Sehnsucht nach dem Büro

Was wir im Homeoffice vermissen

Das Büro galt als Ort institutionalisierter Langeweile. Doch im Corona-Homeoffice erscheint die einst verhasste Angestelltenwelt wieder verheißungsvoll. In der Kunst ließ sich diese Sehnsucht nach geordneten Arbeitsverhältnissen schon länger beobachten

Der Himmel, unter dem wir leben, die Stadt, in der wir wohnen, das Haus, in dem wir arbeiten, das Büro, in dem die Zeit – tick, tick, tick – nicht zu vergehen scheint und am Ende doch aufgebraucht ist: Die berühmten Eröffnungsminuten des Spielfilms "About Schmidt" von 2002 erzählen in lakonischen Bildern das ganze Drama der postindustriellen Ära. Die Bilder erfassen zuerst eine urbane Infrastruktur, dann nähert sich die Kamera einem Hochhaus, das, wie jetzt auffällt, in jeder dieser Einstellungen die Skyline dominierte, nun sind die Kanten, gerade Linien, der Machtanspruch der Architektur zu sehen, dann ein Zimmer in diesem Gebäude: das Büro Warren Schmidts. Der Versicherungsangestellte schaut auf die tickende Wanduhr, die Kisten sind gepackt, der Schreibtisch geräumt, gleich beginnt der Ruhestand. Endlich frei.


Zahlreiche Romane und Erzählungen, Filme und Serien erzählen vom Büro als Ort des modernen Lebens, von Franz Kafkas düsteren Fabeln auf die gesichtslose Bürokratie über die – in Spiegelung zur Büroarbeit – sachlichen Bestandsaufnahmen in Romanen von Walter E. Richartz, J. J. Voskuil oder David Foster Wallace bis hin zu TV-Serien wie "The Office" oder "Stromberg", in denen die Peinlichkeiten der Zwangsgemeinschaft Kollegium durchgespielt werden.

Die US-Serie "Mad Men" lieferte zu Letzteren ein Gegenbild: Im Büro der 50er- bis 70er-Jahre soll das Angestelltendasein durchaus mit Eleganz, Erotik und Charakter vereinbar gewesen sein. Alexander Paynes "About Schmidt" sowie die Romanvorlage von Louis Begley schaffen es hingegen, durch die Abwesenheit des Büros – wird doch die Geschichte einer Pensionierung erzählt – noch deutlicher dessen prägenden Geist darzustellen: Schmidt scheitert ohne die tägliche Routine an der strukturlosen Zeit: tick, tick, tick.

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind Millionen von Angestellten, die bislang nine to five im Büro arbeiteten, kleine Schmidts geworden. Auch für den deutschen "Lockdown Light" im November fordert Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: "Wo immer das möglich ist, sollte von zu Hause aus gearbeitet werden." Jetzt sitzen wir also wieder in Jogginghosen auf wenig ergonomischen Stühlen, das W-Lan ist schwach, die schlechten Witze des Kollegen fehlen, aber immerhin sind die Kinder diesmal in der Schule.

Ambitionen und Büropflanzen sterben im Lockdown zuerst

Währenddessen vertrocknen in den verwaisten Büros nicht nur unsere Hoffnungen auf eine Karriere, sondern auch die arme Kentiapalme und die bedauernswerte Efeutute. In seinem Projekt "Don’t You Forget About Me" hat der britische Fotograf Ricky Adams während des Lockdowns eingegangene Büropflanzen in der Leeds Arts University festgehalten. "Ich musste immer wieder an dieses ernüchternde Zitat von T. S. Eliot denken: 'So geht die Welt zu Ende, nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern'", erzählt der Künstler dem "Guardian".

Kann es sein, dass dieses Wimmern ausgerechnet in Büros zu vernehmen ist? Offenbar schon! Es ist erstaunlich, mit welchem Enthusiasmus Künstler sich auch schon vor der Pandemie den Arbeitswelten von Warren Schmidt und Max Mustermann näherten. Schließlich galt das Büro als Brutstätte von institutionalisierter Langeweile, Faulheit, Selbstaufgabe, Diskriminierung, Intrigen, Überforderung, ästhetischen Verfehlungen und anderen Übeln postindustrieller, entfremdeter Arbeit. Als kleinste Einheit der Bürokratie, also der Herrschaft durch umständliche, selbsterhaltende, anonyme Administration, kann es eigentlich nicht weiter weg sein vom Atelier als Ort authentischer, nicht entfremdeter Arbeit am Ich.

Doch beide Klischees, die vom Büro und die vom Atelier, sind längst hinfällig: Die Digitalisierung näherte beide Welten mehr und mehr an. Das Büro hat mit der Einführung von Computern, ergonomischen Arbeitsplätzen, Gleitzeiten, flachen Hierarchien, legerer Kleidung und Jobrotation seinen Schrecken als Karteileichenschauhaus verloren. Das Homeoffice ist jetzt die letzte Konsequenz dieser Entwicklung.

Das Büro als "perfektes Alibi" 

Der monströse Schreibmaschinenpopanz, den keiner so gut darstellen kann wie der Maler Konrad Klapheck, ist in sich zusammengefallen. Dort wo einst der cholerische Chef thronte, sitzt schon seit einiger Zeit ein Pappkamerad in Kapuzenpulli, wo sich früher klobige Möbel wie Registraturschrank, Aktenregal und Zettelkasten breitmachten und Maschinen wie Mikrofilmlesegerät, Fax und Kopierer vor sich hin mufften, stehen heute der Tischkicker und der Kühlschrank mit den freien Energydrinks. Aktuelles Büromöbeldesign sieht selbst aus wie Minimal Art.

