Die Kunst von Hudnilson Jr. erscheint antiquiert und höchst zeitgenössisch zugleich. So wirkt der Ende der 1970er-Jahre bahnbrechende Versuch, mit Xerox-Kopien widerständige Sichtbarkeit für queere Inhalte zu schaffen, heute angesichts der Möglichkeiten der neuen Medien und sozialen Netzwerke fast schon nostalgisch.
Ungemein aktuell dagegen ist Hudnilsons künstlerische Strategie, jenseits des etablierten Kunstbetriebs, der während der Militärdiktatur in Brasilien (1964 – 1985) von Zensur erschüttert wurde, nach emanzipatorischen Wegen zu suchen. Es galt Optionen zu finden, die Kunst- und Meinungsfreiheit dennoch ermöglichten. Genau dies wird auch heute immer mehr zu einer künstlerischen Notwendigkeit, denn demokratische Grundrechte werden nicht nur in den USA eingeschränkt - und dabei wird die Kunstfreiheit mehr oder weniger subtilen Prüfungen unterzogen.
Aber der Reihe nach: Der 1957 in São Paulo geborene und 2003 gestorbene Hudnilson Jr. begann Ende der 1970er mit dem Kopierer zu arbeiten. Mit seinem eigenen Körper räkelte sich der Künstler lustbetont auf dem Apparat, um die Bilder der reproduzierten Körperteile zu homoerotischen Porträts zusammenzusetzen, die manchmal beinahe abstrakt anmuten.
Eine selbstbewusste eigene erotische Welt
Die gerade in der Ausstellung "Exercícios de me ver" (Übung, sich selbst zu sehen) in der Berliner Galerie KOW zu sehende Arbeit "Narcisse", 1981, ist ein gutes Beispiel für diese Ästhetik. Mit dieser setzte Hudnilson Jr. der autoritär vorgeschriebenen Bilderwelt des normativ Heterosexuellen mithilfe der kostengünstigen Reproduktion des Kopierens selbstbewusst seine eigene erotische Welt entgegen.
Gleichzeitig gründete der Künstler mit Rafael Franca und Mário Ramiro die Künstlergruppe 3NÓS3. Nachts zogen die Drei durch die Metropole São Paulo, um ihre aktivistische Intervention "Ensacamento" (Abdecken) von 1979 umzusetzen. Im Schutz der Dunkelheit stülpte das Künstlerkollektiv dunkle Plastiktüten über die Köpfe öffentlicher Denkmäler von "heroischen Nationalhelden", die gerade zu Zeiten der Militärdiktatur offiziell gefeiert wurden.
Dank des künstlerischen Verhüllens aber erinnerten die Monumente mit ihren verdeckten Häuptern plötzlich an vom Regime gefolterte Menschen. Diese ideologiekritische, längst legendäre Aktion kann man heute auch als Vorläufer aktueller Forderungen sehen, Denkmäler mit kolonialem Hintergrund abzureißen.
Ein Mann, der begann, ausschließlich in seinen Bildern zu leben
Auch in der Folge zeigte Hudnilson Jr. seine Kunst eher im öffentlichen Raum als in Institutionen oder Galerien. Dazu bediente er sich so unterschiedlicher Medien wie Graffiti und Briefmarken, Werbetafeln und Performances. Leitmotiv war stets der Anspruch, das Private politisch werden zu lassen. In den späten 1980er-Jahren gestaltete er zusammen mit seinen Künstlerkollegen Bernardet und Darcy Penteado das wohl erste brasilianische Plakat zur AIDS-Prävention.
Die vielleicht privateste Form seines Werks sind seine gut 130 "Cadernos de Referencia" (Referenzhefte) aus dem Nachlass, von denen jetzt ebenfalls Auszüge in der überzeugenden Ausstellung bei KOW gezeigt werden. Es handelt sich um Blätter, auf denen unter anderem diverse Zeitungsausschnitte und explizit homoerotische Fotos, Reproduktionen religiöser Artefakte und handschriftliche Notizen collagenartig in einen so emotionalen wie widersprüchlichen Dialog treten.
Diese Hefte lassen sich als ein "Nachschlagewerk" lesen, "das einen Einblick in Hudnilsons erotische Inspiration bietet" (Sabrina Tarasoff). Oder wie es der Kurator Paul Miyada ausdrückt: als visuelle Heimat eines Mannes, der in seinen letzten Jahren "begann, ausschließlich in seinen Bildern zu leben".