Multitalent Grear Patterson

"Wenn ich über Risiken nachdenken würde, wäre ich nicht Künstler geworden"

Beim Filmfestival von Venedig hat der Künstler Grear Patterson seinen ersten Spielfilm "Giants Being Lonely" vorgestellt. Im Gespräch erzählt er, wie er Olmo Schnabel als Produzenten gewann und warum Caravaggio der erste Filmemacher ist

Gluthitze und Glitzermeer, davor diese Gang auf der Strandterrasse: Jungs, die aussehen, als hätten sie ihre Surfbretter an den Lido mitgebracht. Doch es ist ein Film, der am Vorabend seine Premiere in der Sektion Orrizonti feierte. Shakehands mit den Darstellern und dem 25-jährigen Produzenten Olmo Schnabel, einem der Söhne des Malers und Regisseurs Julian Schnabel (Für "At Eternitys Gate" gewann Van-Gogh-Darsteller Willem Dafoe 2018 einen Silbernen Löwen).

"Giants Being Lonely" ist die Geschichte von Bobby, Adam und Caroline aus einer High-School-Abschlussklasse, eine Coming-of-Age-Story um Sex und Baseball, Freundschaft und Rivalität, Tagtraum und Raserei – angesiedelt in einer waldigen, dünn besiedelten Südstaatengemeinde. Inszeniert hat ihn das Multitalent Grear Patterson, 1988 in Connecticut geboren, der bisher als bildender Künstler von sich reden machte. Jetzt spricht Patterson, auch er vermeintlich der Beachboy-Typ, entspannt im Hier und Jetzt über sein Spielfilmdebüt.

Sie wirkten gestern bei der Premiere so locker. Dabei muss die Anspannung immens sein, wenn der eigene Film einem großen Publikum präsentiert wird.
Erstmal war ich wunschlos glücklich. Denn unser Traum, in Venedig zu starten, war ja erfüllt. Mehr kann man doch nicht verlangen. Und dann habe ich mich gefreut, dass alles, was wir in den Film gesteckt haben, offenbar auch rüber kam. Ein Freund erzählte mir gestern nach dem Screening, vor ihm habe ein Pärchen beim Kuss von Bobby und Caroline laut geseufzt. Mit sowas rechnet man beim Dreh gar nicht. Zumal wir wirklich freizügige Sexszenen drin haben. Es ist schon irre: Je größer der Screen, desto gewaltiger der Effekt. Ich weine übrigens viel im Kino.

Wann zuletzt?
Vor kurzem habe ich "Good Will Hunting" mit Matt Damon wieder angeschaut, da kamen die Tränen. Nicht nur wegen des Films, in dem es wie in "Giants" auch ums Erwachsenwerden geht. Mein Vater arbeitete um die Zeit des Drehs – späte 90er – in Cambridge, Massachusetts, wo "Good Will Hunting" entstand. Da kamen beim Anschauen viele Erinnerungen.

Ihrem Film ist ein schönes Zitat des Künstlerkollegen Raymond Pettibon vorangestellt: "Life is a misery and I do not know when death may come. Play Ball!". Ist das Baseballfeld daher ein zentraler Schauplatz?
Ich selber habe nie Baseball gespielt. Aber für uns Amerikaner ist das Spiel eine zentrale Metapher für die Kämpfe, die man im Leben zu bestehen hat. Auf dem Platz zeigen sich die Unterschiede zwischen den beiden Hauptfiguren: Für Bobby ist Baseball ein Kinderspiel. Als Pitcher trifft er immer das Ziel, sogar nachdem der neidische Adam ihm eine Droge ins Trinkwasser geschmuggelt hat. Anschlag misslungen. Adam, der als Sohn des despotischen Trainers mächtig unter Druck steht, wäre kein schlechter Spieler, wenn er nicht aus komplett falschen Motiven auf den Platz gehen würde. Er will, dass sein Dad ihn so toll wie Bobby findet. Aber "Play Ball!" bedeutet vor allem: Spiele, genieße, bleib in Bewegung, auch wenn die Umstände mies sind.

Sie haben Bobby und Adam mit Brüdern, Jack und Ben Irwing, besetzt, obwohl die Figuren nicht miteinander verwandt sind. Warum?
Jack und Ben waren die ersten Darsteller, die wir überhaupt gecastet haben. Trotz der Rivalität wollte ich eine Nähe zwischen den Figuren zeigen, da war es gut, dass die Schauspieler gemeinsam aufgewachsen sind. Dahinter steht das Kain-und-Abel-Motiv und lauter griechische Tragödien um ungleiche Brüder. Ich finde außerdem gut, wenn es am Filmbeginn eine gewisse Konfusion gibt, wer nun wer ist. Dass sich die Kumpels gleichen, aber ganz verschieden aufgewachsen sind, was das Elternhaus angeht: Adam mit dem brutalen Vater und einer passiven Mutter, während Bobby keine Mutter mehr hat. Ich selber bin mit beiden Elternteilen großgeworden, trotzdem ist Bobby vielleicht mein Alter ego. Vor allem in den Szenen, in denen er alleine durch die Gegend streift und seinen Gedanken nachhängt. So bin ich.

