Interview mit Künstler Miltos Manetas

"Julian Assange zu malen ist wie Kokain zu schnupfen"

Für jeden Tag, den der Wikileaks-Gründer Julian Assange in Haft sitzt, will der Künstler Miltos Manetas ein Porträt von ihm malen. Ein Gespräch über aktivistische Kunst und die Aussicht, mit dem Pinsel in der Hand zu sterben

Am 20. Februar 2020 fing der Künstler Miltos Manetas damit an, den in London im Gefängnis sitzenden Whistleblower Julian Assange zu malen. Für jeden Tag, den dieser inhaftiert ist, widmet er dem Wikileaks-Gründer ein Porträt. #AssangePower nennt er das Kunstprojekt, das auch eine Form des Protests ist
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Miltos Manetas, haben Sie heute schon ein Bild von Julian Assange gemalt?

Es ist nicht so, dass ich jeden Morgen aufwache und als erstes einen Assange male. Bis jetzt habe ich 200 Gemälde fertig. Es gibt Zeiten, da male ich gleich mehrere auf einmal. Wenn eine Ausstellung ansteht, regt mich das an, mehr zu malen. Die 30 Bilder für die Ausstellung in Belgien hatte ich nach vier Tagen fertig. Sie wirken daher wie eine Einheit. Wie viel ich male, hängt auch damit zusammen, was gerade mit Assange passiert.

Wie gehen Sie dabei vor, benutzen Sie Pressefotos als Vorlage oder malen Sie aus dem Gedächtnis?

Eigentlich male ich nicht wirklich Assange. Was ich male, ist, wie die Medien Assange spiegeln. Ich bin ein Maler, der das Internet malt. Das Internet und das zeitgenössische Leben. Unsere neue Realität. Damit habe ich 1994 begonnen, als wir angefangen haben, mit Computern zu arbeiten. Ursprünglich war ich gar kein Maler, sondern habe konzeptuell gearbeitet, war Teil jener Strömung, die Nicolas Bourriaud "Relationale Ästhetik" genannt hat. Dann aber habe ich mich in eine andere Richtung entwickelt und begonnen, das Leben zu malen, das sich auf den Bildschirmen abspielt. Und irgendwann war da Assange. Das geschah in einem Moment, als ich viel unterwegs war und feststellte, wie privilegiert wir eigentlich sind. Besonders privilegiert, egal, ob wir Geld haben oder nicht.

Wen meinen Sie mit diesem "Wir"?

Alle, die etwas kreieren und für diese Arbeit bekannt sind. Künstler. Alle, die ein Netzwerk haben, das ihnen erlaubt, alles zu tun, was sie tun möchten. Der Kapitalismus trägt uns, weil wir einen kommerziellen Wert haben. Seitdem ich in Kolumbien lebe, wird mir das umso stärker bewusst. Ich habe begonnen, intensiver über Kapitalismus und dessen Mechanismen nachzudenken, ich habe mich mit dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis angefreundet und mich der Bewegung DiEM25 angeschlossen. Vor etwa einem Jahr sprachen dort alle über Assange und ich hatte das Gefühl, ich sollte auch etwas tun.

Also haben Sie ihn gemalt...

Meinen ersten Assange malte ich einfach so. Dann schaute ich mir das fertige Bild an und wusste gleich, dass ich es nicht über meine Galerie verkaufen kann. Stattdessen habe ich es auf Instagram gepostet. Das ist sowieso das, was mich gerade interessiert: Kunst, die soziale Medien durchkreuzt. Soziale Medien sind mein großes Thema.

Was geschah dann? Wie haben andere darauf reagiert?

Sofort gab es Leute, die das Bild haben wollten. Also malte ich noch einen Assange. Und wieder gab es unmittelbare Reaktionen. Dann hatte ich spontan die Idee für das Projekt. Es ist einfach geschehen. Aber wenn man etwas in den sozialen Medien schreibt, ist das wie ein Versprechen. Ich habe öffentlich versprochen, für jeden Tag, den Assange im Gefängnis sitzt, ein Bild zu malen, ohne darüber nachzudenken, dass er möglicherweise sein ganzes Leben in Haft bleiben könnte, und - da Assange jünger ist als ich -, dass ich mit dem Pinsel in der Hand sterben könnte. Seitdem arbeite ich daran. Ich poste die Bilder weiterhin auf den sozialen Netzwerken und die Person, die zuerst schreibt, dass sie es möchte, bekommt es.

