IG-Performerin Leah Schrager

"Ich will die Männerhände"

Leah Schrager wurde als sexpositive Performancekünstlerin bekannt – und kritisiert. Jetzt arbeitet die Amerikanerin an einem neuen Image und nimmt dafür die Hilfe eines männlichen Förderers in Anspruch, der eine Million Dollar in sie und ihre Kunst investiert. Warum sie das Gefühl nicht los wird, gescheitert zu sein, hat sie Monopol-Kolumnistin Anika Meier erzählt

Man kennt diese Frage aus Filmen. Was würden Sie machen, wenn Ihnen jemand eine Million Dollar gibt? Ein schönes Gedankenspiel. Fiktion also, im richtigen Leben passiert das nicht. Der amerikanischen Künstlerin Leah Schrager ist jetzt aber genau das passiert. Sie bekam eine Mail von einem Mann, der über ihre Kunst auf sie aufmerksam wurde, wie er ihr schrieb. Das war am 16. Oktober 2018. Kurz darauf, am 30. Oktober flog sie von New York nach LA, um ihn zu treffen. Dort bot er ihr an, eine Million Dollar in sie und ihre Arbeit zu investieren. 

Die Ereignisse konnten ihre Follower fast live auf Instagram mitverfolgen. Am 17. Oktober schrieb sie, dass sich jemand aus LA bei ihr gemeldet habe, der im kommenden Jahr Summe X investieren wolle, das Ziel: Ein neues Image, das ihr zu Erfolg im Mainstream und in der Kunstwelt verhelfen solle. Interessante Idee, so ihr Fazit, aber da sie regelmäßig solche Anfragen bekäme, wisse sie, dass daraus eh nie etwas wird.

Am 20. Oktober dann die Nachricht, sie habe das Gefühl, es sei ihm ernst. Sie nennt ihn "Mystery Man". Er möchte, dass sie für ein erstes Fotoshooting nach LA kommt und sich verpflichtet, mehrmals im Jahr in die Stadt zu kommen, um mit verschiedenen Fotografen an ihrem Image zu arbeiten. "OMG I have no idea what to do", endet sie, Überwältigung und Ratlosigkeit also. 

In den kommenden Tagen diskutiert sie öffentlich Pro und Contra.

Pro: Er hat Geld, das sie gut für ihre Arbeit brauchen kann. Models arbeiten nun einmal mit verschiedenen Fotografen, bisher hat sie sich selbst fotografiert. Es ist ihm offenbar ernst, er unterstützt sie immerhin schon auf Patreon.

Contra: Geld ist vielleicht doch nicht so gut, weil Machtprobleme. Vielleicht ist es ihm doch nicht ernst, wer weiß, was seine Motive sein könnten. Und vielleicht ist auch das Arbeiten mit verschiedenen Fotografen kein guter Plan, weil die Fotos ihr nicht selbst gehören. Was also tun?

 

Jetzt kommt ihr Alter Ego Ona ins Spiel. Ona hat 2,8 Millionen Follower auf Instagram, sie singt, im Wesentlichen aber zeigt sie sich in anzüglichen Posen. Ona ist ein IG-Model, wie Leah Schrager es nennt, ein Model also, das im sozialen Fotonetzwerk groß geworden ist und deren Produkt der eigene Körper ist. Sie zeigt sich sexy, sehr sexy, so sexy, wie das soziale Netzwerk es eben zulässt. Das Projekt Ona läuft noch bis 2020, das Ziel: 10 Millionen Follower, 1 Million Downloads ihrer Songs und eine Vertretung durch eine große Galerie. 

Leah und Ona haben sich über das Angebot unterhalten. Ona möchte Leah unterstützen, wofür auch immer sie sich entscheidet. Leah aber fürchtet, dass Ona und sie nicht weiter zusammenarbeiten können, wenn sie sich gegen den sexpositiven Feminismus entscheidet, für den Ona als Kunstfigur steht. 

Schrager denkt weiter öffentlich nach. Sie liebt New York und hasst LA. Frauen hassen Ona, bei diesem Gedanken bleibt sie hängen. Die Plattform "Nowness" musste am Internationalen Frauentag ein Posting von der Seite nehmen, das Ona in aufreizender Pose zeigte. Empörung bei den Followern, weil sie schamlos den männlichen Blick bediene. Sie entscheidet sich, nach LA zu fliegen, weil ihre sexpositive Haltung meist auf harsche Kritik stößt – sie ist sich sicher, dass sie zwar nicht gleich ihr Leben, aber zumindest ihre Kunst ändern muss. 


