Identitäre und die Kunst

Verwechslung erwünscht

Der Verfassungsschutz hat die Identitäre Bewegung als rechtsextremistisch eingestuft. Die Gruppierung verbindet ihre Ideologie geschickt mit kultiviertem Habitus. Und benutzt immer wieder die Mittel von traditionell linker Protestkunst 

Am 19. Dezember 2017 parkte vormittags gegen 11 Uhr ein Lastwagen mit Anhänger vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Per Lkw-Kran wurden Betonklötze abgeladen, die an überdimensionale, bleiche Lego-Steine erinnerten und zu einer Mischung aus Siegerpodest und einem Ausschnitt des angrenzenden
Holocaust-Mahnmals arrangiert wurden. "Den Opfern islamistischen Terrors" und "Kein Opfer ist vergessen" prangte auf den hellgrauen Klötzen, dazu ein gelbes Kreuz und die Städtenamen Paris, Brüssel, Manchester, Berlin, Nizza und Barcelona – die europäischen Schauplätze von Anschlägen aus den vergangenen Jahren.

Während die Polizei das spontane Monument inklusive Flugblättern, Kerzen, Fotos und Rosendekoration schon nach kurzer Zeit wieder entfernte, ließ sich die Identitäre Bewegung – eine rechte Gruppierung, die vom Verfassungsschutz gerade als rechtsextrem eingestuft wurde – im Internet für das Guerilla-Manöver beglückwünschen. Die Organisatoren der Aktion (ein Versammlungsleiter konnte laut Berliner Polizei nicht festgestellt werden, die Angelegenheit werde nun als Ordnungswidrigkeit behandelt) hatten sich den Jahrestag des Lkw-Attentats auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz ausgesucht, um an die Toten zu erinnern, die in ihrer Weltsicht unmittelbare Opfer von Multikulti und offenen Grenzen sind.

Der Krieg der Bilder ist angezettelt

Diese Aktion ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie sich rechte Gruppierungen im öffentlichen Raum zunehmend sichtbar machen und auf Methoden setzen, die mit der Tradition politischer Kunst in Verbindung stehen. Im Netz ist die Kommunikation der Rechten schon lange von Bildern beherrscht, von denen es sogar einige ganz analog in die Londoner LD50 Gallery geschafft haben (nach Protesten wurde die Ausstellung geschlossen). In den USA hat die sogenannte Alt-Right-Bewegung, ein Sammelbecken für erzkonservative Republikaner bis hin zu rechtsextremen Gruppen, seit dem Wahlkampf 2016 den "First Great Meme War" ausgerufen. Zuerst wurden unter dem martialischen Schlagwort Popkultur-inspirierte Bildchen mit Pro-Trump-Inhalten verbreitet, inzwischen umfasst dieser Krieg alles von rassistischen Collagen bis zu Illustrationen weltumspannender Verschwörungstheorien, die Liberale ärgern sollen.

Viele poltitische Kommentatoren sind sich einig, dass solche Memes beim Wahlsieg Trumps eine große Rolle gespielt haben. Die eingängigen Bildslogans, die sich durch Wiederholung wie visuelle Ohrwürmer ins Bewusstsein fressen, haben in bestimmten Milieus die Fakten abgelöst. Eine ähnlich durchschlagende Bildsprache, die sofort Wutbürger-Adrenalin freisetzt, gibt es auf der demokratischen Seite nicht.

Kunst von links nach rechts

Inzwischen manifestiert sich rechtes Gedankengut auch in etablierteren Bildformen im öffentlichen Raum. Bei den Identitären sind seit 2017 zahlreiche Aktionen hinzugekommen: Weitere Mahnmale für "Opfer ausländischer Gewalt", ein "Die-In" am Münchner Friedensengel als Erinnerung an Übergriffe gegen Frauen - für die in ihrem Weltbild natürlich ebenfalls nur Migranten verantwortlich sind. 