Es wurden auch Museen darauf aufmerksam. Gerade haben Sie im IKOB in Eupen die Ausstellung "Assange Situation – Emergency" eröffnet. Was ist dort zu sehen?

Was dort nicht zu sehen ist, sollten Sie besser fragen. Die Idee der Ausstellung ist, dass die Bilder nicht sichtbar sind. Beziehungsweise nur für einen Moment, dann nicht mehr. Jeden Tag darf eine Person ein Bild aus der Ausstellung mit nach Hause nehmen. Die Ausstellung verschwindet also. Am letzten Tag sind die Räume leer. Die Leute, die Bilder mit nach Hause genommen haben, besuchen wir dann via Zoom und sprechen mit ihnen über das Projekt. Auch das ist Teil meines Konzepts. Eine Ausstellung, die Assange mit Gemälden feiert, kann es erst geben, wenn er frei oder – was hoffentlich nicht geschieht – tot ist.

Was für ein Bild von Assange wollen Sie in Ihrer Malerei festhalten? Ihre Gemälde sehen alle sehr unterschiedlich aus, fast so, als würden sie nicht vom selben Künstler stammen.

Ich bin kein Maler, der Menschen porträtiert. Dieses Talent habe ich nicht. Ich male mit einem Projektor. Ich vermeide Gesichter, dafür bin ich nicht ausgebildet. Bei meinem Assange-Projekt spiele ich mit der Rolle des Porträtmalers. Ich experimentiere herum. Wenn ich Assange male, denke ich nicht an ihn, sondern an eine bestimmte Art des Malens. Mein Assange sieht mal so aus, als hätte Cy Twombly ihn gemalt, am nächsten Tag ist mein Ansatz dann realistischer oder naturalistischer oder expressionistischer. Ich versuche, Assange auf verschiedene Art und Weise wahrzunehmen und das in Malerei zu übersetzen. Das ist auch der Grund, warum ich Assange male: weil er immer anders aussieht.

Wie meinen Sie das?

Wenn man jemanden malt, füllt man eine Kreatur mit Leben. Wenn ich Assange male, verändert er sich dabei. Vielleicht liegt es an seinem Gesicht. Assanges Gesicht ist ein bisschen seltsam, er ist ein merkwürdiges Wesen und dabei eine Art Archetyp, ein Posterboy für weiße Männlichkeit.

Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten das Projekt gestartet, weil Sie auch etwas für Assange tun wollten. Was wollen Sie erreichen?

Ich bin Künstler und ich bin Bürger. Beides spielt in dieser Arbeit eine Rolle, die Kunst und der Aktivismus. Für mich ist die Kunst aber immer noch der dominierende Part. Ich würde das Projekt nicht nur machen, um Assange zu unterstützen. Der aktivistische Teil ist eher eine Folge aus der künstlerischen Arbeit. Ich habe das Projekt "Assange Power" genannt, weil es auch mir Kraft gibt, ihn zu malen. Assange zu malen fühlt sich an, wie Kokain zu schnupfen. Assange ist das neue Kokain in meinem Kopf. Realität ist, was mich stimuliert, und mehr Realität als Assange geht nicht. Sein Fall ist so emblematisch: Er ist ein privilegierter Typ, weiß, könnte, wenn er wollte, Multimillionär sein, weil er ein großartiger Technologe ist. Allein, dass die Seite von Wikileaks noch immer existiert, beweist das. Assange hat eine absolut schusssichere Website gebaut.

Das öffentliche Interesse an Julian Assange hat über die Zeit stark nachgelassen, auch in der Kunst. Ai Wei Wei hat in der Vergangenheit mehrfach gegen seine Inhaftierung protestiert. Nun hört man kaum mehr etwas aus dieser Richtung. Wie erklären Sie sich das aktuelle Schweigen der Kunst zum Fall Assange?

Es gibt durchaus Künstler, die sich weiterhin mit Assange beschäftigen, aber das sind keine A-Künstler, sondern B-Künstler, über die nicht berichtet wird. Außerdem ist es meiner Erfahrung nach so, dass die hohe zeitgenössische Kunst dem, was gerade geschieht, den Rücken kehrt und sich lieber mit Dingen beschäftigt, die schon bekannt sind.

Ist die Kunst zu träge?

Sie ist langsam und sie ist vor allem nicht bereit, Veränderungen anzunehmen oder darauf zu reagieren, während diese geschehen. Das betrifft den Markt, aber auch die Künstler.