Es folgen ein Flug erster Klasse, eine Unterkunft im Waldorf Astoria, ein Abendessen mit ihrem Mystery Man (drei Stunden) und ein erstes Shooting (zwölf Stunden). Im Anschluss an das Essen postet sie: "Mystery Man told me I can’t share anything about him, but he’s not a mystery to me anymore, so I am going to call him Man Hands." Er möchte anonym bleiben, sie nennt ihn fortan Männerhände. 

Die ersten Fotoshootings finden statt, sie bekommt nur wenige Bilder zu sehen, sie hat das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und zweifelt, ob sie den Ansprüchen ihres Förderers genügen kann. Es ist kompliziert. Sie bekommt einen Tag frei, die beiden gehen gemeinsam Shoppen. Es bleibt kompliziert. Und erst einmal genügt sie den Ansprüchen ihres Förderers nicht. Sie hat ein falsches Bild gepostet und wird deshalb von ihm zurechtgewiesen. Schrager fährt Achterbahn in Dauerschleife. Ihre Posen sind ihm zu sexy, ihr Lächeln aber gefällt ihm. 


Schrager wird nachdenklich: "How much can I have taken away from me and still be myself?" (18. November) "What does a female lose when she becomes female-friendly?" (20. November) Am 21. November teilt sie die Nachricht, dass sie den Vertrag unterschrieben hat. Sie bekommt eine Solo Show bei der Scope Miami Beach, er finanziert ihr den Messeauftritt. 

Vorspulen. 

Alle Arbeiten auf der Messe werden verkauft. "Life is good in the hands of man", postet Schrager zwischendurch. Zu Weihnachten schenkt er ihr einen iMac Pro. 


Kurz vor Silvester sitzt Leah Schrager mir via Skype gegenüber. Sie bat vorab um einige meiner Fragen, damit sie sich Gedanken über ihre Antworten machen könne. Sie spricht das erste Mal über die Entwicklungen der letzten Wochen und muss noch Worte dafür finden. Anfang Oktober ließ sie mich wissen, dass eine Performance auf ihrem Instagram-Account @leahschrager laufen wird, die sie lange vorbereitet habe. Als der Mystery Man auf der Bildfläche auftauchte, dachte ich, die Performance sei etwas zu überdreht geschrieben. Als ihr Mystery Man immer fordernder und sie immer dramatischer wurde, fragte ich doch lieber einmal nach, ob es ihn tatsächlich gibt. Ihre Antwort lautete: "Ja, das alles passiert gerade wirklich."

"Ich bin gescheitert", sagt sie jetzt und stützt ihren Kopf in die Hände. "Ich möchte die Männerhände." Warum sie glaubt, dass sie gescheitert sei, will ich wissen. Ona hat mittlerweile fast drei Millionen Follower, der Account wächst jeden Tag um 10.000 Follower, sie kann davon leben. Nach einer klassischen Definition von Scheitern klingt das nicht. Die Kunstwelt akzeptiert sie nicht, das stört sie, sagt sie, und Frauen hassen das Frauenbild, das Ona verkörpert. Von ihrem Dasein als sexpositive Performancekünstlerin hat sie genug. 

Ich muss ihr nicht erklären, dass die Geschichte der feministischen Kunst eine Geschichte der Ablehnung und der Konfrontation ist. Künstlerinnen wie Renate Bertlmann und Carolee Schneemann wurden einst zensiert und boykottiert, die eine geriet zwischendurch in Vergessenheit. Der Ruhm kommt oft, wenn überhaupt, erst spät. 

Kämpfe, die bereits ausgefochten wurden, finden wieder statt. Kämpfe um Schönheitsideale und sexuelle Selbstbestimmung beispielsweise. Der Feminismus ist mit Beyoncé und Lena Dunham längst im Mainstream angekommen und muss deshalb auch massentauglich sein. Bekanntlich drehen sich 25 Prozent der Suchanfragen im Internet um das Thema Pornografie. Das heißt aber nicht, dass eine Frau, die mit ihrer Selbstdarstellung den männlichen Blick befriedigt, im Netz so populär ist wie Pornografie. 99 Prozent der Follower von Ona sind männlich. Ganz im Gegenteil. Schrager wird als rückständig attackiert. So ging es auch den sexpositiven Feministinnen vor ihr, die sich für das emanzipatorische Potenzial der Pornografie interessierten. 