Werden politische Performances oder Interventionen im Stadtraum in der Regel eher links verortet (man denke nur an die Aktionsflut der letzten Documenta oder die Straßenmobilisierung der Kulturinitiative "Die Vielen"), besetzen rechte Gruppierungen solche Formate mit den entgegengesetzten Inhalten. Schaut man auf die Gedenkstein-Aktion der Identitären in Berlin, drängt sich die ebenso kontrovers diskutierte Aktion "Die Toten kommen" des Zentrums für Politische Schönheit auf, bei der das linksalternative Künstlerkollektiv im Regierungsviertel mit symbolischen Gräbern und Kreuzen ertrunkener Flüchtlinge gedachte.

Die Bilder gleichen sich nicht nur formal, auch das Feindbild ist dasselbe: die deutsche beziehungsweise europäische Flüchtlingspolitik. Doch während das Zentrum für Politische Schönheit humanistisch argumentiert und der EU Mord durch verbarrikadierte Grenzen vorwirft, sehen die Identitären die deutschen Bürger (wer genau dazugehört, bleibt unklar) als Opfer der merkelschen Willkommenskultur. Mit dem Format der Gedenkperformance lassen sich beide Positionen medienwirksam inszenieren. Und die gewollte Ähnlichkeit scheint im Sinne der Identitären zu funktionieren. Im Mai verglich sogar Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die Identitären mit dem Zentrum für politische Schönheit. Dass es fundamentale Unterschiede in der Ausrichtung gibt, erwähnte er nicht.

"Metoo"-Bewegung auf rechts gedreht

Auch die Aktion "C-Star" der Identitären wollte ganz bewusst die Mittel des linken Aktivismus kopieren. Während private Seenotretter auf dem Mittelmeer unterwegs sind, um schiffbrüchige Migranten in sichere europäische Häfen zu bringen, charterten die Identitären die "C-Star", um nach eigener Aussage eben diese Flüchtlinge von Europa fern zu halten. Das Schiff dümpelte schließlich manövrierunfähig auf dem Wasser, aber das ist fast egal (so naiv, dass ein Schiff die Migration stoppen könnte, sind die Mitglieder sicher nicht). Es geht um eine ganz einfache Botschaft: Der kreative Protest, der für viele Menschen mit positiven Assoziationen besetzt ist, gehört nicht den Linken. Die Seenotrettung wird zur Propaganda für die Festung Europa, die "metoo"-Bewegung wird auf rechts gedreht und zur Dämonisierung von Migranten benutzt.

Auf der Wiesbaden-Biennale 2018 zeigte das Künstlerkollektiv Frankfurter Hauptschule, wie Zeichen und Zuordnungen zunehmend verschwimmen. Die Mitglieder inszenierten selbst eine vermeintliche Aktion der Identitären, um darauf hinzuweisen, dass rechtes Gedankengut in der Verkleidung einer Christoph-Schlingensief-Performance möglich und gar nicht mehr abwegig ist. "Wenn es möglich ist, dass wir den Identitären zutrauen, sich in einem Kunstdiskurs zu bewegen, sind sie dann nicht längst viel tiefer ein Teil unserer Gesellschaft, als wir wahrhaben wollen?", fragte damals die inzwischen verstorbene Kuratorin Maria Magdalena Ludewig.

Christo steht als Vorbild nicht zur Verfügung

Auch die echten Identitären suchen immer wieder die Nähe zur Kunst: In Wien verhüllten sie eine prominente Statue der Landesmutter Maria Theresia mit einer Riesenburka. Ihrem bronzenen Berater am Fuß des Denkmals drückten sie ein Schild mit der Aufschrift "Islamisierung? Nein, danke" in die Hand. Obwohl die Identitären die Gegenwartskunst vor allem als Unterhaltung verbürgerlichter Blender betrachten (in einem Manifest für Gegenkunst in ihrem Sinne heißt es: "Die triefende Heuchelei und die saturierten Fleischmasken der wohlgenährten wie demonstrativ progressiven Gegenwartsbourgeoisie lassen sich in ihrem natürlichen Umfeld am besten im sogenannten Kunstbetrieb beobachten“), vereinnahmen sie prominente Künstler zur Legitimierung ihrer Aktionen. Für die Denkmal-Burka nannten die Organisatoren den Verhüllungsspezialisten Christo als Vorbild – der das auf Nachfrage empört von sich weist. Christo würde nie Aktionen voller Hass und Bigotterie unterstützen, heißt es aus seinem Studio.

