Kunstverein Hamburg

Gestrandet auf Lese-Inseln: "Wo ist der Wind, wenn er nicht weht?" überfordert das Auge

Darf's noch etwas mehr sein? Die Ausstellung „Wo ist der Wind, wenn er nicht weht“ im Hamburger Kunstverein konfrontiert ihre Besucher mit einer kaum zu bewältigenden Fülle visueller Reize und Informationen. Gezeigt werden politische Bildergeschichten von mehr als 130 Künstlern. Max Ernst, Ad Reinhardt, Jake & Dinos Chapman oder Raymond Pettibon sind mit teils wandfüllenden Tableaus vertreten. Vor allem aber präsentiert die Schau populäre Bilderzählungen, die in Form von Bilderbögen, Bilderheften und Comics unters Publikum gebracht wurden. Das Spektrum reicht dabei von maoistischen Underground-Heften über Art Spiegelmans aufklärerischen KZ-Comic „Maus“ bis hin zu kriegsverherrlichenden Landsergeschichten.


Ein ziemlich schräges, nichtlineares Ausstellungsdisplay mit Modulen aus unbehandeltem Holz lässt den Besucher zum Streuner werden. Auf Tischen und in Glasvitrinen sind Comicbücher, aber auch von deren Ästhetik beeinflusste Objekte zu sehen. Es gibt Leseinsel, wo Besucher auf langen Holzbänken Platz nehmen und stundenlang in Büchern blättern können. Daneben laufen Animationsfilme. In den Raum ragende Holzelemente durchbrechen immer wieder die Blickachsen. Jegliche Chronologien werden von dieser Architektur konsequent aufgebrochen.

 

„Es geht nicht um lineares Lesen, sondern darum, zu erkennen, wie Geschichte funktioniert“, sagt Direktor Florian Waldvogel. Angesichts der Fülle ungeordneten Materials dürfte es aber fraglich sein, ob der aufklärerische Anspruch der Schau sich dem Besucher tatsächlich vermittelt. Viele Exponate befinden sich meterhoch über den Köpfen der Besucher. Ein wirkliches Hineinlesen in die Ausstellung ist so nicht möglich. Angesichts fehlender Saaltexte und Beschriftungen siegt Materialfülle über Lesbarkeit. Da ist es dann natürlich konsequent, dass auch der Katalog ganz ohne Texte auskommt.

 

Der Kurator betätigt sich hier als Überkünstler, der die Exponate zu neuen Ordnungen und Unordnungen arrangiert - und dabei gerne etwas provoziert. Alfred Dürers Holzschnitte zur Apokalypse werden aus schwer nachvollziehbaren Gründen in Form eines unvollendeten Hakenkreuzes präsentiert. Drei leicht vom Original abweichende, wandgroße Motive des 1990 verstorbenen New Yorker Graffiti-Künstlers Keith Haring dominieren den unteren Raum. Ihre Verwendung hat sich Waldvogel von der pingeligen New Yorker Keith Haring Foundation ganz bewusst nicht genehmigen lassen. Einer juristischen Auseinandersetzung sieht er gelassen entgegen.

 

Wem gehören ikonische Motive der Kunstgeschichte? Wer darf über ihre Verwendung entscheiden, und wer hat das Recht, sie zu verändern und zu variieren? Gewiss sind das interessante Fragen, die Waldvogel da aufwirft. Sie im Rahmen einer ohnehin schon mit Querverweisen, Unvereinbarkeiten, visuellen Gags und neckischen kuratorischen Statements überfrachteten Schau noch nebenbei verhandeln zu wollen, überfordert am Ende aber alle Beteiligten.

 


Bis 14. März 2010. Mehr Informationen unter www.kunstverein.de