Intendantin Ekaterina Degot im Interview

"Kultur soll Menschen zusammenbringen"

Foto: J. J. Kucek
Foto: J. J. Kucek
Ekaterina Degot

Ekaterina Degot ist neue Intendantin des Festivals Steirischer Herbst in Graz. Im Monopol-Interview spricht die gebürtige Russin über ihr geplantes Programm, den Rechtsruck in Österreich und dessen Einfluss auf ihre Arbeit

Frau Degot, Sie definieren den Steirischen Herbst als ein Festival, das sich immer wieder neu erfindet. Was ist bei Ihnen neu?
Über die nächsten fünf Jahre wird sich der Steirische Herbst als internationale Ausstellung, die sich über die gesamte Stadt spannt, neu erfinden. Mit performativen, installativen und diskursiven Formaten. Genau das bedeutet nämlich die Interdiszplinarität des Steirischen Herbst, denn zeitgenössische visuelle Künstler – in der Tradition der historischen Avantgarde – stellen fortlaufend ihr Medium infrage und ändern es. Die Herangehensweise des neuen Festivals kommt von der bildenden Kunst, was bedeutet, dass Werke meist ortsspezifisch konzipiert und wahrgenommen werden, sich aber mit globalen Themen befassen, betrachtet vor dem Hintergrund spezifischer geschichtlicher Kontexte.

Sie haben der Ausgabe unter Ihrer Intendanz das Motto "Volksfronten" gegeben. Das klingt doch sehr martialisch. Worauf spielen Sie damit an?
Nicht nur die zeitgenössische Politik, sondern die gesamte diskursive Zone einschließlich der sozialen Medien ist zu einem Schlachtfeld der Positionen geworden. Widersprüche kollidieren, Allianzen und Feindschaften ändern sich ständig, und Trennlinien sind nicht dort, wo man sie erwarten würde. Die Linke kann tolerant gegenüber der Religion sein, während die Rechte die Freiheit anpreist und sich linke Demonstrationsmethoden zu eigen macht. "Volksfront" kann antifaschistisch klingen, wie in den 30er-Jahren, oder geradezu faschistisch: Eine in den 90er-Jahren gegründet rechtsextreme rassistische Gruppe in den USA trägt denselben Namen. Die Gesellschaft ist zersplittert und vielleicht sogar verloren, und die Rettung wird immer öfter in den "Wurzeln" gesucht, Nationalismus wird weniger und weniger ins Frage gestellt, normalisiert. Dies sind Kontexte, die wir, hoffentlich, durch und mit provokanten künstlerischen Arbeiten und Diskussionen ausleuchten werden.

In Ihrer ersten Pressemitteilung heißt es, "politische Kriege werden als kulturelle Kriege interpretiert". Was ist damit gemeint, und wie kann Kultur darauf antworten?
In der heutigen Welt, in der fast alle im neoliberalen Unternehmenskapitalismus und in mehr oder weniger mangelhafter Demokratie leben, werden wirtschaftliche und politische Differenzen ausgelöscht, "kulturalisiert" und als tiefe kulturelle oder sogar zivilisatorische Unterschiede dargestellt. Kultur wird als unser tiefstes, authentischstes "Ich" wahrgenommen. Das bedeutet auch, dass diese Unterschiede – etwa zwischen der muslimischen Welt und dem Westen, oder dem Westen und jedem anderen "Anderen", wie Russland –  "naturalisiert" werden, angesehen als ewig und unlösbar. In dieser Situation, die ich sowohl diskursiv als auch politisch für unproduktiv halte, ist es die Rolle der Kultur, der Idee multipler "Kulturen" zu widerstehen. Kultur soll Menschen zusammenbringen, nicht durch "Identitäten" trennen.

Kann man mit einem Kulturfestival politisch Einfluss nehmen?
Sicherlich, da jedes Kunstfestival Teil der öffentlichen Sphäre ist. Ein Kunstwerk ist immer eine Aussage über die Bedingungen des menschlichen Lebens, in diesem Sinne ist es immer politisch und kann Gegenstand der öffentlichen Meinung werden.

Der Steirische Herbst war zuletzt sehr auf Theater fokussiert. Machen Sie daraus ein Kunstfestival? Hat der Apparat mit der Verschiebung Probleme?
Der Steirische Herbst bleibt ein interdisziplinäres Festival – das macht es seit 1968 originell und innovativ, noch bevor das Wort "interdisziplinär" in dieser Form überhaupt existiert hat. Ich habe mehrere Kollegen – teilweise neue, teilweise sind es langjährige Weggefährten – für diese erste neue Ausgabe des Festivals eingeladen, und es ist sehr bereichernd, von der Erfahrung derjenigen zu profitieren, die sonst eher in anderen Bereichen als ich arbeiten.

Geografisch sind Sie sehr nahe an Osteuropa, spiegelt sich das im Programm wieder?
Ja, sicher. "Graz" bedeutet schließlich nur "Stadt" in slawischen Sprachen. Geografisch und historisch ist Graz nicht nur nahe an Osteuropa, es ist auch Teil einer hybriden Zone, die sowohl Ost als auch West ist. In vergangenen Steirischen-Herbst-Editionen wurde diese Zone als "Trigon" zwischen Österreich, Italien und Jugoslawien definiert. Dieses Territorium ist sehr intensiv, es basiert auf alten imperialen Phantasien und kolonialen Interessen (von allen Seiten!), auf Geschichten der Zwangsvertreibung und Namensänderung, auf der ergreifenden Abwesenheit des jüdischen Elementes der Kultur, das sich immer noch ausgelöscht und unterdrückt anfühlt. Es ist ein sehr verflochtenes Territorium, in dem sich die "reine Nation" als Fantasie offenbart. Und mit dieser Vision kann man auf andere Orte auf unserem Planeten schauen, wo es auch so ist.

Wie empfinden Sie die politische Lage in Österreich, welchen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit?
Wir befassen uns natürlich mit der politischen Entwicklung und mit dem, was sie für die Kunst bringen kann. Aus Russland kommend, weiß ich, dass zeitgenössische Kunst gegen reaktionäre Ideen und Handlungen keineswegs immun ist und benutzt werden kann. Es ist gefährlich, wenn die rechte Politik die Kunst bekämpft, aber ist auch dann gefährlich, wenn sie sie begrüßt. Wir sollten alle sehr wachsam sein.

Das Kuratorische Team vom Steirischen Herbst