Stipendium fürs Nichtstun

"Etwas bewusst zu unterlassen, ist nicht dasselbe wie Faulsein"

Ist das jetzt Nichtstun oder harte Arbeit?
Foto: Courtesy Jakob Brossmann

Ist das jetzt Nichtstun oder harte Arbeit? Friedrich von Borries, Initiator des Stipendiums fürs Nichtstun, mit Schafherde

In Hamburg vergibt die "Schule der Folgenlosigkeit" ein Stipendium fürs Nichtstun. Was das soll, erklärt der Initiator Friedrich von Borries


Friedrich von Borries, die Situationisten sprühten schon 1968 das Motto "Arbeitet nie!" an Pariser Häuserwände. Was ist neu an Ihrem Konzept, warum sollten wir das Nichtstun lernen?

Das Unterlassen von Handlungen, das Nichtstun, der Müßiggang – das alles sind per se natürlich überhaupt keine neuen Ideen. Denken wir nur an Diogenes in seiner Tonne, an das antike Ideal der Muße. Aber vor der Fragestellung des Klimawandels und der Umweltzerstörung bekommt die Frage nach einem anderen Lebensstil, der nicht auf der Ideologie von Arbeit, Wachstum und Beschleunigung beruht, eine ganz neue Relevanz. 

In den letzten Jahren wurde viel über Nachhaltigkeit und Social Design gesprochen. Ist Ihr Projekt auch als Absage an die Idee zu verstehen, durch gute Taten eine bessere Welt zu schaffen?

Unser Projekt ist jetzt teilweise als Aufruf zum Faulsein missverstanden worden, uns geht es aber ums Nichtstun beziehungsweise um das "Nicht-Tun"– und das ist ein Unterschied. Wir wollen dazu anregen zu überlegen, welche eigenen Handlungen man in der Zukunft bewusst unterlassen möchte. Es geht um vorsätzliches Nicht-Tun im Sinne einer gesellschaftlichen Verantwortung, nicht um Faulenzen und Freizeit. Wir vermeiden dabei eine Verzichtsrhetorik, sondern gehen von einem positiv besetzen Begriff von Nichtstun aus. Nicht-Tun kann sein: Schwimmengehen, in der Natur sein. Dabei kann man aber durchaus auch Projekte oder Handlungen verfolgen, die man für wichtig und sinnvoll erachtet. Vor allem aber sind wir überzeugt, dass wir ein neues Wertesystem brauchen. Bis heute bedeutet Sozialprestige ja noch immer: ein noch größeres Haus, ein noch größeres Auto, noch mehr Geld auf dem Konto. Und nicht: Müßiggang, Träumereien, Zeithaben für Freunde und die Familie.

Die Stipendien werden im Rahmen der "Schule der Folgenlosigkeit" vergeben – einem Projekt, das Sie an der HFBK verfolgen und das jetzt auch in eine Ausstellung am Museum Kunst und Gewerbe in Hamburg mündet. Verstehen Sie Folgenlosigkeit als neues gesellschaftliches Ideal?

Ich halte Folgenlosigkeit für einen spannenden, zeitdiagnostischen Begriff, den man auf drei Ebene aufsplitten kann. Zum einen gibt es das Gegenwartsversprechen, dass unser Handeln keine negativen Folgen hätte. Das ist das Folgenlosigkeitsversprechen des grünen Kapitalismus. Man könnte auch sagen, die Folgenlosigkeitslüge des Kapitalismus, die uns weismachen will: Ich muss nur vom Fleisch auf Tofu, von meinem SUV auf einen Tesla umsteigen, und schon ist meine Klimabilanz neutral. Die zweite Dimension der Folgenlosigkeit trat jetzt wieder sehr traurig im Zuge der "Fridays for Future"-Bewegung auf, der einige mit der Haltung entgegentraten: Das bringt ja eh alles nichts. Also Folgenlosigkeit im Sinne eines Ohnmachtsgefühls. Ich versuche dem eine dritte Dimension entgegenzustellen: Folgenlosigkeit als ein neues positives Ideal, wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, unerreichbar aber doch erstrebenswert.

Aber ist es nicht ein zutiefst menschlicher Antrieb, Spuren zu hinterlassen?

Es gibt diese Vorstellung des Nachruhms, gerade auch in der Kunst. Aber ich möchte lieber für ein Leben plädieren, das möglichst wenig negative Folgen hat. Natürlich stecken in dem ganzen Projekt auch Widersprüche drin, schon der Begriff "Schule der Folgenlosigkeit" ist ja widersprüchlich. Schule will Folgen haben. Mein Projekt soll Folgen haben. Ich habe mit dem Stipendium fürs Nichtstun total viel Arbeit. Aber das Ertragen von Widersprüchen ist eine Kernkompetenz der Gegenwart. Wir müssen lernen, Widersprüche produktiv zu machen, weil wir sonst genau in dieser Resignation des "bringt ja eh nichts" verfallen.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Bewerber aus?

Wir haben bewusst keine Kriterien festgelegt, um die Offenheit zu wahren. Unsere Jury ist sehr gemischt zusammengesetzt: Tulga Beyerle vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg und ich haben einen Designhintergrund, dazu kommen der Philosoph Armen Avanessian und die Juristin Eva Leinemann mit ganz anderen Perspektiven und Bezügen. Es gibt im Bewerbungsformular vier recht einfache Fragen: Was will ich nicht tun? Warum ist es wichtig, es nicht zu tun? Warum bin ich der oder die Richtige, das nicht zu tun? Und: Wie lange will ich das nicht tun? Wobei es jetzt auch schon Bewerber gab, die sich diesen Fragen verweigern, und das ist ja auch völlig okay. Die Bewerbung ist offen, wir kriegen Zuschriften aus aller Welt. Alle Bewerbungsbögen werden wir im Rahmen der Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe ausstellen, um möglichst viele Aspekte des Nichtstuns zu zeigen.

Sie selbst sind Architekt, Buchautor, Kurator, Designprofessor, umtriebiger Projektmacher. Wann kommen Sie zum Nichtstun?

Das Spannende an der aktiven Unterlassung ist, dass andere sie nicht mitbekommen. Aber ich gebe zu: Ich bin nicht das allerbeste Vorbild.