Jan Böhmermann über HKW-Ausstellung

"Es ist ein totaler Traum, ins Machtzentrum zu gehen"

Jan Böhmermann und die Gruppe Royale zeigen im Berliner HKW eine große Ausstellung. Hier spricht der Satiriker über den Wechsel vom TV ins Museum, Nacktbilder von Kanzler Merz und die Notwendigkeit der Unvernunft


Jan Böhmermann, auf einer Skala von eins bis zehn: Wie wichtig ist Kunst in Ihrem Leben? 

Zehn oder elf. Wobei ich mich von dem etablierten Kunstbegriff distanzieren muss, das kann ich mir nicht anmaßen. Und zu bewerten, was das ist, was ich mache, ist nicht mein Job. 

Jetzt machen Sie eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Warum?

Das Medium oder die Form, in der meine Kolleginnen und Kollegen und ich unsere Sachen machen, ist zweitrangig. Es geht immer darum: Wie kriegen wir eine Idee umgesetzt? In welcher Form können wir am besten welche Frage stellen? Na klar, wir machen eine erfolgreiche Fernsehsendung, aber das Grundprinzip, mit dem wir an die Dinge herangehen, funktioniert auch, indem man manche Ideen fassbar macht und in eine andere Welt holt. Jetzt eben in eine Ausstellung. Ich kapere aber auch gerne Musik, Popmusik, wenn das die beste Form ist, eine Idee oder einen Gedanken zu äußern. Wenn ich einen Song schreibe, dann ist der Anspruch, dass der Song gut sein muss, damit er lyrisch auch wirken kann. Über Kunst möchte ich trotzdem ungern so abstrakt reden. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich stelle gerne einfach gerne Sachen her – was das ist, darüber machen wir uns eher weniger Gedanken. 

Aber im Verhältnis zu der Reichweite, die Sie über das Fernsehen und im Netz haben, ist so ein Museum doch winzig klein und unwichtig, oder?

Eines der großen Probleme unserer Zeit ist, glaube ich, dass Kultur und Medien eins geworden sind. Eine Möglichkeit, zu versuchen, aus den technischen Zwängen herauszukommen, ist für uns, das Mediale zu verlassen und woanders die Geschichten zu erzählen oder die Fragen zu stellen, die man stellen möchte. Die Gruppe Royale und ich haben handwerkliche Fähigkeiten, die über das hinausgehen, was fürs Fernsehen benötigt wird. Und darum gehen wir gern in eine andere Form. Es ist unsere dritte Ausstellung, nach 2018 im Kulturforum NRW und 2019 im Künstler:innenhaus Graz. 

Sie haben sich für diese Ausstellung das HKW ausgesucht, in Sichtweite des Regierungsviertels, in den 1950er-Jahren als Kongresshalle von den US-Amerikanern errichtet und dem Land Berlin geschenkt. 

Die Fragen der Zeit sind dort zu stellen, wo sie verhandelt werden. Es ist ein totaler Traum, super reizvoll, ins Machtzentrum zu gehen. Eine der drängendsten Fragen, der wir uns politisch und kulturell stellen müssen, lautet gerade: Wie steht es um unser Verhältnis zu unseren amerikanischen Freundinnen und Freunden in der Gegenwart und in der Zukunft? Die Kongresshalle ist wie eine Zeitkapsel von einem anderen Amerika in ein anderes Deutschland eingepflanzt. Mit der Ausstellung wollen wir diese Zeitkapsel öffnen und schauen, was drin ist. Eine Ausstellung zu machen, ist im Kern eine komplexe Denkaufgabe, die nicht anders anzugehen ist als eine Fernsehsendung. Wie kriegt man mit dem, was gegeben ist, den bestmöglichen Ausdruck dessen, was man sagen möchte, die bestmögliche Wirkung und so die bestmögliche Beschreibung dessen, was gerade ist? 

Was wollen Sie denn sagen? 

Wie auch bei der Fernsehsendung ist die Frage spannender als das Sagen. Wir versuchen, aus den Sendungen immer ambivalent herauszugehen. Auch wenn wir manchmal starke Standpunkte artikulieren, sind das immer nur die in der öffentlichen Debatte zu wenig besprochenen Aspekte einer Frage. Wir helfen mit der Fernsehsendung satirisch und manchmal auch journalistisch nach, eine schiefe Debatte wieder ins Lot zu bringen. Unsere Grundhaltung ist aber dabei immer fragend. Auch die Ausstellung ist eine Sammlung von Fragen. 

Sie heißt "Die Möglichkeit der Unvernunft". Ist die Welt nicht schon unvernünftig genug?

Das glaube ich nicht. Ich bin überzeugt davon, dass der Vernunftgedanke, das krampfhafte Vermeiden jeglicher Form von Unvernunft, uns dahin gebracht hat, wo wir gerade sind. In der Ausstellung machen wir einen Gegensatz zwischen der konstruktiven Unvernunft und der destruktiven Vernunft auf. 

Klingt kompliziert.

