Seit 2004 ist die Wohnung der Künstler als Instytut Awangardy öffentlich zugänglich.

Weiter in der Warschauer Innenstadt hat das Schweizer Architekturbüro Diener und Diener einen alten Stahlskelettbau für die Galerie renoviert. Dort sind nun die luftigen Collagen und Malereien von Marieta Chirulescu zu sehen; in der Etage darüber zeigt die Galerie kleine Keramiken der Künstlerin Ana Botezatu. Noch weiter oben lässt eine Dachterrasse weit über die Innenstadt Warschaus blicken, bis zum Kulturpalast, den Stalin der polnischen Hauptstadt schenkte, und der für viele noch ein Symbol der Sowjetdiktatur ist.

Foksal Gallery Foundation Constellations
© Courtesy Foksal Gallery Foundation

Installationsansicht "Marieta Chirulescu & Ana Botezatu: Private Life", Foksal Gallery Foundation, Warschau, Constellations 2025


Constellations ist aus der Initiative Friend of a Friend hervorgegangen, die Drewko ein Jahr nach seiner Galerie gründete – das war im Sommer 2017, nachdem er in London zunächst Jura und dann "Critical Studies of Visual Culture and Photographic Arts" studiert hatte. Eine Straßenbahn rattert vor dem Café vorbei. "Wir wollen uns jetzt auf das internationale Publikum konzentrieren und zugleich das Potenzial vor Ort stärken. Die beiden Welten müssen zusammen existieren."

In Drewkos eigener Galerie gastieren Brunette Coleman aus London und Petrine aus Paris und Düsseldorf. Letztere zeigt Fotografien von Nat Faulkner, Skulpturen von Antonia Brown, Text-Arbeiten von Miriam Stoney und eine Installation von Erasmia Kadinopoulou. Die Künstlerinnen und Künstler kommen aus England, Südafrika und Griechenland. Die Zusammenstellung der Werke schert sich nicht um disziplinäre Orthodoxien, in der Galerie im Erdgeschoss eines Wohnhauses findet alles einen Platz. Eine alte Garage mit schwarzgestrichenen Wänden dient als Screening-Raum für Videokunst.

Die Kunstwelt war rasch bereit, ihre Ideale zu opfern

Die Warschauer Kunstwelt hat sich in den letzten Jahren verändert. Eine neue Schicht von Sammlerinnen und Sammlern fängt an, sich für Kunst zu interessieren, die nicht nur rein ästhetisch funktioniert. 2015 wählte Polen die PiS-Partei an die Macht. Zwar wurde damals nicht gleich – wie in Ungarn – das Kulturministerium abgeschafft, aber die Institutionen passten sich schnell an. Themen, die als schwierig galten, verschwanden aus den Programmen: Feminismus, Ökologie, queere Belange.

Der Kritiker Adam Mazur schrieb vor etwa zwei Jahren im Magazin "Frieze", die Kunstwelt sei rasch bereit gewesen, progressive Ideale zu opfern, um institutionelle Strukturen und Arbeitsplätze zu erhalten. Dieser Plan ging in den meisten Fällen nicht auf, denn das Kulturministerium verlängerte Verträge nicht, und Museumsdirektorinnen und -direktoren wurden nach und nach ausgetauscht. Bei den Parlamentswahlen 2023 verlor die nationalkonservative PiS-Partei schließlich ihre Mehrheit.

In diesem kulturpolitischen Klima scheint das Muzeum Sztuki Nowoczesnej – die Warschauer nennen es gerne ihr MoMA – der wichtigste kulturelle Ort des Landes. Nach fünf Jahren eröffnete der von Thomas Phifer entworfene Neubau. Seine schmucklosen Fassaden wurden mit einem Amazon-Lagerhaus verglichen, sein Inneres mit dem großen offenen Treppenhaus. Zwischen weiten Hallen und holzvertäfelten Kabinetten entsteht ein flexibler Rahmen für unterschiedlichste Ausstellungskonzepte.

