Insta-Watchlist: Hannah Neckel

"Meine Base ist meine Internetverbindung"

Der Trend, das eigene Leben perfekt für Instagram zu inszenieren, ist vorbei. Ugly Instagram ist wie Ugly Fashion eine Befreiung vom Druck der Selbstoptimierung. Die österreichische Künstlerin Hannah Neckel denkt in ihrer Arbeit über digitale Identität nach. Wohin führt der Overkill an vorgetäuschter Perfektion?

Frau Neckel, Sie sind mit einer Videoarbeit Teil der Online-Gruppenausstellung „Make URLself at Home“. Es geht um das digitale Zuhause. Wo leben Sie?
Ich weiß nie, was ich auf die Frage "Wo wohnst Du eigentlich?" antworten soll. Ich bin aus Wien, ich bin aber auch viel in Berlin, in Frankfurt und im Rest von Europa unterwegs. Ich will nie lange an einem Ort bleiben. Meine Base ist meine Internetverbindung. Statt unter einer Adresse ist man heute am sichersten im Internet anzutreffen.

Wo im Netz fühlen Sie sich Zuhause?
Zuhause fühle ich mich, wo es mir möglich ist, mich frei zu bewegen. Früher war dieser Ort für mich Tumblr mit einer anything goes attitude. Tumblr war damals unberührter vom Personenkult im Vergleich zu anderen sozialen Medien. Heute lebe ich mich auf Instagram in den Stories aus. Die Videos und Bilder verschwinden nach 24 Stunden wieder, es geht dort wilder und freier zu. Mich erinnert das an die Anfänge des Internets, die mit der utopischen Vorstellung von Freiheit verbunden waren. In meiner Arbeit spiegele ich meine Wahrnehmung des Internets.

In Ihrem Video blitzt groß das Wort "Princess" auf, dann ist zu sehen, wie Sie sich in den eigenen vier Wänden mit dem Smartphone fotografieren. Wie entstehen Ihre Videos?
Ich arbeite immer mit einem Mix aus Found Footage und von mir erstellten Inhalten. Der Schriftzug "Princess" und die anderen Overlays sind Gifs, die ich auf Tumblr gefunden habe. Das Princess-Gif bringt den Y2K-Vibe der frühen 2000er-Social-Media-Ästhetik in meine Arbeit. Und es ist eine Hommage an die selbsternannte Princess Paris Hilton.

Was sind Kylie Jenner und Paris Hilton für Sie?
Performative Identitäten wie Paris Hilton und Kylie Jenner interessieren mich. Jeder move der beiden ist kalkuliert. Die beiden sind nicht dumm und hilflos und deshalb berühmt. Paris Hilton lebt eine performative Identität und erschafft so eine Kunstfigur wie beispielsweise auch die Kardashian. Mit enormen Einfluss auf unsere Kultur. Diese Art von einem die Realität überschreitenden Leben wird in der Gesellschaft oft nicht als solches erkannt, weshalb Frauen wie Paris Hilton abgewertet und als oberflächlich und untalentiert verurteilt werden. Das Thema performative Identität hat einen neuen Höhepunkt erreicht, Paris Hilton und Kylie Jenner sind Vorreiterinnen. Durch die Nutzung der sozialen Medien kann das eigene Leben zu einer Performance werden, in der man seine Persönlichkeit präsentieren, formen, verändern kann. Jede*r kann der Star in seiner eigenen Reality-Show sein.

Bett und Schlafzimmer spielen bei der Produktion und Rezeption von Kunst im digitalen Zeitalter eine wichtige Rolle. Der Autor und Kurator Omar Kholeif spricht in seinem Buch "Goodbye World! Looking at Art in the Digital Age" über "Bedroom Artists". Würden Sie sich als eine Schlafzimmer-Künstlerin bezeichnen?
Exakt so ist die Arbeit für "Make URLself at home" entstanden. Ich beschäftige mich damit, losgelöst von einem fixen Ort zu sein. Wie Diogenes, der die Entscheidung getroffen hat, nur in einer Tonne zu leben, habe ich mich entschieden, nie länger als einen Monat an einem Ort zu leben und das mit allen Bereichen meines Lebens zu verbinden. Ich habe weder einen fixen Wohnsitz, noch ein Schlafzimmer. Diese räumliche Ungebundenheit befreit mich von Betriebsblindheit, mein Blick bleibt so aufmerksam.

In der Ausstellung geht es aber um mehr.
Genau. Wie findet man online seine Community? Wie wird man von der Community beeinflusst?

Ist der Netzfeminismus ein gutes Beispiel für eine Community?
Das Internet bietet Frauen die Möglichkeit, sich selbst so darzustellen, wie sie gesehen werden möchten. In den letzten Jahren hat sich das weibliche Körperbild radikal verändert. Die Selbstdarstellung in den sozialen Medien hat bei der Entwicklung des weiblichen Blicks eine wichtige Rolle gespielt. So wurde das männliche Monopol auf Realitätsbeschreibung gebrochen und ansatzweise demokratisiert.

Wirken sich diese Erfahrungen auf ihre künstlerische Arbeit aus?
In meinen Arbeiten beschäftige ich mich mit Identitätsfragen, wie und worüber definieren wir uns, wie kommunizieren wir unsere Identität im Digitalen. Seit meinem siebten Lebensjahr habe ich ständig ein Handy in der Hand. Über mein Leben als Digital Native denke ich in meiner künstlerischen Arbeit nach. Der Overkill an perfekten Postings führt zum Wunsch nach Trash, Naivität und Leichtigkeit.

Erschaffen Sie mit Ihrer Präsenz auf Instagram eine von Ihnen selbst losgelöste digitale Identität wie beispielsweise Amalia Ulman das in ihrer Instagram-Performance "Excellences & Perfections" gemacht hat?
Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Ich habe das Gefühl, dass es am wichtigsten ist, offline und online authentisch zu sein. IRL und URL sind längst nicht mehr voneinander getrennt. Paris Hilton war als Kunstfigur deshalb so bahnbrechend, weil sie in einer Zeit ihren Peak hatte, als trashy zu sein Mainstream war. Damals baute sich nicht jede*r 14-Jährige*r seine Personal Brand auf. Ein gefakter Lifestyle in den sozialen Medien ist heute die Norm, deshalb ist Authentizität der natürliche Gegenpol.