Ist man noch Fan von einem Modehaus - oder schon von einem Kreativdirektor? Die italienische Marke Gucci etwa kann gefallen, aber sicher nicht jedem in jeder Ära. Zu unterschiedlich sind die Stile und Charakteristika der Designer, die die Marke prägten. Und je extremer ein Look, desto schwieriger, ihn mit der Marke und nicht der kreativen Leitung zu verbinden.
Was wäre Loewe ohne zehn Jahre Jonathan Anderson? Was wäre Balenciaga ohne zehn Jahre Demna Gwassalia, heute nur noch nachnamenlos als Demna unterwegs? Nun stellt sich eine weitere Frage: Folgen Letzterem seine Anhänger, jetzt, wo er Gucci übernommen hat? In diesen Modemonat haben einige Kreativdirektoren bei großen Luxushäusern neu angefangen. Was bringen sie mit? Was machen sie anders, und was führen sie fort? Wie sehr sind sie sich selbst treu, wie sehr dem Label, dem sie ab sofort ihre Handschrift verleihen?
Guccis Umsatz ist im freien Fall. Im ersten Viertel dieses Jahres sank er um 24 Prozent – seit Alessandro Micheles Rauswurf geht es der florentinischen Marke merklich schlecht. Demna soll nun helfen. Das georgische Supertalent machte Balenciaga zu einer der meistgehypten Brands und ist für seine extremen Silhouetten und ironischen, Gadget-haften Accessoires bekannt. Es hieß jedoch, er würde für seine Amtszeit bei der italienischen Traditionsmarke seine oft wiederholten und provokativen Erkennungszeichen (Alltagsästhetik, Dekonstruktion, Gegenwarts-Kommentare) herunterschrauben. Vielleicht sogar ganz darauf verzichten?
Die absolute "Gucciness"
Wie einige seiner Kollegen entschied sich der neue Chef für sein Debüt bei der Mailänder Fashion Week gegen eine klassische Modenschau. Stattdessen stellte er 36 Stunden vor einem geplanten Film-Event online ein Lookbook vor: 37 Charaktere, die laut Demna die absolute "Gucciness", das Epizentrum der Marke, repräsentieren. "La Famiglia" heißt die Kollektion, und sie beginnt mit dem Archetypen des Hauses: einer Koffertruhe.
Mit diesem Gepäckstück hatte Guccio Gucci die Firma 1921 ins Leben gerufen. Auf der Website folgt gut 100 Jahre später ein Model im roten Mantel mit Seidenkopftuch, genannt "Incazzata" (verärgert). Dann ein Nerd, die typische Mailänderin, ein Direktor, eine Galeristin. Der Look "Sciura", ein lokales Wort für eine wohlhabende ältere Dame, besteht aus einem himmelblauen Lammfell-Mantel mit breiten Schultern. Der "Figo", ein heißer Typ, trägt eine offene Lederjacke und tief sitzende Jeans. So sind eine Menge Stereotypen im Katalog vertreten. "Miss Aperitivo" zeigt ein winziges silbernes Paillettenkleid, der "Bastardo" nur einen seitlich geknoteten Slip, die "Principessa" eine rosa Abendrobe. Die "Diva" strahlt in blauem Pelz.
Laut einer Pressemitteilung des Hauses ist diese Familienaufstellung "die ästhetische Grundlage, auf der Demnas Gucci-Vision bis zu seiner ersten Show im Februar aufgebaut wird". Und all die Personas wurden lebendig, als das Unternehmen in Mailand den Kollektions-Film "The Tiger" präsentierte, inszeniert von Regisseur Spike Jonze und der Schauspielerin und Autorin Halina Reijn. Im geladenen Publikum, wie auch auf der Leinwand, wurden Guccis neue Kleider getragen und in die Handlung eingebettet. Ein gelungenes Debüt? Während Demna Codes der vorherigen Gucci-Designer von Tom Ford bis Alessandro Michele zitierte, ist auch seine eigene Präsenz unverkennbar. Und vor allem ein Verständnis des Hauses und seiner Aufgabe, es wieder an die Spitze zu bringen.
Auch Dario Vitale musste sich während der gerade endenden Mailänder Modewoche beweisen. Noch mehr als bei Miu Miu, wo er mehrere Jahre als Designdirektor tätig war. Denn jetzt stand er als neuer Kreativdirektor bei Versace im Rampenlicht. Noch nie in der Geschichte des Hauses hatte jemand hier die kreativen Zügel in der Hand, der nicht der Gründerfamilie angehörte. Doch jetzt ist das Unternehmen Teil der Prada-Gruppe, genau wie Miu Miu, und so musste der Neapolitaner Vitale nur mal kurz das Atelier wechseln.
Seine Version des 1978 gegründeten Modehauses war unmissverständlich mit seiner eigenen Geschichte verknüpft. "Ich erinnere mich, wie meine Mutter in den 1980er- und 1990er-Jahren Versace trug – sie war eine seiner besten Kundinnen", sagte der 42-jährige Designer über Gianni Versaces legendäre Looks. Gleichzeitig hielt er eines der wichtigsten Merkmale der Marke hoch: den Sexappeal.
Für ihn gehe es nicht um den sexuellen Akt selbst, sondern um das Erlebnis drumherum – um die haptischen Eindrücke und das Nachwirken am Tag darauf. Im Zentrum stehen Vorstellung und Erinnerung, erklärte er backstage. Übersetzt in Kleidung zeigten sich diese Inspirationen als Vintage-Silhouetten mit einem modernen Touch, in krassen Farben und versteckter Sinnlichkeit.