Auch in Dresden wollten die Identitären eine Aktion auf dem Neumarkt als subversive Kunst verstanden wissen. Als sie an der Antikriegs-Bus-Skulptur des syrisch-deutschen Künstlers Manaf Halbouni mehrere Banner mit den Parolen "Heuchler", "Eure Politik ist Schrott" und "Keine Migration" aufhängten, sprach der Begleittext von "ästhetischer Ergänzung". Hetze erhebt Anspruch auf Schönheit, und Kunstsprech können zunehmend auch die Rechten.

"Republikaner sind der neue Punk"

Im Grunde geht es um ein Déjà-vu mit umgekehrten Vorzeichen. Die linken Rebellen ab 1968, die die Entwicklung von Performancekunst maßgeblich geprägt haben, sind heute das "rot-grün-versiffte" Gutmenschen-Feindbild der rechten Ideologen. Die sehen sich als neue Avantgarde: "Wir stehen in der Tradition der Rebellion“, sagt Martin Sellner, Philosophiestudent und Vordenker der Identitären Bewegung Österreich. Der US-Graffitikünstler Sabo formuliert es noch griffiger: "Linkssein ist eine psychische Störung. Republikaner sind der neue Punk."

Mit Sabo hat die Alt-Right-Bewegung ihren bisher prominentesten Street-Art-Künstler hervorgebracht, der vom "Guardian" als "Banksy der Trump-Anhänger" bezeichnet wurde. Sabo, der rund um Los Angeles aktiv ist, pflasterte die Stadt mit manipulierten "Rolling Stone"-Covern, die Lena Dunham Vergewaltigungsfantasien unterstellen, montierte den Kopf der ehemaligen republikanischen Außenministerin Condoleezza Rice auf den Körper einer Sklavin und tauschte Plakate für eine Museumsausstellung über Flüchtlinge durch Terroristen-Motive aus.

Der Name von Basquiat, die Ästhetik von Barbara Kruger

Seinen Namen entlehnt er unverhohlen Jean-Michel Basquiats Pseudonym Samo, seine grafische Sprache von Barbara Kruger. In Hollywood hingen Fotos von Meryl Streep mit dem Schriftzug "She knew" als Balken über den Augen. Am Missbrauchsskandal um Harvey Weinstein sind laut Sabo die mächtigen – demokratisch wählenden – Frauen schuld.

"Mein Ziel ist es, so dreckig, nah an den Leuten und gemein zu sein  wie jeder liberale Künstler – und noch mehr von alledem, wenn es geht", schreibt Sabo auf seiner Website, auf der er Poster und T-Shirts in den Kategorien "Schwul, Schwarze, Moslem und Burka" vertreibt. "Ich will ihre Taktik benutzen, ihre Methoden, mich an ihr Publikum richten." Was als Jugendkultur und Ungehorsamskunst etabliert ist, befüllt der selbst ernannte "Rebell der richtigen Seite" mit weit nach rechts gelehnter Ideologie.

Dass sich die Kunst einer politischen Agenda verschreibt, dass sie sich dem vermeintlich Wahren und Guten hingeben will, hat eine jahrhundertealte Tradition. Dem Rechtsruck in Europa und den USA stellen sich nicht umsonst Künstler und namhafte Kulturinstitutionen entgegen. Doch was wahr und gut ist, wird unterschiedlich bewertet, und die ästhetischen Mittel sind nicht an sich parteiisch. Auch die neue Rechte weiß um die Macht der Bilder und nutzt diese vor einem ergebenen Publikum im Internet. Egal wie klein die reale Bewegung sein mag - Zehntausende klicken an und schauen zu. Und brüsten sich mit einer Kulturrevolution von rechts.