Insta-Watchlist: Hanneke Klaver

"Mir gehen digitale Gesichtsfilter auf die Nerven"

Die niederländische Künstlerin Hanneke Klaver ist genervt von den Augmented-Reality-Filtern auf Instagram. Hunde- und Katzenohren sind zwar niedlich, unser Gesicht kann aber doch mehr. Im Gespräch erklärt sie, wie ihre analogen Gesichtsfilter funktionieren und warum sie vielleicht bald ein Fitnessstudio für das Gesicht eröffnet

Frau Klaver, reagieren Sie mit Ihren analogen Gesichtsfiltern auf den Hype um AR-Filter auf Instagram?

Genau, das ist einer der Gründe, warum ich an der Serie "Free the Expression" arbeite. Mir gingen die digitalen Filter auf die Nerven. Die Nutzer werden gezwungen, ihren Mund zu öffnen und dann passiert irgendetwas auf dem Bildschirm. Ein anderer Grund ist, dass ich besessen davon bin herauszufinden, wie ich mein Gesicht und meinen Körper einsetzen kann. Ich spiele mit der Bewegung des Körpers, indem ich Materialien aufklebe. Und ich klebe mir gern Dinge ins Gesicht.

Das haben Sie für diese Serie schon sehr oft getan.

Ja. (lacht) Bisher gibt es 40 kurze Videos, die ich ohne Ton auf Instagram gepostet habe. Ich überlege noch, wie ich diese Arbeit aus Instagram herausbekommen könnte. Ein Gedanke ist, daraus ein Fitnessstudio für das Gesicht zu machen, um das Training für die Gesichtsmuskulatur anzuregen. Es gibt Übungen, damit man beispielsweise weniger Falten bekommt. Dazu gibt es massig Videos auf YouTube. Menschen trainieren mit Übungen ihr Gesicht und versuchen es so zu verändern. Ich mag es, Leuten bei dieser seltsamen Angewohnheit zuzuschauen.

Verstehen Sie, dass Menschen Freude an der Nutzung von AR-Filtern haben und sich digital eine glitzernde Maske anziehen oder sich einen Skorpion ins Gesicht setzen?

Klar. Technologie macht möglich, dass die Filter für alle zugänglich sind und Menschen zur Teilnahme angeregt werden. Ich probiere ja selbst gern die digitalen Filter aus. Es ist aber doch seltsam, dass man AR-Filter verwendet, die einen dazu zwingen, die Gesichtsmuskulatur einzusetzen. Mit dieser neuen Angewohnheit spiele ich bei meinen analogen Gesichtsfiltern. Unser Gesicht kann viel mehr, als für die Nutzung digitaler Filter von uns verlangt wird. Mund auf und zu, Augenbrauen hoch und runter und den Kopf ein bisschen hin- und herbewegen, das ist doch nicht sehr viel.

Das deutet auch der Titel beziehungsweise das Hashtag #freetheexpression zu Ihrer Serie an. Wie befreien Sie den Ausdruck?

Ich zeige, was die Gesichtsmuskulatur alles kann, indem ich mir etwa Papier ins Gesicht klebe, das sich bei Bewegung der Muskeln mitbewegt. Mit meiner analogen Serie habe ich die Möglichkeiten meines eigenen Gesichts untersucht. Ich benutze dafür Papier, Kleber, Strohhalme und Metalldraht. Durch die Low-Tech-Experimente finde ich heraus, wie meine Gesichtsmuskeln funktionieren und wie ich meinen Gesichtsausdruck erweitern kann. Durch diese Experimente eröffne ich neue Möglichkeiten. Ich behalte diese Experimente nicht für mich, ich möchte sie mit anderen teilen, deshalb das Hashtag #freetheexpression. Andere sollen an meinen Gesichtsexperimenten teilnehmen. Ich befürworte eine freie Meinungsäußerung, indem ich nicht standardisierte Gesichtsfilter herstelle.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ein gutes Beispiel für einen standardisierten Gesichtsausdruck ist das Projekt "Face Visualizer" von Daito Manabe.


