Ebenfalls ein eigenes Museum, aber gleich in besagter Hauptstadt selbst, hat auch Helga de Alvear geschaffen. Die Madrider Galeristin eröffnete ihr Museo de Arte Contemporáneo Helga de Alvear 2010, und gut ein Jahrzehnt später erhielt es einen Neubau, grandios in die felsige Topografie der im Übrigen höchst sehenswerten Stadt Cáceres hineingebaut von Tuñón Arquitectos. Die Wahl dieses Madrider Büros zeugt vom exquisiten Geschmack der Galeristin, hat doch Emilio Tuñón nicht immens viel gebaut, aber durchweg herausragende Projekte wie die Behausung der Königlichen Kunstsammlungen in Madrid verwirklicht – ebenfalls in eine Hanglage hineingebaut, so dass der Besucher oben ein- und unten wieder hinaustreten kann.
Wie auch in Cáceres, wo es nicht leicht fällt, in dem geschickt verschachtelten Raumgefüge die Orientierung zu behalten. Das gilt für die ausgestellte Kunst selbst. Denn Helga de Alvear hat stets gesammelt, was ihr gefiel, ohne sich um einen roten Faden zu kümmern. Warum auch, denn bei schließlich um die 3000 Werken der Gegenwartskunst zeigt sich der rote Faden von alleine: alles, was Gegenwart war und ist, ist da versammelt.
An der kulturellen Selbstfindung Spaniens beteiligt
"Ich kaufe Kunst, die mich interessiert, aber immer Arbeiten und nicht die Namen der Künstler", hat sie in einem längeren Interview mit Monopol erläutert, das geführt, wurde, nachdem sie das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland erhalten hatte: "Vor allem muss ich mich in ein Kunstwerk verlieben, bevor es Teil meiner Sammlung werden kann. Und bevor ich die Werke eines Künstlers ausstelle, kaufe ich erst einige seiner Arbeiten, um zu sehen, ob sie weiterhin interessant bleiben, wenn ich mit ihnen zusammen lebe." Stolz zeigte sie sich in ihrem Museum, und es war, als ob sie weiterhin mit den Kunstwerken lebte, nur eben in nunmehr größerem Rahmen.
Nun muss das Museum ohne seine Stifterin auskommen; Helga de Alvear ist am 2. Februar im Alter von 88 Jahren gestorben, und nicht in Cáceres, sondern in Madrid, wo für Jahrzehnte ihr Lebensmittelpunkt lag. Die Galerieszene der spanischen Hauptstadt wird einige Zeit brauchen, diesen Verlust zu verarbeiten. Eigentlich konnte man sich Madrid – und damit auch die Kunstmesse Arco – ohne die Präsenz von Helga de Alvear nicht vorstellen. Schließlich war sie Mitbegründerin der seit 1982 abgehaltenen Messe für zeitgenössische Kunst, "die Spanien zurück auf die internationale Landkarte brachte", wie jüngst die "FAZ" anerkennend urteilte. Doch was heißt "zurück"? Als Helga de Alvear nach Spanien kam, lag das Land noch unter der drückenden Last des Franco-Faschismus, aus dem es sich nach 1975 erst noch befreien musste. Helga de Alvear war an dieser kulturellen Selbstfindung von Anfang an beteiligt.
Dabei war ihr der Galeristenberuf durchaus nicht vorgezeichnet. 1936 als Helga Müller Schätzel und Tochter eines Industriellen im pfälzischen Kirn geboren, besuchte sie die Schule in Salem am Bodensee, anschließend Schulen in der Schweiz, ging zum Spracherwerb nach Spanien – und heiratete 1959 den Architekten Jaime de Alvear. Der Wendepunkt in ihrem Leben kam acht Jahre später, als sie die Madrider Galeristin Juana Mordo kennenlernte und alsbald in deren Galerie einstieg, in Vollzeit und mit vollem Einsatz.
Mit ganzem Einsatz für die Kunst
Nach Mordos Tod 1984 übernahm sie die Geschäftsführung, und nochmal ein Jahrzehnt später eröffnete sie unter eigenem Namen ein Domizil gleich um die Ecke vom neuen Kunstzentrum Reina Sofia. Fortan kam quasi automatisch in ihre Galerie, wer ins Reina Sofia wollte, und umgekehrt. "Meine Vorbilder waren Ileana Sonnabend, Annely Juda und Denise René", erläuterte sie rückblickend und ohne falsche Bescheidenheit: "Supergaleristinnen, die sich hundertprozentig für die Galerie und die Kunst einsetzten." Das darf man als Selbstbeschreibung verstehen. Denn Supergaleristin war sie selbst, mit ganzem Einsatz für die Kunst, die sie stets persönlich an den oder die Sammler brachte. Und einen guten Teil für sich selbst behielt, einfach, weil sie überzeugt war von dem, womit sie handelte.
Das war immer auch die künstlerische Fotografie. Joan Fontcuberta und Javier Vallhonrat hatte sie noch von Juana Munro "übernommen", die deutschen Becher-Schüler präsentierte sie selbst. Zuvor hatte sie bereits A.R. Penck und Imi Knoebel im Programm, dazu Jürgen Klauke, später kam beispielsweise Thomas Demand, Elmgreen & Dragset, Isaac Julien, Julian Rosefeldt und Santiago Serra hinzu. Auf der Arco hatte sie ihr Heimspiel und immer einen herausragenden Stand, was sie nicht hinderte, zuweilen mit der spanischen Kunstszene hart ins Gericht zu gehen. Dass Madrid den Anschluss an Zentren wie Paris, London oder auch Düsseldorf gefunden hat, ist nicht zuletzt auch ihrem unerbittlichen Qualitätsanspruch zu verdanken.
Die bundesdeutsche Auszeichnung erhielt sie für ihre "Verdienste", will sagen: für ihre Vermittlerrolle zwischen Spanien und Deutschland, die sie ganz selbstverständlich ausgefüllt hat. Einfach, weil sie von Kunst begeistert war und mit ihrer Begeisterung andere anstecken konnte, Sammler, Kollegen und schließlich auch die Region Extremadura, die nun ein vorzügliches Kunstmuseum in ihrer Hauptstadt besitzt. Als Ort der Gegenwart in den historischen Mauern der Stadt, und zugleich als Denkmal einer besonderen, eben einer "Supergaleristin".