Nora Razian und Sabih Ahmed, was ist Ihr Thema der 3. Diriyah Biennale, die Ende Januar 2026 beginnt?
Nora Razian: Der Titel der Biennale auf Arabisch lautet "Fil hil wal terhal", das ist ein häufig benutzter Ausdruck in dieser Region der arabischen Welt. Er beschreibt die ständige Bewegung und Veränderung, die das Leben charakterisiert. Dabei schwingt auch ein Gefühl von Solidarität mit – es geht um die Kontinuität von Beziehungen. Wenn Menschen diesen Ausdruck verwenden, bedeutet das: Ich gehe durch all diese Veränderungen, aber wir machen trotzdem gemeinsam weiter.
Sabih Ahmed: Der Begriff beschwört das zyklische Muster der Lager und Reisen nomadischer und beduinischer Gemeinschaften in der Region herauf. Er lädt uns dazu ein, die Welt als eine Vielzahl von Prozessionen zu betrachten, die durch unaufhörliche Bewegung und Transformation entstehen. Die Biennale nimmt die Choreografie mehrerer miteinander verflochtener Prozessionen als Ausgangspunkt: Erzählungen von Migration und Exil, die Bewegung der Sterne und Winde sowie die Reise von Sprachen und Geschichten.
NR: Das schien uns sehr bedeutsam für unsere Biennale, angesichts der massiven globalen Veränderungen, die wir erleben, und der Entwicklungen, die diese Region in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Der englische Titel lautet "In Interludes and Transitions". Er spielt auf eine orale und musikalische Tradition an – auf Theater, Musik und Performance, Ausdrucksformen, die wir ebenfalls in die Biennale integrieren möchten.
Die saudi-arabische Gesellschaft, in der diese Biennale stattfindet, befindet sich im rasanten Wandel. Die Biennale, die erst 2021 zum ersten Mal stattfand, ist Teil dieser Öffnung. Wo sehen Sie die größte Herausforderung im Land?
NR: Natürlich ist das eine Gesellschaft, die gerade einen großen Wandel durchmacht. Das bedeutet aber auch, dass sie bestimmte Aspekte ihrer selbst wiederentdeckt. Wir treffen auf eine Öffentlichkeit, die neugierig ist, die lernen will – vor allem junge Menschen. Und die meisten unserer Besucherinnen und Besucher kommen aus der Region.
SA: Gleichzeitig geschieht der Wandel in Saudi-Arabien als Teil größerer Umwälzungen auf globaler Ebene. In manchen Regionen spürt man diese Veränderungen stärker. Es sind tektonische Verschiebungen – ökologischer, sozialer und geopolitischer Art. Neue Sprachen entstehen, mit neuen kollektiven Erfahrungen. Wir wollen auf diese Veränderungen aus einer bestimmten Perspektive blicken. Saudi-Arabien war historisch eine Kreuzung vieler Bewegungen, Teil von Handelsrouten. Es hat eine lange Tradition des Reisens. Deshalb ist die Schlüsselmetapher der Biennale die Prozession.
Sie haben bereits erwähnt, dass das Publikum größtenteils lokal ist. Was sind das für Menschen?
NR: Das Publikum hier umfasst alle Generationen – es gibt Kinder, Familien, Gruppen von Freunden. Es soll ein Treffpunkt sein, ein Querschnitt durch die Gesellschaft.
SA: Die Bevölkerung hier besteht aus vielen verschiedenen Communitys aus der ganzen Welt: Menschen, die schon seit Jahrzehnten hier sind, andere, die gerade erst gekommen sind, oder solche, die hier geboren wurden, wegzogen und zurückgekehrt sind – so wie ich selbst. Die Demografie ist sehr divers. Migration ist heute global eine Grundbedingung – hier wie in vielen anderen Gesellschaften. Was bedeutet das für die Gesellschaft? Das ist eins von vielen Themen, die wir erforschen.
Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst ist für viele Menschen in Saudi-Arabien recht neu. Wie ist die Reaktion?
NR: Kunst und Kultur haben eine lange Geschichte in Saudi-Arabien. Neu ist nur die Art der Institutionen, in denen man ihnen jetzt begegnet – große Museen, öffentliche Ausstellungen. Es geht nun darum, die kulturelle Infrastruktur aufzubauen.
SA: Zeitgenössische Kunst steht immer im Widerspruch zu ihrer Zeit; sie hinterfragt die Gegenwart und versucht, neue Fragen aufzuwerfen. In diesem Sinne konfrontiert jede Ausstellung weltweit ihr Publikum mit neuen Fragen – nicht nur diese hier.
Eingeladen sind rund 70 internationale Künstlerinnen und Künstler, darunter Petrit Halilaj, Gala Porras-Kim, Rohini Devasher und das Raqs Media Collective – aber auch Kreative mit einem Hintergrund in Design und Architektur wie Rand Abdul Jabbar, Mohammed Alhamdan oder die Autorin Ruba Al-Sweel. Wie wurden sie ausgewählt?
SA: Unser kuratorisches Team arbeitet in sehr unterschiedlichen Bereichen – von Architektur, Philosophie und Literatur bis hin zu Musik und bildender Kunst. Wir haben Künstlerinnen und Künstler eingeladen, deren Praxis sich über diese vielfältigen Bereiche erstreckt. Außerdem haben wir uns auf bestimmte Arbeitsweisen und Methoden konzentriert. So haben wir beispielsweise festgestellt, dass Lecture Performances derzeit eine besonders starke Praxis sind, und haben uns daher mit dieser Szene beschäftigt – von der Golfregion über Südostasien bis hin zu Südasien.
NR: Und das Kollektiv Formafantasma wird all dem in seiner Szenografie einen Rahmen geben.
Worauf kommt es Ihnen dabei an?
NR: Es wird keine monumentalen Gesten geben. Wichtiger als das große Einzelwerk ist uns, dass Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Generationen und Herkünfte miteinander in Beziehung treten.
SA: Uns ist auch wichtig, dass Literatur und Musik, Konzerte und Lesungen nicht als Beiprogramm der Ausstellung verstanden werden, sondern als integraler Bestandteil der Biennale.
Saudi-Arabien investiert zurzeit massiv in den kulturellen Sektor. Was erhofft sich das Land davon?
SA: Ich kann nicht für den Kultursektor sprechen, aber wir sehen den Wert dieser Biennale darin, dass sie eine kritische Plattform ist, die zeigt, welche Fragen weltweit gestellt werden – und wie die Welt durch die Praktiken zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler wahrgenommen wird. Das bietet eine andere Perspektive als beispielsweise eine Kunstmesse oder ein Museum. Eine Biennale in Saudi-Arabien zu veranstalten, ist an sich schon ein Statement.