Das Haus landet fast zufällig in einer Zeit kulturellen Umbruchs und wurde zum Symbol für den Neuanfang. Die Sammlungspräsentation umfasst 150 Werke, viele davon behandeln Themen, die unter der PiS-Regierung wenig Raum bekamen: Feminismus, LGBTQ-Rechte, aber auch die Shoah und der Krieg in der Ukraine. Man hört unterschiedliche Meinungen: Das Museum sei zu vorsichtig. Oder: Endlich weht ein frischer Wind.

Raster Gallery Constellations
© Courtesy Raster Gallery

Installationsansicht Raster x Vacancy, Zbigniew Rogalski, Reeha Lim & Jin Ruoxi, Constellations 2025


Die langjährige Direktorin Joanna Mytkowska sagte der "New York Times" Anfang des Jahres, die Institution solle ein breites Publikum ansprechen. Werkbeschreibungen sollen einfach sein und offene Interpretationen erlauben. Das Konzept zielt auf die gesellschaftliche (und politische) Mitte. Im progressiven Lager hat sich vorsichtiger Optimismus ausgebreitet. Gleichzeitig ist da eine Nervosität, dass die aktuelle Regierung nicht von Dauer sein könnte, dass die Hoffnung, die rechtsgerichtete, kulturfeindliche PiS-Regierung hinter sich zu lassen, nur ein vorübergehendes Stadium ist.

"Die neue Regierung muss die Situation erst einmal beruhigen, bevor sie irgendetwas reparieren kann", sagt Drewko. "Rechte Museumsdirektoren wurden zwar entlassen, die Kultur stand aber bei keiner Regierung seit 1989 oben auf der Prioritätenliste, und viele Institutionen haben zu kämpfen. Es fehlt an Mitteln, um Sammlungen und ein gutes Programm aufzubauen." Allein staatliche Unterstützung reicht nicht, man müsse auch auf private Stiftungen zurückgreifen. 

Es fehlt an Mitteln, um Sammlungen aufzubauen

Das neue Museum in Warschau ist über Nacht so etwas wie das stille Zentrum der Kunstwelt in der polnischen Hauptstadt geworden. Zudem gibt es ringsum eine lebendige Szene aus Galerien und Initiativen. Drewko und Constellations stehen mit dem Ziel internationale Künstler und ein Publikum aus dem Ausland in die polnische Hauptstadt zu holen, nicht alleine da.

"Mittlerweile haben wir so viele Initiativen. Es geht im Frühjahr mit Constellations los, im Mai kommt NADA Villa, ein Ausstellungsformat mit 49 Galerien Zusammenarbeit mit der New Art Dealers Association. Im September fand bisher die Messe Not Fair statt und später im selben Monat das Warsaw Gallery Weekend", sagt Drewko. "Das ist ziemlich viel für das Publikum." Besteht die Gefahr, dass die Messen und Galeriewochenenden einander die kostbare Aufmerksamkeit nehmen? "Jede dieser Veranstaltungen ist anders. Die Frage ist, funktionieren sie als einzelne Events, bringen sie etwas Neues in die Szene? Ich würde sagen: nein. Warschau ist lebendig, braucht aber nicht so viele Events."

Das liege daran, dass die Mittelschicht gerade erst im Entstehen, und Kultur noch nicht Teil ihrer Identität sei. Wenn man hingegen die Ressourcen auf wenige Veranstaltungen konzentrieren würde, dann könne etwas in Bewegung kommen, so Drewko. "Von außen sieht Warschau aus wie eine Metropole mit tollen Künstlerinnen, Künstlern, Galerien und Institutionen. Und die Stadt hat dieses gewisse Etwas. Aber wir sind auch ein bisschen in unseren Wünschen verloren. Es ginge am besten voran, wenn wir uns einen Tisch setzen und diskutieren, was die Stadt in Zukunft braucht."