Johann Ehrhardt, diese Woche findet die Berlin Fashion Week statt. Welche Rolle spielt sie in der Modewelt?
2021, als ich gerade meine Modedesign-Ausbildung gemacht habe, ist die Berlin Fashion Week abgesagt und nach Frankfurt verlegt worden. Ich glaube, dass es wichtig für Berlin war, um zu hinterfragen, was die Modewoche hier eigentlich sein soll. Durch die Unterbrechung hat sie sich weiterentwickelt. Es herrscht noch immer eine Aufbruchsstimmung, viele junge, aufstrebende Brands sind dabei. Die Berliner Fashion Week ist sehr kreativ, Shows finden an ungewöhnlichen Orten statt. Ich habe das Gefühl, darauf haben viele Leute Bock.
Wie viel Berlin steckt in ihrem Label Haderlump?
Wir stehen in vielen Facetten für Berlin. Dazu gehört Techno, Kunst in allen Formen, aber auch die Straße. Uns ist wichtig, dass man sich in unserer Mode selbstbewusst und sicher fühlen kann. Letzteres ist in den komischen Zeiten, in denen wir leben, besonders wichtig geworden. Deswegen finde ich die Kombination aus steifen, harten, schützenden Materialien mit weichen, fließenden Stoffen superspannend.
Auf welchem Weg entstehen Ihre Kollektionen?
Ich arbeite sehr konzeptuell, jede Kollektion ist an einer Geschichte aufgehängt. Letztes Jahr haben wir uns für "Aero" von Amelia Earhart, der ersten Pilotin, die einen Transatlantik-Flug gemacht hat, inspirieren lassen. Ist ein Thema festgelegt, erstelle ich Mood- und Colorboards, die den Vibe der Kollektion einfangen sollen, das Jahrhundert, in dem wir uns bewegen. Dann erstelle ich erste Zeichnungen, bei denen es vor allem um Silhouetten geht.
Wie entstehen dann die einzelnen Looks?
Das ganze Team zeichnet Entwürfe, bis wir etwa 400 davon haben. Daraus wählen wir die besten 30 aus und fertigen erste Prototypen. Das ist der wichtigste Design-Schritt. Manchmal sieht etwas auf dem Papier super aus, dann näht man es und merkt, dass es gar nicht funktioniert. Deswegen braucht man das Haptische. Wir nehmen dafür immer weißen Probestoff. Erstmal geht es nur um die Formen, noch nicht um das Material, was wir letztendlich wählen.
Wann im Design-Prozess suchen Sie die Stoffe dann aus?
Wir haben meist eine Vorstellung, in welche Richtung es gehen soll, also ob ein Teil steif oder weich und fließend sein soll. Trotzdem ist die schlussendliche Stoff-Auswahl relativ schwierig und kommt erst zum Ende. Um möglichst nachhaltig zu sein, arbeiten wir fast nur mit deadstock, also überschüssiger Ware oder Lagerbeständen.
Wenn jede Kollektion eine Geschichte hat: Was ist die der Frühjahrs-/Sommerkollektion 2026, die sie auf der Fashion Week präsentieren?
Es fing damit an, dass ich in einer Tango-Salsa-Bar ein älteres Pärchen kennengelernt habe. Die beiden haben mir ein Ex Libris geschenkt, damit haben Menschen früher ihre Bücher markiert. Statt ihren Namen reinzuschreiben, haben sie kleine Bilder hinein gestempelt: Wappen, verziert mit religiösen Symbolen - oder ab dem 18. Jahrhundert angepasst an die eigene Persönlichkeit oder den Beruf. Daran orientieren wir unsere diesjährige Kollektion. Wir haben ganz viele Ex Libris gesammelt und extra welche gesucht, auf denen Kleidung zu sehen ist. Davon lassen wir uns inspirieren und interpretieren sie neu.
Wie viel Wert legen Sie auf die Art der Präsentation bei der Modenschau?
Mir ist das sehr wichtig. In diesem Jahr arbeiten wir mit der Set-Designerin Hannah Siegfried zusammen. Für das "Ex libris"-Motto haben wir vier mal vier Meter große Boxen als Kulisse gebaut, die mit insgesamt 35.000 Buchseiten vollgetackert sind. Wir wollen eine Gesamt-Erfahrung kreieren. Es macht Spaß, nicht nur die Kollektion zu denken, sondern auch das Licht, die Musik, die gesamte Performance.
Bei Haderlump machen Sie neben ihren Ready-to-Wear-Stücken auch viele Auftragsarbeiten. Wie wichtig sind die für das Geschäft?
Als wir das Label gegründet haben, wollten wir eigentlich nur ein paar T-Shirts und Pullis machen. Dann kam die Sängerin Zoe Wees auf uns zu. 2022 hatte sie ihren Durchbruch. In dem Jahr haben wir 25 Outfits für sie angefertigt. Es hat viel Spaß gemacht, Bühnenoutfits zu entwerfen, zuletzt haben wir für den Rapper Luciano gearbeitet. Wir haben viele Show-Pieces, die wir an Musiker für Auftritte und Musikvideos oder für Schauspieler für den roten Teppich verleihen. Mein größter Traum wäre es, mal für ein Ballett- oder Theaterstück Kleider zu entwerfen. Es gibt aber auch Privatkunden, die sich Kleidung von uns maßschneidern lassen. Das ist lukrativ für uns.
Wie kamen Sie selbst zur Mode?
Das kam alles über das Nähen. Ich hatte lange keine Ahnung von Mode – also, ich kannte Chanel und H&M, das war's dann aber auch schon. Ursprünglich habe ich eine Ausbildung zum Gastronomen gemacht. Aber in der achten Klasse hatte ich mal einen einwöchigen Nähkurs. Ich war damals der einzige, der sich so richtig an die Nähmaschine getraut hat und auch noch Spaß daran hatte. Davon habe ich irgendwann meinem Mitbewohner erzählt, der sagte: Ist doch cool, lass uns eine Maschine holen. Zu Weihnachten habe ich dann eine bekommen, und meine Oma hat mir noch Zubehör geschenkt, sie war selbst Schneiderin.
Es begann also als Hobby?
Ja, ich habe das erstmal einfach aus Spaß gemacht. Immer, wenn ich freihatte, habe ich genäht, manchmal 14 Stunden am Tag, weil ich das so meditativ fand. Ich habe immer eigene Schnitte kreiert, weil ich gar nicht wusste, dass es so etwas wie Schnittvorlagen gibt. Das war alles learning by doing, viel mit YouTube-Videos, bis ich dann mein Studium am Lette Verein angefangen habe.
Wie wichtig ist Handwerk heute für den Kern von Haderlump? Ein Pullover auf Ihrer Website kostet knapp 180 Euro, eine Jacke gibt es ab 550 Euro.
Handwerk macht Haderlump aus. Wir produzieren das, was geht, also T-Shirts, Pullis, Jacken und so weiter, auf Nachfrage. Stücke wie Kappen, Schals oder Taschen müssen wir auslagern. Ich selbst sitze auch sehr viel an der Nähmaschine dafür. Für einen Pullover brauche ich ungefähr eineinhalb Stunden, für kleinere Teile reicht manchmal eine halbe. Ich schaffe um die sechs bis acht Artikel am Tag. Wer bei uns bestellt, muss deswegen manchmal auch bis zu einem Monat warten. Das ist der Preis, den man dafür zahlt, dass es hier in Berlin gefertigt wurde.