New York

Graffiti-Künstler erhalten 6,7 Millionen Dollar Schadenersatz

Foto: dpa
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Jugendliche stehen vor dem mit Graffitis versehenen Lagerhauskomplex "5Pointz" in New York. Eine Gruppe von Graffiti-Künstlern bekommt 6,7 Millionen Dollar (5,5 Mio Euro) Schadenersatz für die Zerstörung ihrer Werke an dem Gebäude.

Für die Zerstörung ihrer Werke werden einige Künstler im Graffiti-Zentrum "5Pointz" in New York in Millionenhöhe entschädigt. Das wegweisende Gerichtsurteil zeigt: Graffiti ist Kunst - auch auf fremden Eigentum

Für Graffiti-Künstler weltweit war "5Pointz" ein inoffizielles Freiluftmuseum. Vier Jahre nach Zerstörung Dutzender Werke auf dem früheren Lagerhauskomplex in New York wird eine Gruppe Künstler mit einer Millionenzahlung entschädigt. Das Urteil dürfte in künftigen Graffiti-Prozessen als Wegweiser dienen.

Es war ein aus New York und anderen Metropolen bekannter Streit, in dem Richter Frederic Block schlichten musste: Auf der einen Seite stand Jerry Wolkoff, Eigentümer der Immobilie im Stadtteil Queens. Auf der anderen stand Jonathan Cohen, in der Szene bekannt als Meres One, der die klagende Künstler-Gruppe anführte. Im Kern ging es um die Frage, ob Wolkoff den Komplex weiß übermalen lassen durfte, oder ob die Sprühdosen-Werke trotz ihrer Vergänglichkeit als Kunst gelten und deshalb hätten geschützt werden müssen.

Block schloss sich der Entscheidung einer Jury vom November nun an: Wolkoff habe die Arbeiten im November 2013 "willentlich" zerstört und für sein "widerspenstiges Verhalten" auch keine Reue gezeigt, schrieb er in seinem leidenschaftlichen Urteil. Den 21 Künstlern sprach er die höchstmögliche Summe von 6,7 Millionen Dollar (5,5 Mio Euro) Schadenersatz zu. Die Künstler seien "begeistert", sagt ihr Anwalt Eric Baum. "Das Urteil ist ein klares Anzeichen dafür, dass Graffiti in dieselbe Kategorie gehört wie andere bildende Kunst." Die Künstler hätten "ihr Leben damit verbracht", ihre Technik zu perfektionieren.

Tragisch ist, dass Wolkoff mit den Künstlern über viele Jahre ein gutes Verhältnis pflegte und ihnen freie Hand ließ. Seine einzige Regel: keine Religion, keine Politik, kein Sex. Cohen wurde zum unbezahlten Kurator. Er richtete Wettbewerbe für besonders prominente Wände aus, während sich Anfänger an weniger sichtbaren Stellen versuchen konnten, die regelmäßig übermalt wurden.

"In '5Pointz' galt das Gleichheitsprinzip", schrieb Block. "Einige Künstler kamen von sehr renommierten Kunstschulen, andere waren Autodidakten. Einige verkehrten in elitären, traditionellen Kunstkreisen, andere waren schlicht der Street Art und der Gemeinschafts-Kunst verpflichtet." Das Spektrum der Arbeiten und ihre Kommentare zu sozialen Themen der Zeit seien beeindruckend gewesen. Millionen sahen das bunt leuchtende Gebäude - allein dank einer überirdischen U-Bahnstrecke direkt daneben.

Umso heftiger wehrte sich die Gemeinde gegen Wolkoffs Plan, den Komplex abreißen und an seiner Stelle Hochhaus-Luxuswohnungen bauen zu lassen. Doch eine Kampagne und Cohens Versuch, Spenden für den Kauf zu sammeln, scheiterten. Selbst Superstar Banksy, sonst nicht gerade als öffentliche Figur und gesprächiger Künstler bekannt, sprach sich für die Rettung aus. Doch Wolkoff ließ die bunten Werke ohne Vorwarnung über Nacht hastig mit weißer Farbe übermalen. Im Umfeld der Baustelle im Bezirk Long Island City in Queens erinnert heute nichts mehr an das Graffiti-Mekka von einst.

Die Millionen-Entschädigung markiert den ersten Fall, in dem Sprayer vom sogenannten Visual Artists Rights Act (VARA) geschützt werden, der sich um die Rechte bildender Künstler dreht. "Ihnen ging es nie ums Geld", sagt Anwalt Eric Baum über die Motivation der klagenden Gruppe. Nach einem langen Rechtsstreit sei jetzt aber klar, dass Graffiti ähnlichen Rechtsschutz genießt wie andere bildende Kunst.

"Schlampig" und "halbherzig" sei "5Pointz" übermalt worden, die Kunst blieb unter den "dünnen Schichten billiger, weißer Farbe" leicht sichtbar, schrieb Block - und das zehn Monate bis zum Abriss im Jahr 2014. Mit einer Vorwarnung hätten die Künstler wenigstens Abschied nehmen können. "Es wäre eine wunderbare Hommage für die Künstler gewesen, die sie redlich verdient hätten."