Schrager verlässt das Schlachtfeld. Und ja, sie gesteht sich damit eine Niederlage ein, sagt sie. Deshalb nennt sie ihren Mystery Man auch Männerhände. Als sie für "Rhizome" im September 2016 ausführlich über "Self-Made Supermodels"  berichtete und definierte, was ein IG-Model von einer Celebrity oder einem Model mit Agentur im Rücken unterscheidet, schrieb sie:

"But perhaps the best reason for IG Models to be considered ‚art’ is that, in a certain sense, they are not ‚models.’ In the production of artworks, the model is something that inspires an artist to make art (for instance, a model sitting for Picasso) or that forms the physical basis of a piece of art but is not considered art itself (for instance, a model appearing in a photo by Helmut Newton). In other words, IG Models have freed themselves of ‚man hands.’ They have agency over their performances and they themselves make up the art. They do the work, appear in the work, get recognized for the work, and often get paid for the work, so they are ‚the work.’"

IG Models, das glaubte sie vor zwei Jahren, sind nicht auf Männer angewiesen, sie machen sich und ihren Erfolg selbst, sie müssen sich nicht in die Hände von Männern begeben. Sie zumindest hat es nicht geschafft, sagt sie heute. Also lässt sie jetzt einen Mann entscheiden, was für den weiblichen Blick angemessen ist. 

Schrager klingt nicht unzufrieden. Die harsche Kritik setzte ihr zu, das war zermürbend, immer wieder wurde sie gewarnt: "Versuche nicht, den Männern zu gefallen!" Sie nimmt den Rat jetzt an. 

Leah Schrager und Ona verkörpern zwei Extreme. Auf der einen Schulter richtet sich die sexpositive Feministin selbstsicher auf, die sich für sexuelle Selbstbestimmung einsetzt. Auf der anderen Schulter sinkt die scheinbar unsichere Künstlerin in sich zusammen, die sich in Zeiten von #MeToo von der Macht eines Mannes abhängig macht.  

Der Instagram-Account Ona stand übrigens auf der Scope Miami Beach für einen Dollar pro Follower zum Verkauf – 2.6 Millionen Dollar sollten gezahlt werden, Schrager hätte das Passwort und die Inhalte übergeben. Es fand sich kein Käufer. Der Account von Leah Schrager derweil wächst nicht ganz so rasant wie Ona, Anfang Oktober hatte sie knapp 5.000 Follower, jetzt sind es fast 40.000. 

Schrager wird sich sicherlich bald anhören müssen, dass sich ihre Geschichte liest wie eine neue Fassung der Performance "Excellences & Perfections" von Amalia Ulman – wie sie nach der #MeToo-Debatte hätte ablaufen können. Die argentinische Künstlerin verwandelte sich im Jahr 2014 im Rahmen ihrer Instagram-Performance vom süßen verletzlichen Mädchen in eine sexy junge Frau, die nach LA zog, dort eine Schönheitsoperation über sich ergehen ließ, einen Sugar Daddy fand, drogenabhängig wurde und nach dem Absturz ihr Glück bei Avocado-Toast und Yoga fand. Ulman führte in der Rolle einer jungen Frau, die nur an Äußerlichkeiten und Selbstdarstellung interessiert ist, unter anderem vor, dass in den sozialen Medien alle Lügner sind. 

Auf die Frage, ob es sich bei ihrer Geschichte auch um eine Performance handelt, die nicht auf realen Gegebenheiten beruht, antwortet Schrager: "Ich performe wie alle anderen auch in den sozialen Medien. Ich dramatisiere die Ereignisse ein wenig, das ist alles. Ich zensiere mich nicht selbst, ich bin offen und ehrlich."


Wie es jetzt weitergeht, weiß Schrager noch nicht genau. Offenbar sind noch nicht alle Details des Vertrags geklärt, wo die neuen Bilder außer auf ihrem Instagram-Account erscheinen sollen, weiß sie auch nicht. Sie lässt die Dinge auf sich zukommen.