„MADE IN GERMANY ZWEI“

Ich liebe deutsche Land

Alle Zeichen standen auf „Sommermärchen“, als die Sängerin Lena Meyer-Landrut vor genau zwei Jahren nach ihren Triumph beim Eurovision Song Contest am Flughafen ihrer Heimatstadt Hannover ankam. Wir erinnern uns an ihren schwarz-rot-goldenen Kranz im Haar, an die Deutschlandfahne in ihrer Hand und an das Lied „Ich liebe deutsche Land“, das sie mitträllerte. Seit dem „Sommermärchen“-Original von der WM 2006 wird so ein Verhalten „entspannter Patriotismus“ genannt.

Betont entspannt und nur ein ganz klein wenig patriotisch ist auch die Gruppenschau „MADE IN GERMANY ZWEI“, in der die Rotzgöre Lena wieder einen kleinen Auftritt hat. Der in Berlin lebende Neuseeländer Simon Denny hat in einem Raum des Sprengel Museums Hannover schwarze Spanplatten an die Wand gelehnt, angeblich der Bühnenboden aus der TV-Sendung „Unser Star für Oslo“, auf dem Meyer-Landrut sich als deutsche Vertretung für den Song Contest durchsetzte. Schrammen sind darauf zu sehen, Spuren der Leistungsschau. Ein guter Kommentar zur Ausstellung.

Bei „MADE IN GERMANY ZWEI“ darf es im Gegensatz zu „Unser Star für Oslo“ mehr als einen Repräsentanten für das 82-Millionen-Einwohner-Land geben. Vor fünf Jahren wurde in Hannover mit dem ersten Teil eine Überblicksschau zum Produktionsstandort Deutschland eröffnet. Im Documenta-Jahr 2007, als das Feuilleton zur Grand Tour aufrief, schoben sich Kunstverein, Sprengel Museum und Kestnergesellschaft mit der Gemeinschaftsausstellung als Anlaufstation zwischen die Weltkunstschau in Kassel und die nur alle zehn Jahre stattfindenden „skulptur projekte“ in Münster.

Jetzt startet das Sequel zu „Made in Germany“, und die Koordinaten haben sich ein wenig verschoben. René Zechlin vom Kunstverein Hannover nennt nun neben der Documenta die Berlin-Biennale und die Manifesta. Erste Seitenhiebe kamen nun auch wieder aus Kassel: „Die haben das Datum im Internet gefunden und machen jetzt eine Ausstellung“, sagt Documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld.
 
Deutschland liegt in Berlin
Einstecken mussten schon die Macher von Teil eins. „Merkantiles Vokabular“, reine Regionalpolitik und Stadtmarketing warf etwa der Kunstverein München den Niedersachsen vor und organisierte mit „ALMAN MALI“ sogar eine Gegenausstellung. „Der Produktionsstandort hat doch lediglich Perspektivcharakter“, sagt Zechlin, es gehe um die Frage, von wo aus man den Blick richte. „MADE IN GERMANY ZWEI“ will anhand von 45 Künstlern eine Übersicht über das Schaffen der 30- bis 40-Jährigen geben (einige sind allerdings jünger, einige älter), die in Deutschland produzieren. Wobei „Deutschland“ besonders „Berlin“ bedeutet, wie bereits vor fünf Jahren.

Diesmal hat das Kuratorenteam versucht, sich nicht allein auf Alter und Atelieradresse zu verlassen und künstlerische Ansätze der letzten Jahre zu bündeln. „Medium als Material“, „Narrativität“, „Das Gestern im Heute“, „Übersinnliches“, „ Räume“ und „Vernetzungen“ sind Kernthemen – wobei die Zuordnungen einzelner Künstler im Ergebnis recht willkürlich wirken. Simon Dennys Bühnenboden-Installation etwa ist unter „Medium als Material“ einsortiert – würde aber unter allen vier anderen Überschriften genauso viel oder wenig Sinn ergeben.

Gemeinsames Merkmal: Autonomie
Gerade im Sprengel Museum scheinen die Werke ohnehin unverbunden nebeneinander zu stehen und hängen. Neben Denny finden sich Polaroid-Arbeiten von Cyprien Gaillard und Rosa Barba, die wiederrum unter ganz anderen Schlagworten im Katalog stehen. Warum etwas genau an diesen Ort ausgestellt ist – diese Frage wird man sich bei „MADE IN GERMANY ZWEI“ öfter stellen. Vielleicht markieren gerade fehlende Verbindungen diese Generation? Das schönste Sinnbild für diese Autonomie liefert die Schwedin Nina Canell auf dem Hof des Museums mit einem Strommast, dessen Kabel gekappt sind und schlaff herunterhängen.

Die Drähte in die Vergangenheit allerdings glühen bei vielen der hier vorgestellten Künstler: Ob nun Olaf Holzapfel eine Balkenkonstruktion in den Raum stellt, die auf die Technik des Fachwerkbaus zurückgeht, ob Reynold Reynolds anhand angeblich gefundener Drehbücher aus den 30er-Jahren Filmeszenen dreht oder ob Susanne M. Winterling auf fotografische Experimente der Surrealisten rekurriert – ihnen allen ist eher das Gestern näher als das Heute.

Wobei die Vergangenheit eben auch eine Fiktion sein kann, ja, gerade die pseudo-dokumentarische Behauptung von Faktizität zeigt eine gründliche Skepsis der Künstler gegenüber der Aura von Objekten. Und so sollte der Besucher der angeblichen Herkunft von Simon Dennys Bühnenboden genauso misstrauen wie der Echtheit der Drehbücher von Reynold Reynolds oder Dirk Dietrich Hennigs in der Kestnergesellschaft, der in einem aufwendigen Nachbau eines Klinikzimmers die Spuren des Fluxuskünstlers Jean Guillaume Ferrée verfolgt. Oder Simon Fujiwara, der im Kunstverein die Installation „The Personal Effects of Theo Grünberg“ präsentiert, in der der bibliothekarische Nachlass eben dieses Grünbergs als Nachweis für ein aufregendes, aber doch imaginäres Leben herhält.

Wo sich bei Fujiwara die einzelnen Teile schön zusammenfügen zu einer großen Erzählung, findet man im Gegenteil bei „MADE IN GERMANY ZWEI“ nur lose Enden und nur ganz wenig "deutsche Land". Ein Produktionsstandort schafft heute keine Gemeinsamkeit, geschweige denn ein Bekenntnis à la Lena. Wer das aushält, kann in Hannover aber einige wirklich gute Arbeiten von durch Galerienvertretungen und durch große institutionelle Auftritte abgesicherte Künstlern sehen. Am besten sind die immer da, wo ihnen ein ganzer Raum gegeben wird, etwas Saadane Afif - vor fünf Jahren eine Entdeckung auf der Documenta -, der im Kunstverein erneut wunderbar vorführt, wie man vom Wort elegant zum Klang kommt und vom Klang zum Objekt. Oder von Alicja Kwade, die einen sakral anmutenden Raum mit Uhrenpendel durchzieht.

Allein für solche Höhepunkte lohnt sich der Besuch. Wer braucht schon eine große Erzählung oder gar Patriotismus?


Kunstverein, Sprengel Museum und Kestnergesellschaft, Hannover, 17. Mai bis 19. August 2012. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog