Insta-Watchlist mit Laetitia Ky

"Mit meinen Haaren erobere ich ein Stück meiner Identität zurück"

Auf Instagram inszeniert sich Laetitia Ky mit Haarskulpturen, die schön sind – und politisch. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen des Feminismus, westafrikanische Frisurentraditionen und ihren Weg zur Kunst


Laetitia Ky, menschliches Haar spielt in Kulturen weltweit eine wichtige Rolle. Besonders das Haar von Frauen ist häufig Gegenstand kontroverser Diskussionen. In Ihrer Kunst kreieren Sie Skulpturen aus Ihrem eigenen Haar - welche Bedeutung hat das Medium für Sie?

Über die Jahre hat sich die Bedeutung, die mein Haar für mich hat, stark verändert. Ich bin in der Elfenbeinküste aufgewachsen, einem Land, das eine ehemalige französische Kolonie ist. Dadurch sind viele unserer Schönheitsideale westlich geprägt. Als ich ein Kind war, benutzten alle Frauen in meinem Umfeld ein chemisches Mittel namens "Hair Relaxer". Das ist eine sehr starke Chemikalie, die man ins Haar gibt, um es dauerhaft zu glätten. Sie ist so aggressiv, dass man Wunden auf der Kopfhaut bekommt, wenn man sie zu lange einwirken lässt. Ich hatte meine erste Haarglättung mit etwa fünf Jahren. Damals hat sich noch meine Mutter um meine Haare gekümmert, ich habe ihnen keine Bedeutung beigemessen. Erst in der Mittelschule habe ich angefangen zu realisieren, wie wichtig meine Haare eigentlich sind.

Wie alt waren Sie zu dem Zeitpunkt?

Mit etwa zehn Jahren kam ich auf eine öffentliche Mittelschule. Dort gab es eine Regel: Mädchen müssen sich den Kopf rasieren, bevor sie den Unterricht betreten dürfen. Wenn man das nicht tat, durfte man nicht in die Schule. Es war eine ziemlich seltsame Regel, über deren Gründe viel spekuliert wurde. Manche sagten: Du bist hier zum Lernen, nicht um schön zu sein. Oder: Du bist hier, um zu lernen, nicht um Mitschüler oder Lehrer zu verführen. Das ist verrückt. Es fühlte sich wie ein Übergriff an.

Insgesamt vier Jahre waren Sie dort.

Danach ging es für mich auf eine private Schule, auf der ich meine Haare endlich wieder wachsen lassen konnte. Ich war inzwischen etwas älter und kümmerte mich nun allein um meine Haare. Also habe ich wieder den "Hair Relaxer" benutzt – und zwar viel zu oft. Dadurch habe ich meine Haare völlig zerstört und komplett verloren. Zu der Zeit war ich ständig im Internet, um herauszufinden, wie ich mein Haar wieder wachsen lassen kann. Und genau da stieß ich auf diese Online-Community Schwarzer Frauen, die sich mit natürlichem Haarwuchs und Haarpflege beschäftigten. Sie nannten sich die "Nappy-Community" – zusammengesetzt aus natural und happy -, wobei das Wort heute sehr umstritten ist. Damals habe ich zum ersten Mal die Benutzung von "Hair Relaxern" hinterfragt, meine Sichtweise auf Haare grundlegend geändert und beschlossen, sie natürlich wachsen zu lassen. Heute sind Haare nicht nur ein Material für meine Kunst, sondern auch ein kraftvoller Teil meines Körpers, mit dem ich ein Stück meiner Identität zurückerobere.

Wann kam der Wendepunkt – wann wurden Ihre Haare zur Leinwand?

Als meine Haare wieder zu wachsen begannen, war ich ein bisschen überfordert. Die Pflege kostete viel Zeit, und ich war es nicht gewohnt, mich um meine krause Haarstruktur zu kümmern. Über das Internet bekam ich viel Inspiration für Frisuren. Eines Tages stieß ich über Social Media auf alte, schwarz-weiße Fotografien von westafrikanischen Frauen mit angeblich präkolonialen, traditionellen Frisuren. Diese Frisuren sahen abstrakt-skulptural aus, und ich war fasziniert von den Formen und der handwerklichen Raffinesse. Ich begann, mich über die Bedeutung von Haar in diesen Gesellschaften zu informieren. 

Was haben Sie herausgefunden?

Haare waren dort viel mehr als nur Ästhetik – sie waren ein Kommunikationsmittel. Je nach Stamm hatte man eine bestimmte Frisur; schon beim Anblick erkannte man, woher eine Person kam, ob sie ledig oder verheiratet war und welchen Beruf sie ausübte. Daraufhin experimentierte ich selbst mit meinem Haar, Extensions und Draht. Ich probierte verschiedene Techniken aus und schuf zuerst geometrische Formen wie Kreise und Quadrate. Je mehr ich meine Frisuren auf Social Media teilte, desto mehr Zuspruch bekam ich, was mich motivierte, weiterzumachen. So begann meine Geschichte mit der Haarkunst.

 

Sie haben inzwischen über eine halbe Million Follower auf Instagram. Das ist eine ganze Menge. Gab es einen bestimmten Beitrag, der viral ging?

Ja! 2017 habe ich eine Fotoserie gepostet, in der meine Haare wie ein zweites Paar Arme und Hände aussehen. Ich ging schlafen, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, war der Post durch die Decke gegangen. Über Nacht waren meine 1000 Follower auf Instagram und Facebook zu 25.000 geworden. Dann bekam ich Nachrichten, Artikel wurden über mich geschrieben, Leute wollten mich interviewen. Ich dachte nur: Was passiert hier? 

Wie lange brauchen Sie, um diese Kunstwerke zu kreieren? 

Das variiert sehr stark. Manche Skulpturen sind ganz einfach, da brauche ich vielleicht 20 Minuten. An anderen sitze ich über fünf Stunden. Das hängt von der Komplexität der Formen ab.

Arbeiten Sie allein oder im Team?

Im Moment mache ich das Meiste noch allein – von der Skulptur bis zur Aufnahme. Ab und zu hilft mir meine kleine Schwester. Aber ich versuche gerade, einen Weg zu finden, um mir ein Team aufzubauen, das mich unterstützt. Allerdings fällt es mir sehr schwer, die Kontrolle abzugeben, wenn es um meine Kunst und meine Arbeit geht. Deshalb trainiere ich mich jetzt selbst darin, zu akzeptieren, dass es nicht weniger "mein" Werk ist, nur weil mir jemand hilft.

Während einige Ihrer Skulpturen in erster Linie der Unterhaltung dienen, zum Beispiel die vielen Tiersilhouetten, haben die meisten dezidiert politische und feministische Botschaften. An welchem Punkt in Ihrer künstlerischen Laufbahn haben Sie sich dazu entschieden, politisch zu werden?

Genau in dem Moment, als ich diesen viralen Erfolg hatte. Ursprünglich habe ich das Ganze nur als Experiment gesehen, es war nichts Ernstes. Plötzlich gingen meine Fotos aber um die ganze Welt, und ich bekam viele Nachrichten von Schwarzen Frauen, die sich bei mir bedankten. Sie schrieben mir, dass sie sich beim Anblick meiner Fotos mit ihren eigenen Haaren wohler fühlten, weil sie sahen, dass unsere stark stigmatisierte Haarstruktur genutzt wird, um etwas Schönes zu erschaffen, das Bewunderung hervorruft. Da war mir klar, dass ich diese Wirkung und Reichweite nutzen möchte, um auf wichtige feministische Themen aufmerksam zu machen, die mich schon lange begleiten.

Würden Sie sich als Aktivistin beschreiben?

Ich hatte schon immer ein kleines Problem mit Schubladendenken. Und ich habe irgendwann gemerkt, dass der mir zugeschriebene Aktivismus zu meiner ganzen Identität wurde. Davon habe ich mich ein bisschen distanziert, weil ich zeigen wollte, dass ich neben einer Aktivistin vor allem auch eine Künstlerin bin. Meine Praxis ist mir sehr wichtig. Ich kann auch ästhetische Dinge schaffen, die nicht explizit sagen: Hey, lasst uns für etwas kämpfen. Und auf der anderen Seite habe ich das starke Bedürfnis, Themen anzusprechen. Also ja, ich würde sagen, ich bin Aktivistin – aber ich mag das Wort nicht so gern und würde mich in erster Linie als Künstlerin bezeichnen.

Seit Ihrem künstlerischen Durchbruch sind Sie viel auf Reisen und lernen neue Kulturen kennen. Hat das Arbeiten auf verschiedenen Kontinenten – Afrika, Amerika und Europa – Ihre aktivistischen und vor allem feministischen Perspektiven geprägt oder verändert?

Absolut! Wenn man als Feministin in der Elfenbeinküste und vielen Teilen Westafrikas kämpft, steht man manchmal für sehr grundlegende Dinge ein. Manche westlichen Frauen verstehen beispielsweise nicht, dass wir uns an einigen Orten immer noch dafür einsetzen müssen, dass der Platz der Frau nicht in der Küche ist. Ich merke deshalb auch immer wieder, dass ich je nach feministischem Thema in meiner Kunst unterschiedliche Reaktionen bekomme. Manchmal spreche ich über ein Thema, und in der Elfenbeinküste lieben sie es, aber aus dem Westen gibt es Gegenwind. Und andersherum. Das ist auch einer der Gründe, warum ich es manchmal leid bin, Aktivistin zu sein. Selbst innerhalb feministischer Gemeinschaften, die sich eigentlich für die Stärkung der Frauen einsetzen sollten, wird aus jeder kleinen Meinungsverschiedenheit ein Streit. Dann werden aus Freundinnen plötzlich Feindinnen. Einige Feministinnen sind mir gegenüber sogar aggressiv geworden, nur weil sie andere Ansichten haben. All das hat meinen Feminismus geprägt.

