Urteil im Streit um Purrmann-Gemälde

"Die Gerechtigkeit hat gesiegt"

Der Enkel des Malers Hans Purrmann klagt auf Freigabe zweier nachweislich gestohlener Bilder seines Großvaters. Der Besitzer sagt, er habe sie im guten Glauben erhalten. Der Rechtsstreit währt Jahre und geht durch mehrere Instanzen. Jetzt wurde das Urteil verkündet. Anwältin Katharina Garbers-von Boehm hat den klagenden Purrmann-Erben vertreten

Katharina Garbers-von Boehm, das Gesetz sieht vor, dass Gegenstände, also auch Kunstwerke, nach zehn Jahren ihrem Besitzer auch gehören. Stimmt das soweit?

Das Gesetz sieht zunächst vor, dass grundsätzlich an gestohlenen Sachen kein Eigentum erworben werden kann, auch nicht, wenn der Erwerber gutgläubig ist. Da es aber aus Sicht des Gesetzgebers und des Marktes wichtig ist, dass der Rechtsverkehr ungestört vonstattengehen kann, gibt es hierzu Ausnahmen. Eine Ausnahme ist der gutgläubige Erwerb bei öffentlichen Auktionen. Die andere ist die sogenannte Ersitzung. Wenn jemand eine Sache zehn Jahre gutgläubig im Besitz hat, wird er Eigentümer, auch wenn diese gestohlen ist.

In erster Instanz wurde die Klage des Purrmann-Erben abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Sie haben den Fall jetzt gewonnen, welche Aspekte waren zuvor übersehen worden?

Der Beklagte hatte im Laufe des Prozesses widersprüchlich vorgetragen. Diese Widersprüche haben wir ganz sauber herausgearbeitet und das Gericht ist uns letztlich gefolgt mit der Auffassung, dass der Beklagte seiner sekundären Beweislast hinsichtlich seines Besitzerwerbs nicht nachgekommen ist. Die Gerechtigkeit hat gesiegt.

Können Sie das noch mal konkreter und weniger fachlich sagen?

In dem gegen ihn wegen Hehlerei eingeleiteten, dann aber eingestellten Ermittlungsverfahren hatte der Beklagte zunächst angegeben, die Werke schon seit 30 bis 35 Jahren im Besitz zu haben. Als sich herausstellte, dass dies gar nicht sein kann, weil die Werke zu dieser Zeit noch im Hause Purrmann waren und der Diebstahl und das Diebesgut anhand von Inventarlisten und polizeilichen Unterlagen auch gut dokumentiert war, präsentierte er im Zivilprozess eine neue Story, die zahlreiche Ungereimtheiten enthielt.

Wusste der Besitzer also, dass es sich um Diebesgut handelte?

Die Geschichte des Beklagten enthielt erhebliche Widersprüche und Ungereimtheiten, die nicht erklärbar waren. Warum sollte man sich ohne Not in unerklärbare Widersprüche verstricken?

Der Enkel des Malers verlangt die Herausgabe der Werke, der Besitzer beruft sich auf das "Ersitzen" in sogenanntem "guten Glauben". Wie geht man da als Juristin vor?

Klingt langweilig, macht aber höllisch Spaß: Die Akte ganz genau sezieren, wie eine köstliche Seezunge. Der Bundesgerichtshof hat einer Entscheidung des OLG Celle, nach der bei gestohlener Kunst der Besitzer nachweisen muss, dass er bei Erwerb in gutem Glauben war, eine Absage erteilt. Auch nach dem Urteil in Sachen Purrmann wird es also herausfordernd bleiben, den bösen Glauben des Besitzers zu beweisen. Wichtig ist es, auf die sekundäre Beweislast zu beharren und etwaige Widersprüche im Vortrag herauszuarbeiten.

Der Beklagte ist der Besitzer, also der, dem die gestohlenen Werke geschenkt wurden. Müsste man juristisch nicht gegen denjenigen vorgehen, der ihm dieses Geschenk gemacht hat, nämlich seinen Stiefvater?