Er arbeitet mit Elektronik im Gesicht. Er benutzt Musik und wandelt sie in elektronische Impulse um, damit sich sein Gesicht bewegt. Auf diese Weise kann Manabe viele Menschen gleichzeitig die gleichen Bewegungen ausführen lassen. Durch diesen elektronischen Reiz wurde mir das Prinzip der AR-Filter klar. Meine Filter funktionieren umgekehrt. Zum Beispiel der Rotpunkt-Filter. Der rote Punkt folgt der Bewegung meiner Augenbraue. Sie können den roten Punkt als Taktstock eines Dirigenten betrachten. Durch das Spielen mit der Augenbraue bewegt sich der Schlagstock auf und ab. Meine Fantasien gehen weiter. Was wäre, wenn ich ein Orchester mit der Bewegung einer Augenbraue dirigieren könnte?


Ich versuche immer herauszufinden, wo die meiste Bewegung im Gesicht stattfindet. Die Bewegung geht meist von den Augenbrauen aus. Hier zeige ich, welche Bewegung das Runzeln der Stirn auslöst:

 


Bei den digitalen Filtern weiß man genau, welche Bewegung zu welchem Ereignis führt. Wenn man die Augenbrauen hochzieht, richten sich die Hundeohren auf. Normalerweise aber bewegt man die Augenbrauen im Gespräch unbewusst. Mein Filter zeigt diese unbewussten Bewegungen an.

AR-Filter lassen sich über Instagram und Snapchat einfach unter die Leute bringen. Wie machen Sie das mit ihren analogen Gesichtsfiltern?

Meine Filter kann ich wie Bastelbögen verteilen. Der Nutzer drückt nicht nur einen Knopf auf seinem Smartphone, sondern schneidet erst einmal Streifen aus. Ich gebe Hinweise, an welche Stellen im Gesicht die Streifen mit Kleber angebracht werden können. Dann ist der Nutzer frei herauszufinden, wie der Filter funktioniert und was passiert, wenn die Streifen an den verschiedenen Punkten im Gesicht angebracht werden. Es gibt beispielsweise einen Filter, der Krafttraining für die Gesichtsmuskulatur simuliert.


Der rote Punkt ist das Gewicht, das gestemmt werden muss. Ich möchte aber keine strengen Regeln festlegen. Ich gebe Beispiele, und wenn jemand es selbst ausprobiert, sind Überraschungen möglich.

Es gibt auch Filter von Ihnen, die das Gesicht ganz verdecken. Ist hier Privatsphäre das Thema?


Ach, irgendwann konnte ich mein eigenes Gesicht nicht mehr sehen, also habe ich es ganz verdeckt. Und trotzdem macht der Filter die Bewegungen im Gesicht noch sichtbar. Der Gegenpol zu diesem Filter wiederum ist eine minimalistische Version, die die Bewegung der Augenlider sichtbar macht, weil das Blinzeln ja ein Automatismus ist.


Haben Sie schon digitale Filter ins Analoge übertragen?

Bisher noch nicht. Das würde mich aber interessieren, ich kann mir nämlich gut vorstellen mit einem Digital Creative oder einem Künstler zu kooperieren. Bisher habe ich nur die Funktionsweise digitaler Filter oder etwa von Facetracking ins Analoge übertragen. Im Digitalen geht es oft um Verbindungen, also, wenn das gemacht wird, geschieht das. Ich habe einen Filter aus Strohhalmen gebaut, der die Bewegungen von Augenbrauen und Mund verbindet.

Haben Künstler oder Künstlerinnen schon auf Ihre analogen Filter mit einer digitalen Version geantwortet?

Benny Bingxin Feng folgt mir auf Instagram und sagt, sie sei von meinem Filter inspiriert. Sie stellt ihre eigenen Versionen von analogen Filtern her und verwendet die Kamera, um die Bewegung zu verfolgen und die Informationen in etwas anderes umzuwandeln.


Werden Sie weiter an der Serie arbeiten?

Ich arbeite sehr gerne mit meinem Gesicht. Ich versuche alles immer nur einmal. So arbeite ich, also werde ich weiter experimentieren. Es gibt AR-Filter, die zwei Personen gleichzeitig nutzen können. Ich möchte neue analoge Experimente durchführen, um mehrere Gesichter miteinander zu verbinden.