Umgang mit Sammlungen

Grütters fordert breitere Aufarbeitung der Kolonialgeschichte

Foto: dpa
Foto: dpa

"Madonna mit Kind" von einem unbekannten Künstlers aus Angola in der Ausstellung "Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit" 2017 in der Kunsthalle Bremen

In Europa ist die Debatte um den Umgang mit Kunst aus der Kolonialzeit neu entbrannt. In Frankreich empfehlen Experten, Kunstwerke an die Herkunftsländer in Afrika zurückzugeben. In Deutschland steht das Humboldt Forum im Fokus

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) fordert Deutschland auf, sich verstärkt der Kolonialgeschichte zu stellen. Diese sei über viele Jahrzehnte ein blinder Fleck in der Erinnerungskultur gewesen, schreibt Grütters zusammen mit der Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering (SPD), in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Samstag)

Für Deutschland ist das Thema von besonderer Aktualität, weil auch in dem geplanten neuen Kulturzentrum in Berlin, dem Humboldt Forum im wiederaufgebauten Schloss, ein Großteil der Objekte aus der Kolonialzeit stammt.

Die Debatte über die historische Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit müsse dabei über die Museen hinausgehen. "Sie gehört in die Hörsäle, in die Schulbücher und ins Fernsehprogramm." Es gehe darum, "eine erinnerungs- und kulturpolitische Gedächtnislücke zu schließen", so Grütters und Müntefering weiter. Ausdrücklich wolle man auch eine Debatte im Bundestag anregen "über einen Ort für die Erinnerung an koloniales Unrecht".

"Von Museen und Sammlungen erwarten wir die Bereitschaft, sich offen der Frage einer Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten zu stellen", schreiben die beiden Politikerinnen der schwarz-roten Koalition. Viel zu lange sei das während der Kolonialzeit geschehene Unrecht vergessen und verdrängt worden. Es sei unstrittig, dass geraubte menschliche Gebeine nicht in europäische Depots gehörten, sondern in die Hände der Nachfahren. "Notwendig ist maximale Transparenz. Für Museen und Sammlungen führt kein Weg mehr daran vorbei, bei der Ausstellung von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten deren Herkunftsgeschichte darzustellen."

Die Debatte zwinge auch zu unbequemen Fragen: "Wie können es Museen und Sammlungen rechtfertigen, Objekte aus kolonialen Kontexten in ihren Sammlungen zu haben, deren Verbringung nach Deutschland unserem heutigen Wertesystem widerspricht? Was sagt es über uns aus, wenn zuweilen pauschal unterstellt wird, Kulturgüter würden in ihren Herkunftsländern nicht den Schutz erfahren, der ihnen gebührt? Wir meinen: Es gilt aus der Falle einer eurozentrischen Perspektive herauszukommen."

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hauptakteur im künftigen Humboldt Forum, sieht sich auf einem guten Weg. "Wir werden uns bei allen Objekten, die im Humboldt Forum präsentiert werden, mit der Frage ihrer Herkunft befasst haben"», hatte Stiftungspräsident Hermann Parzinger versichert. "Das wird aber nicht abschließend der Fall sein. Denn Provenienzforschung ist ein langwieriger, komplexer Prozess."

In der vergangenen Woche forderten auch mehr als 80 Wissenschaftler aus aller Welt einen neuen Umgang mit der Kolonialgeschichte. In einem Appell in der Wochenzeitung "Die Zeit" verlangen die Unterzeichner unter anderem eine zentrale Institution zur Herkunftsforschung und eine grundlegende Neuorientierung in der Aufarbeitung. Rückgabe allein reiche nicht aus, betonen sie nach Angaben des Blattes.

Der Intendant des künftigen Humboldt Forums im Berliner Schloss, Hartmut Dorgerloh, sprach sich ebenfalls in der "Zeit" gegen eine pauschale Rückgabe aller Kulturgüter aus der Kolonialzeit aus. Zwar müsse und werde es Restitutionen geben, das allein werde aber der komplexen Geschichte nicht gerecht, sagte er.

In Frankreich hatten die in Berlin und Paris lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr in einem vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Auftrag gegebenen Bericht empfohlen, praktisch alle aus der Kolonialzeit stammenden Kunstwerke an die Herkunftsländer in Afrika zurückzugeben. Allerdings müsste dafür das französische Gesetz über Kulturgüter geändert werden.

Im Kontext der neu entfachten Debatte um Kolonialkunst ist Anfang Dezember das umstrittene Afrikamuseum in Tervuren bei Brüssel nach mehrjährigem Umbau wieder eröffnet worden. Man sei von einem Kolonialmuseum zu einem Museum des zeitgenössischen Afrikas geworden, hatte der Direktor des Museums, Guido Gryseels, gesagt. Das Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene Museum geht auf den belgischen König Leopold II. zurück. Der Großteil der Werke stammt aus dem Kongo. Unter der Herrschaft Leopolds wurde das Land systematisch ausgeplündert, Millionen Afrikaner kamen unter der Terrorherrschaft ums Leben.