"Joker"-Premiere in Venedig

Horrorclown mit wunder Seele

Keine Helden, nirgends. Todd Phillips treibt seinem düsteren Batman-Prequel "Joker" das Comichafte gänzlich aus. Gerade der brutale Realismus macht den Film so stark

Am Ende dieses Filmfestivals von Venedig wird es wie immer Preise regnen. Doch auf der Leinwand, das kann man nach drei Tagen schon sagen, machen sich die Sieger und Heroen rar. Zum Beispiel Batman, der in Christopher Nolans “Dark Knight”-Trilogie schon ein gebrochener Held war: In Todd Phillips’ düster-energetischem Wettbewerbsfilm “Joker” kommt Gotham Citys Kämpfer für das Gute schlicht nicht vor.

Nur sein Alter ego Bruce Wayne hat zwei kurze Auftritte – als Kind, das erst Jahre später das Batman-Kostüm anlegen wird. Phillips treibt die bereits von Nolan betriebene Normalisierung der Vorlage weiter voran. Er treibt dem Comicstoff die Fantastik, das Comic-hafte fast restlos aus. Mit Ausnahme der Farbe, die bei aller Kodak-Leuchtkraft das kontrastreiche, schmutzige Spektrum der “Batman”-Hefte imitiert.

Anteil am Schicksal einer abstoßenden Figur

Joaquin Phoenix brilliert in diesem Prequel aller “Batman”-Filme als psychisch gestörter Nobody Arthur Fleck, der sich als Clown verdingt und von einer Karriere als Standup-Comedian träumt, obwohl es ihm restlos an Witz und Ideen fehlt. Phoenix schafft es, dass wir am Schicksal dieser durchaus abstoßenden Figur bis zum Schluss anteilnehmen. Dabei möchte man diesem hageren, zum Spaßmacher geschminkten Gespenst keinesfalls im Dunkeln begegnen.

Sein irres Lachen ist null lustig. Arthur hat immer eine Karte dabei, die verstörte Passanten darüber informiert, dass er ein neurologisches Problem hat. Wie Arthur sich zum Superschurken Joker entwickelt, schildert Phillips’ und Scott Silvers Drehbuch mit atemberaubender Konsequenz. Oder betrachten wir die Rachefantasie eines in Wahrheit dauerhaft fixierten Psychiatriepatienten?

Sound, der in die Magengrube fährt

Psychisch labil, wird Arthur regelmäßig gemobbt, beleidigt und verprügelt. Die Teilnahme in der Late-Night-Show von Murray Franklin (Robert de Niro), einmal geträumt, einmal leider wahr, gerät zur ultimativen, weil öffentlichen Beschämung. Andere an Arthurs Stelle würden resignieren, an Selbstmord denken.

Auch Arthur erwägt den Suizid – vor laufender Talkshow-Kamera. Immerhin hat ein Clownskollege der “Haha”-Agentur ihm einen Revolver gegeben (“Du musst dich verteidigen!”). Statt sich selbst erschießt Arthur dann andere. Ja, “Joker” ist ein ziemlich blutiger Film. Mit einem Score, in dem Celli und Kontrabässe dominieren, dass einem der Sound in die Magengrube fährt (Musik: Hildur Guðnadóttir).

Ein Opfer wird zum Täter, das wird durch den urbanen Hintergrund umso plausibler: Eine von sozialen Spannungen, Armut und einem gigantischen Müllproblem gebeutelte Metropole (vielleicht New York in den frühen 80ern). Der Volkszorn kocht. Christopher Nolan brachte in “The Dark Knight Rises” (2012) bereits die Occupy-Bewegung in einen “Batman”-Film ein, ließ das Motiv aber im Filmverlauf verblassen. Anders im “Joker”, in der Arthur unabsichtlich zur Galionsfigur eines Aufruhrs wird, deren Teilnehmer Clownsmasken tragen, eine deutliche Parallele zu den Guy-Fawkes-Masken von Occupy.

Kritik an der Schwarz-Weiß-Malerei

Von Globalisierung redet im Film keiner, man demonstriert gegen die Macht der Reichen. In der Figur des schwerreichen Industriellen Thomas Wayne (Brett Cullen als Vater des späteren Batman), der als Bürgermeister kandidiert und die Protestler als “Clowns” abkanzelt, manifestiert sich Kritik an der Comicvorlage und ihrer Schwarz-Weiß-Malerei. Millionenerbe Bruce Wayne kämpft im Fledermauskostüm gegen das Böse, aber die Ursachen von Armut und Gewalt interessieren ihn kaum.

“Joker” ist mehr als ein formal gelungener, aus einer Cartoon-Serie destillierter Psychopathen-Thriller. Er behandelt nicht zuletzt, sehr zeitgenössisch, die Verfilzung von Medien, Konzernen und Politik. Er zeichnet eine brutale Gesellschaft, die die Schwachen links liegen lässt. Sie habe schlechte Nachrichten für Arthur, sagt die Sozialarbeiterin, bei der Arthur regelmäßig vorstellig wird. Der Sozialetat wird gekürzt, ihr Job gestrichen. Für Leute wie Arthur interessiert sich die Politik nur, wenn alle vier Jahre gewählt wird. Übrigens: Ohne den Horrorclown, der im Weißen Haus sitzt, wäre “Joker” gewiss ein anderer Film geworden.