Bobby ist einer, der mal so eben von einer hohen Brücke in den Fluss springt. Er denkt wenig über Risiken nach.
Ja, das bin ich. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht Künstler geworden. Ich bin zwar nachdenklich, aber nicht der Typ, der, wenn er eine Idee hat, lange Chancen und Risiken abwägt. Ich kreise, glaube ich, auch nicht so sehr um mich selbst, wie Andere das tun. Mein Dad hat immer gesagt: "Nur in den Spiegel gucken, wenn du dich rasierst".

Adams Vater, der Sohn und Ehefrau regelmäßig fertigmacht, ist der Schurke im Stück?
Auf keinen Fall! Es mag Sie überraschen, aber ich sehe alle Charaktere als positive Figuren. Weil Menschen wie sie im wirklichen Leben existieren. Typen wie der Daddy eines Freundes, der regelmäßig die Sachen seines Sohnes kaputtmachte, der im Zorn dessen Computerbildschirm aus dem Fenster warf. Oder der Vater meiner Halbschwester: Ein schwieriger Mensch, aber ein großer Poet. Ich möchte den Kids da draußen vermitteln, dass im Prinzip jeder so werden kann: Durch die eigenen Gedanken beschwert oder mit großer Wut erfüllt, die sich irgendwann Bahn bricht.

Wie autobiografisch ist der Film?
Sehr autobiografisch. Nun hatte ich Glück mit meinen Eltern und habe nicht jede Episode am eigenen Leib erlebt. Aber die Handlung ist aus dem destilliert, was im persönlichen Umfeld geschah. Bis hin zum krassen Gewaltausbruch am Ende. Aber wir sollten besser nicht spoilern. Ich sage nur: Caravaggios "David und Goliath"-Gemälde war eine Inspirationsquelle. War Caravaggio mit seiner Hell-Dunkel-Malerei nicht sowieso der erste Filmemacher? In dem Haus des Baseball-Trainers, in dem die Schüler eine Party mit schrecklichem Ausgang feiern, habe ich übrigens einige Zeit mit meiner Familie gelebt. Wir zogen nach North Carolina, als ich ein Kleinkind war. Der Film ist in dieser ländlichen Gegend gedreht.

Heute leben Sie in New York, haben ihr Studio in der Bronx. Sie sind als Maler und für Installationen wie fotografische Werke bekannt geworden. Was treibt Sie zum Film?
Nein, es war andersherum, ich habe schon als Elfjähriger mit dem Filmen angefangen. Als Teenager wurde ich von meiner Heimatstadt gefördert, bekam eine Super-8-Kamera gestiftet, um einen Kurzfilm über einen in den 1920ern erbauten, ziemlich berühmten Glockenturm zu drehen. Der Blick durch den Sucher hat mir immer ein Gefühl von Kontrolle und Behaglichkeit gegeben. Es musste möglich sein, diese positive Energie an ein Publikum weiterzugeben. In "Giants Being Lonely" habe ich versucht, meine Erfahrungen für die Zuschauer so aufzubereiten, dass die Emotionen nacherlebt werden können. Nur darf man seine Standards nicht preisgeben und sich dem Publikum anbiedern. Das wäre falsch.

Erzählen Sie ein wenig über die Entstehung von "Giants Being Lonely".
Es war harte Arbeit, ich bin schon seit über zehn Jahren dran. 2007 habe ich das erste Script geschrieben und es dann immer wieder überarbeitet – ein langwieriges Selbstgespräch, in dem ich das Geschriebene immer wieder mit meiner Gefühlswelt zu synchronisieren versuche. Das Beste daran ist, dass man sich selbst durch das Schreiben besser kennenlernt. Die Dreharbeiten sind dann noch ein anderes Ding. Wir waren eine große Familie, in der kreative Freiheit und großes Vertrauen herrschte. Geackert wurde aber auch. Zehn, vierzehn Stunden wurde täglich nonstop gedreht. Insgesamt hatten wir dann 300 Stunden Material für den Schnitt. Dazu muss ich allerdings sagen, dass Olmo Schnabel und ich 40 Prozent davon an Dokumentarszenen, Naturbeobachtungen, Alltag, gefilmt haben, in denen die Schauspieler nicht vorkamen.

Wie haben Sie und Olmo Schnabel sich gefunden?
Oh, ich hatte Dates mit seiner Schwester Stella. Sie wollte immer, dass ich ihre Brüder kennenlerne. Olmo und ich hingen bald viel herum und stellten fest, dass wir sehr harmonierten und auch gut zusammenarbeiten konnten. Um "Giants" zu machen, haben wir eine Produktionsfirma gegründet. Beim Dreh waren wir ein Herz und eine Seele. Es gab nie Krach. Schauen Sie mal! (Patterson klickt auf ein Handyvideo, auf dem Schnabel hinter ihm sitzt und sie gemeinsam eine "Giant"-Szene auf einem Monitor kontrollieren. Schnabel trommelt ihm dabei rhythmisch mit den Fingern auf die Schulter). Olmo und ich sind partners in crime. Mit ihm fühle ich mich sicher, sodass ich ein Sicherheitsnetz auch für Crew und Schauspieler aufspannen kann.