Götter, die Affären mit Sterblichen haben
Schmale Jersey-Tops, die die seitliche Brust entblößten, fielen wohl als erste auf, dazu die hoch sitzenden bunten "Karottenjeans" der 1980er-Jahre. Dazu Muster- und Materialmixe aus Lederwesten, Obelix-Hosen und bedruckten Krawatten. Die aus Metallketten konstruierten Bustiers wurden zu glänzenden Röcken getragen - und um die Hüfte gebundenen Kaschmir-Cardigans. Dann Pullunder zu Lederhosen. Es folgten freie Schultern, sperrige Anzüge und schwingende Jersey-Kleider.
Vitale brachte Giannis, Donatellas und sein ganz eigenes Verständnis der Marke unter einen Hut. "Bei Versace war das Storytelling immer vom Olymp geprägt", sagte er dem "Guardian". "Schöne Frauen und Männer, doch stets als Götter und Göttinnen. Ich wollte mir vorstellen, wie diese Götter und Göttinnen Affären mit Sterblichen eingehen. Wenn sie der Liebschaften auf dem Olymp überdrüssig wurden, stiegen sie herab, um sich zu vergnügen." Will heißen: Alles ist opulent und sexy, plakativ und glamourös – aber in einer Sprache, die auch außerhalb der 1980er-Jahre in Miami gesprochen wird - und nicht nur auf Mailänder Laufstegen, sondern im realen Hier und Jetzt.
Entwurf aus der Frühling/Sommer-2026-Kollektion von Versace, Mailänder Modewoche, September 2025
Louise Trotter ist einer von nur zwei weiblichen Namen, die diese Saison in jeder Übersicht zum Personalkarussell in der Fashion-Branche zu lesen waren. Und das bei 15 Neuanfängen. Autsch! Ihr Debüt für Bottega Veneta in Mailand wurde auch deshalb gespannt erwartet. Ihr Vorgänger Matthieu Blazy (jetzt bei Chanel) hatte den damaligen Ansatz von Daniel Lee (jetzt bei Burberry) perfektioniert: diskrete Handwerkskunst und zeitlose Eleganz absolut zeitgemäß und begehrenswert zu machen.
Bottega Veneta steht unmittelbar für das intrecciato, geflochtenes Leder, das ohne große Logos die Identität des Hauses auch für ungeübte Augen sichtbar macht. Bottega Veneta – das bedeutet Understatement im Luxussegment. Und Louise Trotter verstand ihre Aufgabe. Nicht nur ging es bei ihrer Ernennung darum, das reiche Erbe des Hauses weiterzuführen, sondern auch, den weiblichen Blick einzufangen. Dieser ist in den von Männern dominierten Topjobs der Mode momentan viel entscheidender als sich viele Anzug tragende Chefetagen eingestehen wollen.
Als italienisches Hermès beschrieb Carine Roitfeld, ehemalige Chefredakteurin der französischen "Vogue", das Trotter-Debut. Edward Buchanan, Designdirektor des Hauses in den späten 1990er-Jahren, kommentierte die Show so: "Die Perspektive einer Designerin wirkt einfach anders."
Seriöse Tragbarkeit und sinnlich-verspielte Elemente
Trotter bot eine nicht leicht zu erreichende Balance zwischen seriöser Tragbarkeit und sinnlich-verspielten Elementen. Weiblichkeit, ohne die Frau auf ihren Körper zu reduzieren. Ganz im Gegenteil waren die leiblichen Umrisse der Models in vielen Entwürfen nur zu erahnen. Vielmehr dominierte dynamisches, aktives Material; wie geschmeidige, sich aufplusternde Federn, manipulierte Stoffe, die zu Fransen und fast lebendig wirkenden, haptischen Textilien geformt wurden. Dazu gab es aus Leder geflochtene Mäntel, Halstücher, Anzüge und sogar Kragen zu sehen, die über glattledernen Designs getragen wurden. Alles ergab harmonierende Farbwelten zwischen Wildbeere und Olivgrün, Kamelbeige und Steingrau. Modern, extravagant, detailverliebt und selbstbewusst.
Das intrecciato schwappte auf Stoffe über und wurde so zu Abendroben. Kastige Sweatshirts kombinierte Trotter zu Fell-Federröcken. Ein Träger jedes Kleides, ob Leder oder Baumwolle, war von der Schulter der Models auf den Oberarm gerutscht. Fast alle Looks kamen mit einer eigenen Tasche daher, und auch den Schuhen galt eine besondere Aufmerksamkeit. Hier ließ Trotter ihrer Fantasie freien Lauf, zeigte mit Leder umbundene Pumps, spitze Clogs aus Plastik und flauschige Sandaletten.
Ihre Entwürfe sind weder wirklich enganliegend noch formlos. Sie entfalten sich vielmehr in stets richtigem Abstand über dem Körper. Sie lassen Interpretationsspielraum und Platz zum Atmen. Diese Stimmigkeit schafft eine anmutige Silhouette, die schmeichelhaft wirkt, ohne einzuengen. Dies ist genau jene Art von Kleidung, zu der Frauen gern greifen. "Mode ist für mich weniger Kunst als vielmehr etwas, das Freude bereiten soll", erklärte Trotter der "Vogue" zu Beginn dieses Jahres. Aber ihr Bottega Veneta könnte vielleicht auch beides sein.