Der Stiefvater war bereits verstorben. Selbst wenn er noch gelebt hätte, richtet sich die Klage des Eigentümers immer gegen den aktuellen Besitzer, nicht gegen den vormaligen Besitzer. Zivilrechtlich ist also der angeblich Beschenkte der Anspruchsgegner, nicht der Schenker selbst.

Für den fehlenden guten Glauben trägt der Kläger die Beweislast, also der Purrmann-Enkel muss nachweisen, dass der Besitzer der Bilder wusste, dass es sich um Diebesgut handelt. Wie kann man so etwas nachweisen?

Das ist genau das Dilemma: Der Nachweis ist sehr schwer zu erbringen. Im Purrmann-Fall gab es hierfür aber zahlreiche Anhaltspunkte: Wie kann es sein, dass man plötzlich zwei Purrmann-Bilder geschenkt bekommt? Muss man das nicht hinterfragen?

Nein, wieso denn? Menschen bekommen doch noch viel abseitigere Dinge geschenkt.

Aber die Hinweise auf die Bösgläubigkeit waren in diesem Fall schon sehr offensichtlich: Warum kontaktiert man ein Auktionshaus in der Schweiz und zieht sich plötzlich zurück, wenn das Auktionshaus vorschlägt, ein Gutachten beim Purrmann-Archiv anzufragen? Warum weiß man nicht mehr, ob man ein Werk geerbt hat, oder als Geschenk erhalten hat. Direkt zu beweisen ist die Bösgläubigkeit  kaum. Ganz schwieriges Terrain. Deshalb gibt es im Zivilprozessrecht die bereits erwähnte sekundäre Beweislast: Zwar ist grundsätzlich jede Prozesspartei nicht verpflichtet, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen. Im Einzelfall kann es aber sein, dass zumindest eine Darlegung der Geschehensabläufe vom Gegner verlangt wird. So liegt es bei der Ersitzung. Und im Rahmen dieser sekundären Beweisführung kann es eben gerade bei der Ersitzung nicht angehen, dass mehrere Geschichten präsentiert werden können, bis eine dabei ist, die auch passt. Die verschiedenen Versionen hat das Gericht nun dem Beklagten in der Zurückverweisungsinstanz endlich nicht mehr durchgehen lassen. Deshalb kam es auf den Nachweis des bösen Glaubens nicht mehr an; nach meiner Einschätzung hatten wir den bösen Glauben aber ebenfalls nachgewiesen, auch wenn das Gericht sich dazu nicht geäußert hat.

Handelt es sich hier um einen Präzedenzfall, rechnen Sie mit vielen weiteren solcher Fälle im Kunstbereich, bei denen der "gute Glaube" erfolgreich angezweifelt werden kann?

Erstaunlicherweise gibt es zur Ersitzung nicht viele Urteile. Ein Präzedenzfall im rechtlichen Sinne ist der Fall aber trotzdem nicht – die Grundsätze bleiben, wie sie waren. Die Rechtsprechung sieht den Verkehrsschutz als ein hohes Gut an; auch wenn das gerade im Kunstbereich, wo Provenienzen eine so wichtige Rolle spielen, seltsam anmuten mag: Das Zivilrecht ist um Rechtssicherheit bemüht, ein Käufer soll sicher sein, dass er Eigentum erwerben kann – es sei denn, die Umstände sind verdächtig. Das beißt sich zwar in gewisser Weise mit den Vorschriften des Kulturgutschutzgesetzes, wonach der Handel von abhandengekommenem Kulturgut verboten ist. Dieses Gesetz war aber im Purrmann-Fall noch nicht anwendbar. Auch wenn es sich nicht um einen Präzedenzfall im eigentlichen Sinne handelt, so ist es doch insoweit ein einzigartiger Fall, als die behauptete Ersitzung deshalb abgelehnt wurde, weil der Beklagte seiner sekundären Beweislast nicht nachgekommen ist. Der sekundären Beweislast bei der Ersitzung kommt somit künftig eine größere Bedeutung zu. Sowohl das BGH-Urteil zum Fall, als auch das jetzt ergangene Urteil des OLG Nürnberg geben insoweit gute Hinweise. Aber das Problem, dass Kunst vom Bestohlenen oft nicht herausverlangt werden kann, sofern sich der Besitzer geschickt verhält, bleibt.