"(Un)sichtbarkeit von Gewalt" in Gießen

Indirekte Wege zum Mitgefühl

Explizite Gewalt stumpft ab, die Kunst kennt die Strategien des Mitgefühls. In einer sorgfältig kuratierten Gruppenschau in Gießen untersuchen Künstlerinnen und Künstler die visuellen Facetten der Grausamkeit

Die "Omega Suites" der US-Fotografin Lucinda Devlin setzen eingangs den Ton: Die legendäre, sachlich fotografierte Serie von Zellen, in denen die Todesstrafe vollstreckt wird, zielt deshalb so sicher auf das moralische Empfinden, weil alles Menschliche darin aus­geblendet ist. Der Effekt zieht sich durch die sorgfältig kuratierte Schau, die aktuell in der Kunsthalle Gießen zu sehen ist. Explizite Gewalt stumpft ab, indirekte Wege führen zu Mitgefühl und Reflexion. Darauf ist die Kunst spezialisiert.

Helena Uambembe hat eigens für die Ausstellung das Wohnzimmer ihrer Kindheit in einer südafrikanischen Sperrzone nachgebildet, in jedem Gegenstand oder Artefakt sind Spuren kolonialer Gewalt lesbar. Die junge Kriegsfotografin Johanna-Maria Fritz findet in der Ukraine Motive jenseits des einstudierten Bildvokabulars und bearbeitet in einer weiteren konzeptuellen Serie den Mythos der Jungfräulichkeit in Österreich. Gewalt hat viele Facetten.

Kunsthallen-Direktorin Nadia Ismail und Co-Kuratorin Theresa Deichert nahmen zu Guantánamo-Häftlingen Kontakt auf und zeigen hier ihre Briefe und Kunstwerke, mit denen die fünf Männer, von denen keiner je angeklagt wurde, sich gegen ihre Folterer wenden. Hier wird die Kunst zur Überlebensstrategie gegen die Gewalt. Vor allem textiles und keramisches Arbeiten erweisen sich in ihrer Unmittelbarkeit als Speicher von Traumata: Materialien, in die sich Erfahrungen einflechten, einweben und einprägen oder die sich selbst gewaltsam verformen lassen.

Zu den Künstlerinnen und Künstlern zählen etablierte Namen wie Rabih Mroué und Šejla Kameric, aber auch junge Positionen wie Helena Uambembe oder Kresiah Mukwazhi aus Simbabwe. Eine Frage schwingt immer mit: Welche Interessen stehen hinter der Gewalt?