Künstler wiederum arbeiten vermehrt in büroähnlichen Zuständen, mit Studiomanagern und Angestellten, die den Erfolg verwalten, oder im mühsamen Einmannbetrieb, der sich an Coworking-Spaces andockt. Der neoliberale Effizienzanspruch hat sie genauso erfasst wie Angestellte und selbst Beamte. Corona hat diese Entwicklung auf dramatische Weise verschärft.

Wer schlank, flexibel und isoliert im Homeoffice arbeite, dem erscheint das klassische Büro, in dem mad men rauchen und ihre Zeit verdösen, geradezu paradiesisch. Wer 13 Stunden täglich arbeitet, wünscht sich die Stempelkarte zurück. Wer nur noch auf Bildschirme starrt, findet Aktenordner schön. Wer immer authentisch sein muss, wünscht sich den Arbeitsort als "perfektes Alibi" zurück, "um in dessen Schatten ein eigenes Leben zu führen", wie es in J. J. Voskuils Monumentalroman "Das Büro" so treffend heißt.

Es ist natürlich nur im seltensten Fall Nostalgie, die Künstler zur Arbeit mit Büromaterialien und -medien veranlasst, aber doch sicher ein Gefühl für die Besonderheit dieser Organisationsmittel, die nicht mehr selbstverständlich sind. An ihnen lässt sich anschaulich vorführen, wie Ordnung entsteht, gewollt und spontan, wie Entscheidungen getroffen werden, um Zufall in den Griff zu bekommen, um ungewisse Zukunft in aktenkundige Vergangenheit zu verwandeln – und wie dabei bildnerische und sprachliche Innovationen herauskommen.

Klassische Bürokritik ist passé

Darüber hinaus interessieren sich Künstler natürlich für Konferenzräume, Büroflure und Teeküchen als Soziotope. Denn gibt es einen Ort, an dem so andauernd und lustvoll über die vorherrschende Atmosphäre gesprochen wird wie im Büro? "Drei Viertel aller Büroangestellten beschäftigten sich zu vier Fünfteln ihrer Arbeitszeit mit betriebsklimatischen Fragen", vermutet Rainald Goetz in "Johann Holtrop", auch so ein großartiger Büroroman.

Und sie tun das zu Recht! Denn das Betriebsklima, das sind die Menschen und die Beziehungen zwischen ihnen, aber auch: Wer kann welchen Raum einnehmen? Was verbergen die Trennwand und die Tür zum Sitzungszimmer vor mir? Oder: Wie passt mein runder Babybauch in die kantige Architektur der Arbeitswelt? Eine Frage, die die argentinische Künstlerin Amalia Ulman 2016 auf der 9. Berlin Biennale mit ihrer Installation "Privilege" aus Zeichnungen, Fotos, Interieur-Elementen und Videos gestellt hat.

Wer sich heute wie Ulman mit den sozialen Facetten des Büros künstlerisch auseinandersetzt, übt nicht einfach nur Bürokritik, die seit Max Weber, spätestens seit Theodor W. Adorno den Diskurs beherrscht, sondern führt diesen Ort als seltsamen, ambivalenten Raum vor. Amalia Ulma inszeniert sich darin in slapstickhafter Weise, verloren und doch auch mit einer Fitness, die im Kontrast zu Schreibtischen und Mauspads erst ihre ganze Schönheit entfaltet.

Für immer gefangen im Homeoffice 

Als eine Art Vorläufer zu Ricky Adams aktuellen Corona-Projekt dokumentierten Saskia Groneberg mit ihrer mehrfach ausgezeichneten Fotoserie "Büropflanze" 2012 und Frederik Busch mit seinem Projekt "German Business Plants" 2018 auf tiefgründige und humorvolle Art, wie Angestellte mit der Arbeitsplatzfauna einerseits etwas Privatheit schaffen, sich andererseits einen weiteren Leistungsausweis aufhalsen: Schließlich dürfen die Pflanzen nicht wegen mangelnder Pflege eingehen. 

Dieser Care-Stress immerhin fällt im Homeoffice weg. Jetzt verdorren die "German Business Plants", dafür ist vor Dienstschluss schon die heimische Spülmaschine ausgeräumt und die Wäsche gewaschen. Wäre das Homeoffice also die Rettung für Warren Schmidt, der sich in seiner Rente so sehr zurücksehnt nach seinem Schreibtisch? Eher nicht. Denn Arbeit und Sport, Kunst und Freizeit, eines gleitet ins andere, und mit dem Wegfall distinkter Räume für bestimmte Funktionen verlieren wir so viel, darauf macht uns Kunst, Literatur und Fernsehen aufmerksam. Kann man sich einen Roman vorstellen, eine Serie, eine Performance, die im Homeoffice spielt? Eben. Doch der Fall ist hoffnungslos: Das klassische Büro stirbt so oder so aus. Corona hat diesen Vorgang nur weiter beschleunigt. 

Dies ist die aktualisierte und gekürzte Version eines Artikels, der in Monopol 04/2017 erschienen ist