Mike Bouchet zur US-Wahl

"In jeder amerikanischen Kleinstadt gibt es einen Donald Trump"

Geplanter Millennium Tower, den Donald Trump Anfang der 2000er-Jahre im Europaviertel in Frankfurt bauen lassen wollte. Die TD Trump Deutschland wurde im Jahr 2005 aufgelöst
Foto: CC via Wikimedia

Geplanter Millennium Tower, den Donald Trump Anfang der 2000er-Jahre mit Partnern im Europaviertel in Frankfurt bauen lassen wollte. Die TD Trump Deutschland wurde im Jahr 2005 aufgelöst, das Projekt mit Trump-Beteiligung verlief im Sande

Joe Biden hat die US-Wahl gewonnen, doch das Prinzip Donald Trump ist nicht vorbei. Hier spricht der US-Künstler Mike Bouchet über den Erfolg der Schamlosen, seine geringe Erwartung an Biden und die Krise der Fiktion  

 

Mike Bouchet, Sie sind ein in Deutschland lebender US-Amerikaner, als Künstler beschäftigen Sie sich intensiv mit der amerikanischen visuellen Kultur. Wie haben Sie die Wahl erlebt?

Ich wurde kurz vor den Wahlen 2016 zu einer Kunst- und Kultur-Talkshow in Bulgarien eingeladen. Jemand hat mich gefragt: Wer wird Ihrer Meinung nach die US-Wahl gewinnen? Clinton oder Trump? Und ich sagte dann: Donald Trump, und er wird für zwei Amtszeiten bleiben. Alle haben sehr gelacht.

Mit der Vorhersage, dass er überhaupt gewählt werden würde, hatten Sie recht. Warum waren Sie damals darauf vorbereitet, und der Rest der Welt anscheinend überhaupt nicht?

Ich habe damals auch mit vielen Künstlern in den USA gesprochen, die die politische Situation kritisch betrachteten, und viele von ihnen hielten es nicht nur für möglich, sondern auch für wahrscheinlich, dass er gewinnen würde. Als es passierte, war es immer noch sehr deprimierend, aber so war die Situation auch kurz nach dieser aktuellen Wahl.

Gibt es Trump-Anhänger in der Kunstwelt?

Es gibt sie in den Vorständen von Museen, und einige Händler haben sich für ihn ausgesprochen. So ist das Geschäft. Es ist eine weit verbreitete amerikanische Haltung, nach individuellem Vorteil zu suchen.

Es ist interessant, dass es unter Künstlern kaum politische Kontroversen zu geben scheint.

Das stimmt, man muss niemanden überzeugen oder sich auf eine Auseinandersetzung einlassen.

Wie ist Ihre Sicht auf die Wahlsieger Joe Biden/Kamala Harris?

Obwohl ich denke, dass die ganze Welt einen kollektiven Seufzer der Erleichterung ausgestoßen hat, dass Trump verloren hat, habe ich, um ehrlich zu sein, keine großen Hoffnungen. Die Vereinigten Staaten sind eine zivile Oligarchie. Wahrscheinlich wird wieder alles zur Tagesordnung übergehen. Ich hoffe, dass ich mich irre.

In Ihren Werken geht es um Konsum, um Statussymbole, um die Feinheiten der Populärkultur. Hat Trumps Populismus einen Einfluss auf Sie und Ihre Arbeit gehabt?

Ich habe lange Zeit in den USA gelebt und immer Arbeiten darüber gemacht, weil der Effekt international ist. Ich interessiere mich für das Spektakel, und die Kritik ist in meiner Arbeit enthalten. Es ist auch ein unvoreingenommener Blick auf das, was meiner Meinung nach die Welt visuell ausmacht. Ich arbeite mit visueller Information als Spiegel unseres gegenwärtigen Zustands. Das Thema "Was bedeutet Trump für die Kunst?" ist riesig. Aber wahrscheinlich noch mehr für Autoren. Es gab die Befürchtung, dass in der Zeitung plötzlich etwas stehen könnte, das noch verrückter ist als das, was man sich vorstellen kann. Das stellte die Fiktion auf die Probe.

Trump ist immer zwei Schritte voraus in dem, was denkbar ist. Das ist traditionell etwas, das den Künstlern vorbehalten war: in noch ungedachte Szenarien vorzudringen.

Aber er ist kein Visionär, er ist ein gieriger Opportunist. Das, was Menschen langsam macht, sind ja Dinge wie Verantwortung oder Scham. Dinge, die einen zum Nachdenken bringen. Was gerade jetzt in der Welt passiert, ist keine große Überraschung, das neoliberale System begünstigt die Schamlosen.

Gleichzeitig scheint es keine gute Zeit für Kunst zu sein, die über die Grenzen der Scham hinausgeht. Sie stehen in engem Kontakt mit Paul McCarthy, in Frankfurt haben Sie gemeinsam mit ihm eine große Ausstellung gemacht.

Der Fall von Paul ist ein interessantes Beispiel von Zensur. Er konnte seine jüngsten Filme nirgendwo zeigen. Sie sind sehr anschaulich und sexuell und befassen sich direkt mit Trump und Neofaschismus. Sie sind nicht im eigentlichen Sinne verboten oder zensiert worden, aber niemand zeigt sie aus Angst vor Repressalien oder Kontroversen. Seine Filme sind künstlich, sie sind mit Requisiten und Schauspielern gemacht. Wenn die Leute "Freitag, der 13.", Teil 12, sehen, wo jemand mit einer Kettensäge zerlegt wird, weiß jeder, dass es künstlich ist. Aber in der Kunst verärgert es die Leute, sie werden wütend und fühlen sich angegriffen, obwohl sie wissen, dass es "unecht" ist. Pauls neue Filme sind wahrscheinlich die radikalsten seiner Karriere und die relevantesten für die zeitgenössische Gesellschaft, aber niemand wagt es, sie zu zeigen. Sie sind extrem, ja. Aber im Vergleich zu was? Zum Internet? Zu Netflix? Man muss sich wirklich anstrengen, keine Gewalt oder explizite sexuelle Akte im Internet oder in den Mainstream-Medien zu sehen!

Wir kommen immer auf die Medien zurück. Eine Vorhersage über Trump nach seiner Amtszeit ist, dass er sein eigenes Medienhaus aufbauen wird.

Ich bin nicht sicher, ob er dafür smart genug ist. Die Moderatoren der Talkshow, bei der ich zu Gast in Bulgarien war, riefen mich nach der Wahl an, offenbar waren alle erstaunt über meine Vorhersage. Da fiel mir ein, dass es eine Sache gibt, die die Europäer an Trumps Erfolg nicht verstehen können: In jeder amerikanischen Kleinstadt gibt es einen Donald Trump. Er ist der Besitzer jedes Cadillac-Autohauses, der Trainer jeder Fußballmannschaft, der Bürgermeister der Stadt, der Schuldirektor. Er ist eine Figur der amerikanischen Gesellschaft, die sehr vertraut ist. Der Handelsreisende, der schnellsprechende Lügner im Anzug. Dieser Archetyp existiert noch immer, die Menschen sind nicht schockiert von diesem Typus, er funktioniert. Und er ist in der Regel sehr erfolgreich.

Er hat also schon in jedem Wohnzimmer gesessen?

Das ist eine perfekte Metapher. Jeder Amerikaner war schon zu ihm nach Hause eingeladen worden und er hat den Fernseher eingeschaltet. Das ist der Typ. Die gesamte Gegenkultur in Amerika, Musiker, Künstler, alle haben unter ihm gelitten. Er hat immer noch seine Posten, aber das könnte sich jetzt langsam ändern.