 

Sie machen sich selbst und Ihren Körper zur Kunst, inszenieren sich in ganz vielfältiger Weise. Fühlen Sie sich dabei verletzlich oder ermächtigt Sie dieser Akt?

Ehrlich gesagt: beides. Es gibt Momente, in denen ich mich unglaublich stark fühle – und dann wieder solche, in denen ich mich extrem verletzlich erlebe. Das Internet ist das Internet, und wenn Menschen ungefiltert reagieren, fühlt man sich sehr angreifbar. Manchmal ist das beängstigend, manchmal sogar gewaltsam. Und gleichzeitig gibt es auch Momente, die mir viel Kraft geben.

Die Debatten rund um kulturelle Aneignung – etwa auch im Zusammenhang mit bestimmten Frisuren wie Dreadlocks – haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Sehen Sie Haarstile als ein kulturelles Erbe an, das andere nicht kopieren sollten?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich liebe es, andere Kulturen kennenzulernen, genauso wie ich es schön finde, wenn andere Menschen meine Kultur wertschätzen und annehmen. Genau darum geht es ja auch in einer globalisierten Welt: dass wir Kulturen miteinander teilen. 

Aber?

Mich – und viele andere – stört vor allem das, was oft in der Modewelt passiert. Wenn große Marken oder bekannte Persönlichkeiten, die nicht Schwarz sind oder nicht aus der entsprechenden Kultur stammen, solche Stile übernehmen und ihnen dann neue Labels geben. Genau da liegt das Problem. Es ist nichts falsch daran, cornrows zu tragen – solange man sie auch so nennt und ihre Herkunft respektiert. Aber wenn jemand daherkommt und sie zum Beispiel "Kim K Braids" nennt, wird es schwierig. Und oft ist es ja so, dass bestimmte Frisuren – wenn sie von den Menschen getragen werden, aus deren Kultur sie ursprünglich stammen – als "ghetto" und negativ abgestempelt werden. Und sobald exakt dieselben Frisuren von jemand anderem übernommen werden, gelten sie plötzlich als High Fashion, als schön, als raffiniert. Genau hier entsteht die Frustration: Es geht nicht darum, dass man nicht teilen darf – natürlich darf man das. Aber es muss mit Respekt geschehen. Man sollte die Herkunft anerkennen, die Ursprünge benennen und nicht so tun, als hätte man etwas Neues erfunden.

Sie drücken sich nicht nur durch skulpturale Haargebilde aus, sondern auch durch Malerei. Ihre Gemälde zeigen ähnliche Themen: Weiblichkeit, die Ausbeutung von Körpern sowie das Patriarchat. Wie entscheiden Sie, ob Sie ein Bild aus Ihrem Kopf als Gemälde oder Frisur festhalten?

Generell gilt: Wenn das Bild in meinem Kopf eher einfach ist, mache ich es als Frisur, und wenn es sehr komplex ist und ich es ganz klar vor Augen habe, dann mache ich es als Gemälde. Mit den Gemälden kann ich viel mehr ins Detail gehen. 

Und dann sind Sie ja auch noch Schauspielerin. Dieses Jahr wurde der Film "Promised Sky" von Erige Sehiri in Cannes vorgestellt, in dem Sie mitspielen. Werden Sie sich in Zukunft mehr auf Film konzentrieren?

Das ist eine Frage, auf die ich keine wirkliche Antwort habe. Ich tue mein Bestes, um das zu planen, was planbar ist, aber grundsätzlich nehme ich die Chancen so, wie sie kommen. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn die Schauspielerei in meinem Leben eine größere Rolle einnehmen würde – das ist etwas, was ich wirklich liebe. Es macht mir Spaß, in Rollen zu schlüpfen und Charaktere zu verkörpern. Aber ich glaube, es wird eher unterschiedliche Phasen geben. In manchen Lebensphasen wird die Kunst eine größere Rolle spielen, in anderen wiederum wird die Schauspielerei mehr Raum einnehmen. Vielleicht beginnt irgendwann auch noch ein ganz neuer Weg in einem ganz anderen Bereich, der dann ebenfalls sehr präsent wird.

Sie setzen sich seit Jahren für den natürlichen Haarwuchs bei afrikanischen Frauen ein. Haben Sie eigentlich auch die Frauen in Ihrer eigenen Familie davon überzeugen können?

Ja, alle Frauen in meiner Familie – von meiner Mutter bis zu meinen Schwestern – tragen jetzt ihr natürliches Haar. Und das ist wirklich schön. Und ich weiß genau, dass ich der Grund dafür war. Denn eines ist sicher: Wenn ich etwas Neues lerne, zum Beispiel, dass etwas gesundheitsschädlich ist, dann lasse ich sie das keine Sekunde vergessen. Ich habe jeden Tag gesagt: "Weißt du, das ist gefährlich, du solltest damit aufhören. Ich habe gelesen, dass 'Hair Relaxer' Krebs verursachen können. Mama, du solltest wirklich damit aufhören." Und ich bin nicht verstummt, bis sie es tatsächlich komplett gelassen haben. Ich war da sehr hartnäckig.