Frida Orupabo

"Ich sehe mich nicht als Künstlerin"

Frida Orupabo
Foto: privat

Frida Orupabo

Von Instagram zur Venedig-Biennale: Die Norwegerin Frida Orupabo hat ein digitales Kunstmärchen erlebt, in dem Arthur Jafa den Prinzen spielt. Die ganze Geschichte ist aber komplexer. Eine Begegnung in Oslo 

Wer Frida Orupabo in Oslo in einem schicken Restaurant zum Gespräch trifft, erwartet zuerst einmal eine Richtigstellung. Dass die Geschichte, die überall kursiert, nicht stimmt, oder zumindest nicht ganz stimmt, weil sie zu gut ist und zu perfekt die Dynamik von Bildern im digitalen Museum des Internets beschreibt. Da sitzt eine norwegische Sozialarbeiterin in ihrem Schlafzimmer und baut digitale Collagen für Instagram, dann schreibt sie ein bekannter Filmemacher an, der gerade eine Einzelausstellung in der Londoner Serpentine Gallery vorbereitet, und fragt, ob sie nicht dabei sein will? Und dann, zwei Jahre nach Serpentine, sind beide auf der Biennale in Venedig vertreten und der Sozialarbeiterin gehört gewissermaßen ein kleines Stückchen vom goldenen Löwen des Filmemachers?  

Frida Orupabo lacht und zuckt die Schultern. "Genauso war es", sagt sie. Sie strahlt diese sympathische Unbeeindrucktheit aus, die den meisten Norwegern irgendwie mit dem Blaubeersaft der Kindheit verabreicht wird. "Als er mich angeschrieben hat, wusste ich nicht, wer Arthur Jafa ist", erzählt sie. "Aber ich mochte seinen Instagram-Feed. Natürlich hätte das alles ein schlechter Witz sein können, aber ich habe vorsichtshalber schonmal mit der Arbeit für die Ausstellung angefangen."

Die Identität ist eine Collage

Für Frida Orupabo, aufgewachsen in einem Städtchen in Südnorwegen, waren ihre digitalen Collagen immer eine Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft. Ihr Vater stammt aus Nigeria, ihre Mutter ist eine weiße Norwegerin. Als sie drei Jahre alt ist, geht der Vater zurück in seine afrikanische Heimat, und Frida wächst in einem Land auf, das wahnsinnig stolz auf seine Offenheit ist, aber das ihr trotzdem ständig das Gefühl gibt, irgendwie anders zu sein (Donald Trump liebt Norwegen, weil es so reich und so weiß ist).

In ihrem Studium der Soziologie setzt sich Frida Orupabo mit der Repräsentation von schwarzen Körpern in Europa auseinander und beginnt, gefundene Bilder zu digitalen Collagen zusammenzufügen, die sie als @nemiepeba bei Instagram hochlädt. Sie benutzt Familienfotos (hält den Account aber zunächst vor ihrer Familie geheim) und Bilder aus dem Internet. Oft bestehen ihre Ressourcen aus Online-Sammlungen von Material aus der Kolonialzeit. Das Mantra vom Internet als Archiv ist inzwischen selbst ein bisschen angestaubt und überdehnt. Aber ohne diesen Zugang zu schier endlosen Bildressourcen – eben auch zu denen, die es nicht ins Bewusstsein der weiß und westlich geprägten Kunstwelt geschafft haben – wäre das Ans-Licht-Drängen von alternativen Ästhetiken im gegenwärtigen Ausmaß nicht möglich.

Frida Orupabo interessiert sich vor allem für den kolonialen Blick auf schwarze Frauenkörper. Sklavenkörper in vielen Fällen. In den Original-Fotografien, die sie verwendet, werden die Modelle oft als Objekt katalogisiert und als namenlose Stereotypen gespeichert. In ihren Collagen steigert Frida Orupabo diese Grausamkeit mitunter noch. Sie zerstückelt, seziert, klebt Gliedmaßen wie schlampig gefertigte Prothesen aneinander und lässt Frauen wie gequälte, weggeworfene Puppen aussehen. In einem Werk in Venedig sind ein Kopf mit traditionellem Narbenmuster und vier abgetrennte Beine zu einem Hakenkreuz angeordnet.

Aber es gibt auch genau das Gegenteil in ihrer Kunst: Anmut und Würde, ein Blick, der das Zurückblicken verlangt. Durch das Zerschneiden der alten Bildordnung und der kolonialen Symbolik entsteht etwas Neues. Eine neue Identität als Essenz der verworfenen Klischees, so hofft es Frida Orupabo, gefiltert durch ein zeitgenössisches Selbstbewusstsein und sichtbar gemacht im virtuellen Museum Internet.

Arthur Jafa nennt sie "Master"

Dort sieht dann auch Arthur Jafa die Fotos, das digitale Navigationssystem der Algorithmen schickt ihn nach Norwegen. Auch Jafa findet in seiner Kunst mit meist gefundenem Material einen bildmächtigen Ausdruck für die Traumata, die Verzweiflung und die Ekstase der black experience. Und er wird damit innerhalb kürzester Zeit vom geachteten, aber nur Insidern bekannten Filmemacher zum Kunst-Superstar. Man könnte jetzt sagen, Arthur Jafa hat mit seinen hypnotisch-grausamen Videocollagen einen Sturm in der Kunstwelt entfacht, der nun alles mit sich reißt, das sich in seinem Umfeld bewegt. Das ist die gängige Version: Frida Orupabo glüht, weil Arthur Jafa brennt.