Die Nationalsozialisten haben ihre Verbrechen mit Vernunft begründet. Sie haben das Überwinden von Empathie und Menschlichkeit mit Vernunft begründet und behauptet: Wir müssen das jetzt machen. Alles, was in der Geschichte zu systematischem Unrecht geführt hat, wurde vernunftmäßig erklärt. Sie müssen wissen, dass unsere Gruppe aus zwei gleichberechtigten Teilen besteht: zum einen aus neurotischen, verrückten, lustigen Leuten – der U-Abteilung – und aus eher handwerklich orientierten, no-nonsense Journalistinnen und Journalisten – die E-Abteilung. Für die E-Kolleginnen war es völlig unvorstellbar, dass ich, der sich eher der U-Abteilung zugehörig fühlt, Unvernunft nicht als etwas Negatives wahrnehme. Für mich ist Unvernunft so gut oder schlecht wie Vernunft. Die Unvernunft ist mir sogar näher: Unvernunft ist der wackelnde Zahn, die Bewegung. Und Bewegung macht mir erst einmal keine Angst. Alles hat zwei Seiten, auch Unvernunft und Vernunft.

Seit dem Dadaismus ist Kunst ja geradezu die Heimat der Unvernunft. Eine Tatsache, die einem allerdings zunehmend weniger Befriedigung verschafft, wenn zum Beispiel ein US-amerikanischer Präsident komplett irrational redet und handelt. 

Ich glaube, da ist das Vorgeben von Vernunft das Problem. Dass der Staatenlenker der mächtigsten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt unvernünftig handelt, ist in unserer Wahrnehmung nicht vorgesehen. Wir müssen aber feststellen: Es ist nun mal so! Also müssen wir damit arbeiten. Zum Beispiel, indem wir selber konstruktive Unvernunft als Mittel erwägen. Lasst uns doch mal was Überraschendes, Unvorhersehbares tun! 

Womit wir wieder bei der Ausstellung sind, und beim Haus der Kulturen der Welt. Was passiert dort?

Das Gebäude steht mitten in der Hauptstadt. In der Touristen-Doppeldeckerbus-Zone, wo die Klassenfahrten und Reisegruppen vorbeifahren. Nehmen wir dieses Publikum ernst, wie es ist, und bauen wir ihm die Freiheitsstatue in Originalgröße vor die Nase! Verbunden mit Charlton Hestons verzweifeltem Schlussmonolog am Strand am Ende vom ersten Film von "Planet der Affen": "You finally really did it! You maniacs! You blew it up!" Wenn man will, dass die richtigen Fragen gestellt werden, muss man sie in der richtigen Form stellen. Was ist los mit der Demokratie in Amerika? Und was macht das mit unserer deutschen Demokratie? Mal schauen, ob diese Frage ankommt. 

In der Ausstellung selbst haben Sie offenbar auch Fragen an Bundeskanzler Friedrich Merz. 

Wir zeigen drei große Bilder von einem fast nackten Friedrich Merz. Die Bilder haben wir komplett von Künstlicher Intelligenz erstellen lassen, nur mit Text gepromptet. Friedrich Merz beschäftigt sich in seinem Herbst der Entscheidungen gerade mit allem Möglichen. Aber nicht mit der entscheidenden Frage, was die technische Revolution KI eigentlich mit uns macht und warum die, die regulierend eingreifen müssten, es nicht tun. Darauf wollen wir hinweisen.

Sie werden auch ein umfassendes Talk- und Veranstaltungsprogramm zu der Ausstellung veranstalten. Darin gibt es unter anderem ein Gespräch mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer. Warum?

Wissen Sie, wir haben ja nur einander. Wir sind alles, was wir haben. Und wir sollten nicht die gleichen Fehler machen, die unsere Freundinnen und Freunde jenseits des Atlantiks machen. Deshalb sollten wir miteinander sprechen. Ich halte ihn nicht für einen Dogmatiker, sondern eher für einen satten Spieler. Ich mag diese Tegernsee-Bräune und diese Leichtigkeit, die sich nur Menschen leisten können, die mit wenig existenziellen Sorgen durch Leben gehen müssen. Wenn wir alle irgendwie aus dem Schlamassel herauswollen, in dem wir uns gemeinsam befinden, müssen wir schauen, wo wir Gemeinsamkeiten haben, und uns dafür aus den Komfortzonen wagen. Ich mache sonst ja nie solche Podiumsgespräche oder Auftritte. Die drei Wochen der "Möglichkeit der Unvernunft" sind auch ein Auftrag an mich selbst. Geplant ist auch eine Diskussion mit dem prominenten Anwalt Christian Schertz, der unter anderem Till Lindemann von Rammstein vertritt. Ich bin neugierig. Auch eine Talkshow, das habe ich im Fernsehen früh gelernt, macht nur richtig Spaß, wenn man auch das Scheitern zulässt und sich ihm hingibt. 

Am Ende der drei Wochen gibt es ein Programm, das 24 Stunden läuft. Können Sie so lange wach bleiben? 

Wir wollen uns am Ende der drei Wochen der "Möglichkeit der Unvernunft" dem On-Demand-Gedanken entziehen. Ich halte es für ein großes Problem, dass wir heute alle Inhalte immer haben können, wann wir wollen. Also machen wir das Gegenteil. Bei dem HKW24-Programm kündigen wir an, was alles stattfindet und bieten den Leuten Timeslots von drei Stunden an, aber wir verraten nicht, was genau während dieser drei Stunden passiert. Menschen sind nicht mehr in der Lage, sich dem zu stellen, was kommt. Sie sind zu kleinen Content-Göttern geworden, die sich ihre Erfahrungen nach ihren Wünschen kuratieren. Ich glaube, wenn wir gemeinsam weiterkommen und die Mauer durchbrechen wollen, müssen wir an die technische Ebene heran. Während unserer dreiwöchigen Residenz im HKW herrscht ein generelles Handyverbot, auch in der Ausstellung. Wir wollen nichts streamen, wir wollen keine Reproduzierbarkeit. Es ist ein Experiment.