Aber richtiger ist: Arthur Jafa ist gerade nur der sichtbarste von vielen international vernetzten Künstlern, die versuchen, mit dem kolonial verseuchten schwarzen Bilderbe umzugehen und eine zeitgemäße Form dafür zu finden. Der goldene Löwe aus Venedig gehört eigentlich einem inoffiziellen Kollektiv. Jafas Praxis basiert immer auf Kollaboration, er hat nichts erfunden, und tut auch nicht so. Schon 2014 nennt er Frida Orupabo auf Instagram "Master Nemiepeba".

In seinen Arbeiten lassen sich genauso Einflüsse aus ihren Collagen entdecken wie Spuren seiner Montage in Orupabos Werk stecken. "Wir sind beide voneinander inspiriert worden", sagt Frida Orupabo selbst. Was richtig ist: Arthur Jafa bringt ihre Arbeiten in die analoge Welt. Für die Ausstellung in der Serpentine Gallery hat sie ihre Collagen zum ersten Mal haptisch aus Papier gefertigt. Die Bilder aus dem Museum Instagram landeten doch wieder im Museum aus Stein.

Dass ihre Arbeit "im Trend" liegt, hört man immer mal wieder, als sei das mit den Identitäten so ähnlich wie mit den Bauchtaschen und Plateau-Sohlen. Wie lange die Arbeiten und Erzählungen von nichtweißen Künstlern so überhaupt nicht "im Trend" lagen und nicht mal in die Nähe einer Venedig Biennale gelassen wurden, wird in dieser Argumentation eher selten erwähnt.  

Frida Orupabo erzählt, dass sie auch selbst in ihrer Heimat Norwegen Rassismus erlebt hat. Keine offenen Anfeindungen, aber immer diese Grundannahme, dass sie irgendwie nicht "von hier" sein könne. Adoptiert? Woher ursprünglich? "Es ist einfach diese endlose Abfolge von Fragen", sagt sie. "In Norwegen kann man wunderbar über Sexismus sprechen, aber überhaupt nicht über Rassismus, weil du dann sofort gesagt bekommst, dass du empfindlich oder zu aggressiv bist. Alle glauben, dass das Thema überwunden sei, aber die Vorstellung, wie ein Norweger auszusehen und zu sein hat, sitzt sehr tief." 

Wer sein ganzes Leben lang gesagt bekommt, dass man nicht richtig dazu gehört, ist unanfälliger für die plötzliche Umgarnung der Kunstwelt, in die sie eigentlich gar nicht hinein wollte. Ihr erstes Mal in Venedig beschreibt sie als surreal. Sie hatte ihre Familie  dabei, "wir hatten Spaß", sagt sie, aber sie will den Kunstzirkus nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. "Man kommt aus einem Empfang heraus, wo sich alle über die diversity der Biennale freuen", erzählt sie. "Und dann sieht man, dass vor der Tür ausschließlich dunkelhäutige Menschen den Müll aufsammeln."

Ein Jahr Künstlerin auf Probe

Frida Orupabo muss los. Sie muss arbeiten. Aber anders, als man es vielleicht von einer Biennale-Teilnehmerin erwarten würde. Als Sozialarbeiterin unterstützt sie Sexarbeiterinnen und Opfer von Zwangsprostitution in Oslo. Die gibt es natürlich, auch wenn in den nordischen Ländern der Kauf von sexuellen Dienstleistungen illegal ist und die meisten Frauen von den Straßen und aus dem öffentlichen Blickfeld verschwunden sind.  "Dieser Moment, in dem ich mir sage, 'jetzt bin ich Künstlerin', den gab es bisher noch nicht", erzählt Frida Orupabo. Trotzdem ist es erstmal ihre letzte Arbeitswoche. Ein Jahr hat sie sich gegeben, um das mit der Vollzeit-Kunst doch einmal auszuprobieren.

Illusionen über den Kunstbetrieb macht sie sich keine, obwohl sie inzwischen von so namhaften Galerien wie Gavin Brown in New York und Nordenhake in Stockholm und Berlin vertreten wird. "Ich weiß, dass man sehr schnell wieder uninteressant werden und verschwinden kann“, sagt sie. "Ich muss jetzt sehen, wohin sich meine Arbeit entwickelt und was sich gut anfühlt." 

Ihren Instagram-Account gibt es übrigens immer noch. Um die 8000 Follower, jeder Mode-Influencer würde sich gelangweilt abwenden. Hier passiert kein Hype, kein Trend. Hier baut sich langsam ein – ist nun mal so – Archiv auf, das Geschichten über Sehen und Gesehenwerden sammelt. "So so sad... but so so beautiful", steht als Kommentar unter einem Bild, das eine alte schwarze Frau mit einem kleinen weißen Mädchen auf dem Schoß zeigt. Es ist der Widerspruch, aus dem die Kraft von Frida Orupabos Kunst erwächst. Wenn das zum Vorschein kommt, was wir so lange nicht sehen wollten, ist es unmöglich wegzuschauen.